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25.05.2006
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Regen ist gut!

Orange Blossom Special 10 - 1. Teil

Beverungen, Glitterhouse-Villa
25.05.2006 / 26.05.2006 / 27.05.2006

Orange Blossom Special 10
"Rindenmulch ausverkauft" prangte ein unübersehbares Schild am Zaun des größten Beverunger Rindenmulch-Händlers. Was für Vorbeireisende merkwürdig angemutet haben mag, war für die Besucher des "Jubiläums-OBS" spätestens ab dem zweiten Festivaltag selbsterklärend: Der gesamte Rindenmulchbestand Beverungens befand sich - von Festivalleiter Rembert Stiewe und seiner Mannschaft eigenhändig verteilt und festgestampft - auf dem Festivalgelände. Das war aber auch bitter notwendig, denn die Planungskommission hatte die OBS-Jubiläums-Veranstaltung wegen Beteiligung des WDR mitten in die Weserbergländische Regenzeit platziert. Was dann dazu führte, dass es - mit Ausnahme des letzten Festivaltages, an dem es auch mal Sonne zu sehen gab (die sich indes Temperaturmäßig kaum bemerkbar machte) - nahezu pausenlos regnete. Reinhard Holstein brachte es dann ungefähr folgendermaßen auf den Punkt: "Regen ist gut!"

Die Fans, die bereits zum Donnerstag angereist waren, dachten sicherlich noch, der Regen ließe sich wegtanzen. Vor allen Dingen die Jungs der "Nachwuchskapelle" Boozed verstanden es, nach Aussage des praktisch mit dem Festival verwachsenen Ur-OBS-Fotografen Tüte, die Fans diesbezüglich zu animieren.

Der zweite Tag - und für die meisten auch der erste - ließ sich dann wettertechnisch zunächst ganz scheinheilig und lau an. Bis Nils Koppruch pünktlich um 14:15 zur Gitarre griff. Von da an, bis ungefähr zehn Sekunden nachdem Sarah Hepburn & Band kurz vor Mitternacht als letzte die Bühne verließen, regnete es pausenlos durch. Da halfen weder Galgenhumor noch die feilgebotenen Ponchos wirklich: Das drückte schon mächtig auf die Stimmung und es dauerte nahezu bis zum Ende der großartigen Show der Great Crusades, bis sich das Publikum in Extase getaumelt hatte. Und das, obwohl das ganze Programm musikalisch eigentlich wenig zu wünschen übrig ließ.

Nils Koppruch, Sänger und Texter der legendären Glitterhouse-Signing-Fauxpas Fink, war auch ein Festival-Veteran. Mit der Mutterband war er bereits zwei Mal da gewesen, präsentierte hier aber nun ein abgeschlacktes Solo-Programm, das stilistisch wieder mehr in Richtung des früheren Finken-Soundes verwies. Unterstützt von seinen Kumpels Ekki und Lars präsentierte Nils fast nur Folkiges - darunter eine beschwingte Version von Leadbellys "In The Pines". Nils, der momentan an einem Solo-Album arbeitet, outete sich nachher als Fan nicht nur des Songs, sondern auch des Autors Leadbelly. Die nächste Band hatte Rembert ausgesucht, weil sie "eigentlich an wenig andere erinnert". Joycehotel aus Dänemark gehören zwar auch zu diesen typischen skandinavischen Acts, die alles emulieren, was ihnen von die Gitarre läuft, nur spucken sie das eben nicht in einem bestimmten Stil wieder aus, sondern nehmen sich das Recht heraus, mit all den Versatzstückchen Katz und Maus zu spielen. Das ist natürlich einerseits alles recht spannend und abenteuerlich, kann indes im Live-Kontext auch ein wenig anstrengend werden. Immerhin: Über die verkürzte OBS Laufzeit ging die Sache in Ordnung und der übliche Beitrag zur musikalischen Erziehung und Toleranzförderung war so auch abgeleistet worden.

