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29.04.2000
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Auf dem Tanzflur mit...

Yo La Tengo

Köln, Kantine
29.04.2000

In den 15 Jahren, die es Yo La Tengo nun schon gibt, haben Ira Kaplan, Georgia Hubley und James McNew immer wieder bewiesen, dass für sie die "normalen" Spielregeln des Musikbusiness nicht zutreffen. Und außerdem sind sie sowieso die coolste Band des Planeten. Warum? Ganz einfach: Es gibt nicht viele Bands, die sich überhaupt trauen würden, einen 17-Minuten-Song aufzunehmen, der als süßes Schlaflied anfängt und als Feedback-Hölle endet, aber die drei aus Hoboken, New Jersey, können nicht nur das, sie fangen ihre Konzerte sogar mit eben jenem "Night Falls On Hoboken" an! Wahnsinn! Wie schon gesagt, die Spielregeln des Musikgeschäfts haben das Trio noch nie interessiert.

Im ersten Teil ihrer Zwei-Stunden-Show in Köln konzentrierten sich Yo La Tengo vor allem auf die ruhigeren Momente ihres neuen Albums wie die niedliche Single "Saturday" (passend zum Wochentag!) und sagten fast kein Wort. Dazu Ira entschuldigend: "Vielleicht habt ihr im Internet gelesen, dass wir normalerweise auf der Bühne sehr gesprächig sind. Heute nicht. Keine Ahnung, warum. Aber das könnt ihr ja dann auch im Net posten."

Die schnelleren Nummern waren also anfangs rar und "Oldies" wie "Stockholm Syndrom" von Bassist und Teilzeitschlagzeuger James und mein persönlicher Favorit "The Summer" sehr willkommen. Spätestens mit der Coverversion des Discoklassikers "You Can Have It All" von George McCrae wurde dann allerdings der Bogen von der Kunst zur puren Unterhaltung (um nicht zu sagen: zum Klamauk) geschlagen. "Wir lesen ja auch Zeitung und sind voll auf der Höhe. Deshalb wissen wir, dass Köln die Hauptstadt der coolen Elektronikmusik ist, so die 'Drück-einen-Knopf-an-deinem-Laptop-und-steh-nur-rum-und-sieh-cool-aus'-Fraktion. Also haben wir diese kleine Nummer vorbereitet, die völlig aus dem Computer kommt und bei der wir nur herumstehen. Wir hatten allerdings vergessen, dass wir Amerikaner sind und nicht rauchen und deshalb nicht wissen, was wir in der Zeit mit unseren Händen tun sollen", sagte Ira geheimnisvoll, nur um dann zusammen mit James eine ebenso perfekt einstudierte wie (für YLT-Maßstäbe) absurde Tanzeinlage abzuliefern, von der die Backstreet Boys noch was lernen können. Nur, dass James und Ira natürlich besser aussehen...

Nach "Autumn Sweater" und einer endlosen Weltklasse-Version von "Blue Line Swinger" kamen für die Zugaben dann wie gewohnt die spontanen Wünsche des Publikums zum Zuge, und obwohl sich die Band weigerte, einige ihrer größten Klassiker zu spielen ("die haben wir gestern alle gespielt, heute gibt's das nicht", erklärte Ira), kann man sich über "Big Day Coming", die unerwartet gut gelungene Coverversion des 60s-Klassikers "Shape Of Things To Come" und eine wunderschöne Version von John Cales "Hanky Panky Nohow" nun wirklich nicht beschweren. Die größte Überraschung war aber vielleicht die Heavy-Metal-Version von "Out The Window" (Ira: "Okay, das hatten wir gestern nicht"), dass die Band, Georgia's entsetztem Blick nach zu urteilen, nicht nur am Abend vorher nicht, sondern schon Jahre nicht mehr gespielt hatte.

Die Show hat jedenfalls bewiesen: Während fast alle anderen Bands, die mit Yo La Tengo zusammen an der US-Ostküste Mitte der 80er angefangen haben, entweder in der Versenkung verschwunden oder zu schlechten Kopien ihrer selbst mutiert sind, können wir auch weiterhin auf Yo La Tengo zählen. Sie sind immer noch in vorderster Front mit dabei, wenn es um neue Ideen geht. Obwohl oder gerade weil sie immer zu bescheiden gewesen sind, genau das zuzugeben.

Text: -Carsten Wohlfeld-

 

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