"Kauft unsere T-Shirts," meinte als nächstes Goldrush-Sänger Robin, "denn die sind wasserdicht." Leider war das eine Lüge, wie er gleich darauf einräumte. Die Band aus Nottingham galt ja bereits im Vorfeld als ausgezeichneter Live-Act und enttäuschte auch hier nicht. Mit ungebremster Verve stürzten sie sich in ein Set, das zwar nach wie vor die zu recht vielgelobte CD "Ozona" in den Mittelpunkt stellte - es aber nicht dabei beließ. Live langen die Herren sehr viel beherzter hin und wie bei vielen nachfolgende Acts, gab es auch bei Glodrush eine Trompete zu hören. Broken Social Scene aus Kanada setzten gleich im Anschluss noch eins drauf: Hier gab es gleich eine ganze Gruppe von Musikanten, die am Bühnenrand in Lauerstellung verharrten und dann strategisch als Bläsergruppe in Erscheinung traten. "Das mag ich ja normalerweise nicht", grummelte Reinhard, "die sind aber echt gut." Das stimmte wohl - obwohl die eher unkonventionellen (schrägen?) Soundstrukturen des lockeren Ensembles die Puristen unter den Fans sicherlich vor größere Herausforderungen stellte. BSC ist ja eher so etwas wie eine wandelnde Kommune, als etwa eine propere Band. Und so wunderte es auch nicht, dass die Besetzung beim OBS fast schon eine Art Sparausgabe war. "Das ist die erste Show seit langer Zeit, die wir ohne Sängerin spielen", meinte Kevin Drew, "deswegen muss ich den Part jetzt wohl übernehmen." Nun, die besagten Damen - Amy Millan, Leslie Feist oder Emily Haines z.B. - sind mittlerweile ja alle auch mit eigenen Projekten erfolgreich tätig, so dass das erklärlich schien. Zumal das Ganze ja zwei Tage später noch weitergehen sollte.

Die Great Crusades (die Edgar Heckmann immer gerne lächelnd als "Glitterhousens Rockband" tituliert) sind mit ihrer letzten CD, "Four Thirty", kompromisslos zu ihrem ursprünglichen Stil zurückgekehrt. Mögen andere feinsinnige Songfrickeleien betreiben: Brian Krumm & Co. fühlen sich am wohlsten, wenn sie so richtig die Sau rauslassen können. Zumindest musikalisch: Kleidungstechnisch sind sie da schon anspruchsvoller. Das führte dazu, dass Rembert sich zur Ansage wie die Band in Schlips und Kragen warf. The Great Crusades überraschten des Weiteren mit der größten Setlist des Festivals: Zwei DIN-A3-Bögen, von denen der eine auch noch auf der Rückseite mit Titeln vollgekrakelt war. "Has anyone had a BiFi today?", fragte Krumm das verdutzte Publikum um dann Rembert und Reinhard als Go-Go-Executives auf die Bühne zu holen. Das sollte nicht die einzige, musikalisch aber die wertvollste Einlage der beiden Glitterhäusler auf der Festivalbühne werden. Zu Ende ging der Tag mit einer Entdeckung, wie sie bei OBS immer mal wieder zu verzeichnen ist. Sarah Hepburn ist eine amerikanische Songwriterin aus Chicago, die jedoch in Dänemark ansässig ist, wo sie mit der Band Glorybox Furore machte, dann aber ihre Solo-Debüt-Scheibe "Stars And Haze", in Cornwall zusammen mit Neil Halstead und Mojave 3 einspielte. So viel musikalisches Weltbürgertum schlug sich eindrucksvoll in ihrem wahrlich ausgezeichneten Set nieder. Was Sarah Hepburn etwa an Kommunikationsfreude vermissen ließ, machte sie musikalisch mehr als Wett. Die Frau, die - wie Rembert ganz richtig bemerkte - ein wenig aussieht wie eine junge Chrissie Hynde, überzeugte hier durch eine ausgewogene Mischung schöner Songs, die sich keineswegs alle der abendlichen Schweigepflicht verbunden fühlten, sondern bei denen es auch mal lauter und schneller werden durfte. Nicht zuletzt lag das an der ausgezeichneten Band. Die Sache lief so gut, dass die scheue Künstlerin gleich für mehrere Zugaben zu begeistern war, darunter eine melancholische, aber originelle Version von "Suspicious Minds".

Robert Fisher, der bereits am Freitag angereist war, trat am Samstag Mittag "in kleiner Besetzung" auf, wie Rembert meinte. Der grummelige Chef der Willard Grant Conspiracy ist ja auch regelmäßiger OBS-Besucher. Insofern waren seine im Vorfeld vorgetragenen Bedenken, zu so einem frühen Zeitpunkt spielen zu müssen, eigentlich unbegründet. Denn selbstredend ließ es sich das disziplinierte OBS-Publikum nicht nehmen, dem Meister nahezu vollständig zu huldigen. "Welcome to the Saturday morning Hangover-Club", begrüßte Robert die Fans dennoch eher defätistisch. Fisher trug einige seiner schönsten Songs in zum Teil recht originellen Versionen vor. So intonierte er z.B. die Ballade von John Parker (der als Teil des Walkabouts-Package aus Seattle angereist war und wieder das Stage-Management übernommen hatte) rein a cappella. Gerade bei solch sparsam arrangierten Songs ist zu spüren, mit welcher Hingabe Robert als Sänger agiert. Die Tracks, bei denen Chris Eckmann dann als Gastgitarrist beisprang, hatten die beiden nach dem Frühstück im Glitterhouse-Büro kurzfristig einstudiert.

Ebenfalls aus Seattle stammen Downpilot. Ihre "wunderhübschen Songs vom Sehnen und Verzehren" gerieten dank Drummer schon eine gute Portion rockiger, kamen jedoch vergleichsweise spröde rüber. Vielleicht lag dieser Eindruck daran, dass Bassist Jeff Brown energisch neben der Tonlage agierte - was von Paul Hiraga stimmtechnisch nicht aufgefangen werden konnte - oder einfach am fehlenden Raumklang einer typischen Tucker Martine-Produktion. Als Bonbon gab es noch eine Premiere: Als Gäste wurden Paul Austin (der für den unpässlichen Michael Wells bei den Walkabouts als Bassist einsprang) und Terri Moeller auf die Bühne gebeten. Terri gestand im Nachhinein, dass dies das erste Mal gewesen sei, dass sie gleichzeitig das Tambourine geschwungen und gesungen habe. Das könne sie nämlich normalerweise gar nicht und das ist auch der Grund, warum sie bei den Walkabouts nicht singt und bei Transmissionary Six nicht Schlagzeug spielt.

Dann wurde es noch einmal "sehr lokal", wie Chris Eckman treffend meinte: Unterstützt von Walkabouts-Keyboarder Glenn Slater (und aufmerksam beobachtet von dessen mitgereister Ehefrau) heizte die Glitterhouse Praktikantenband K1 mit ausgesucht hysterischen Coverversionen ein. Kein Halten gab es dann mehr, als Rembert und Reinhard als wandelnde Fußbälle verkleidet auf die Bühne stürmten und sich als musikalische Teletubbies outeten. So herrlich psychedelisch hatte man "Hush" z.B. schon lange nicht mehr gehört. Ein weiterer Praktikant, Gerrit Stuntenbeck, war als Pausenleser verpflichtet worden. Die Grundidee - die Umbaupausen mit vorgelesenen Donald Duck-Stories und Kurzgeschichten aufzulockern - ging dabei allerdings in den technischen Umständen unter: Der Soundcheck und Stuntenbecks Vortrag kollidierten in großer Höhe und brachten das Unterfangen zum Absturz. Da Stuntenbeck zudem einfach nicht dicht genug ans Mikro heranreichte, musste er als ein in weiten Teilen unverstandener Künstler das Schlachtfeld verlassen.

Der nächste Act schließlich polarisierte dann ein wenig. Mofro, die Band des Songwriters JJ Grey bildete im Prinzip zunächst so etwas wie die personifizierte größtmögliche Schnittmenge der von typischen OBS-Fans gemochten Musikstile: Southern Rock, Soul, Westcoast-Sound, Folk, eine Prise Blues und Country, technisch perfekt dargeboten - das passte alles ganz wunderbar. Dazu kamen dann JJ Greys sympathisch offenherzige Ansagen, in denen er den Zusammenhang zwischen seinem Leben und seinen Songs einleuchtend darbot. Dass er ausgerechnet einen Song namens "Pray For Rain" im Programm hatte, verzieh man ihm deswegen auch gleich wieder. Leider aber war dann das Songmaterial dermaßen vorherseh- und berechenbar, dass ein Gutteil der Wirkung gleich wieder unaufgeregt verpuffte. Fazit: Die Old-School-Fans (darunter Reinhard) waren begeistert und hielten dies für einen der Höhepunkte des Festivals, während diejenigen, die beim Musikhören auch immer gern ein wenig Kribbeln in der Magengrube verspüren, diese Begeisterung nicht ganz nachvollziehen konnten.

Weiter zum 2. Teil...



Surfempfehlung:
www.orange-blossom-special.de
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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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