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21.06.2001
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Die Geschichte zum Song

Aimee Mann
Kamary

Köln, Kantine / München, Muffathalle
21.06.2001 / 24.06.2001

Aimee Mann
Aimee Mann ist die Göttin der Ausgegrenzten! Das wurde an diesem denkwürdigen Mittsommerwendabend in der erschreckend gut gefüllten Kölner Kantine entgültig klar. "Es ist unglaublich, wie viele Leute sie hier reingelassen haben", verkündete Aimee denn auch verwundert, "das verstößt doch bestimmt gegen irgendwelche Feuersicherheitsvorschriften." Da bestand jedoch wenig Gefahr, denn das Rauchen verbat sich die sensible Dame nämlich eh gleich darauf. Es gab auch kein Gedrängel, woraus sich irgendwelche brenzligen Situationen entwickeln hätten können, denn Aimees Fans rekrutieren sich (s.o.) aus exakt denjenigen Leuten, von denen und über die sie singt: Unheroische, ja tragische und mauerblümige Heldinnen des Beziehungskrieges und die entsprechenden männlichen Anhängsel - offensichtlich jene emotionalen Freaks, über deren moralische Siege und amouröse Niederlagen die Autorin so umwerfend zu berichten weiß.

Der von dieser spezifischen Zielgruppe favorisierte, seltsame Odor von Kamillencreme und Light-Zigaretten, der Anfangs über dem Auditorium schwebte, wurde so erklärlich. Selten hat man so eine Kongruenz von Zielgruppe und Botschaft erlebt. Und das Schöne daran: All dies waren Leute, von denen man hätte glauben mögen, daß sie sich nicht die Bohne für Musik interessieren - oder gar begeistern - können. Und Begeisterung war angesagt: Schon beim Vorprogramm - einem begnadeten Entertainer und mittelmäßigem Songwriter namens Kamary, der das Publikum mit flotten Sprüchen, improvisierten Songs und verblüffendem Timing (eine Erfrischungspause beim Song "Your Sad Eyes" - zwischen den Worten "Sad" und "Eyes") aufputschte.

Beim Auftritt von Aimee selbst war dann zunächst mal ehrfurchtsvolle Andacht angesagt. Die unsichtbaren, intimen und spirituellen Nabelschnüre zwischen der Vortragenden und den Rezipienten, die alleiniges Verständnis und Glückseligkeit verheißen, hingen fast greifbar in der Luft. Wobei sich Aimee's zurückhaltende, ja unauffällige, Bühnenpräsenz - die so ganz im Gegensatz zu ihrer intelligenten "Tough Chick" Attitüde im Umgang mit der Presse steht - wieder auf das empathische Auditorium übertrug. Eine gewöhnliche Rockshow war dies wahrlich nicht - was auch Sinn machte: Aimee's Stimme hat gewisse ätherische Qualitäten, die dem Druck einer Band ohne Studio-Möglichkeiten nicht standhielte. So hielt sich denn besagte Band auch eher zurück und bot eine kompetente, aber relaxte Basis für die komplexen Melodien der Chanteuse. Die doch eher trickreich aufgebauten Songs - mit vielen unerwarteten Wendungen und Melodieführungen - sind des weiteren nicht gut geeignet für Improvisationen. Deswegen verlegte man sich darauf, mit den Strukturen der Songs zu spielen. Das war eine gute Idee, denn so bekam man manche überlange Version zu hören - etwa mit ausgewalzten, aber durchorganisierten Instrumentalpassagen oder vielschichtigen Vocal-Arrangements - die man so auch gerne auch mal auf CD verewigt sähe. Hinzu kam, daß Aimee wohlweislich nicht den Versuch machte, die aufwendige und vielschichtige Studio-Produktion zu replizieren, sondern die Stücke teilweise erheblich umarrangierte. Bestes Beispiel waren einige akustisch vorgetragene Tracks im Mittelteil der Show, in der sich Aimee nur vom Keyboarder mit plüschigen Mellotron-Sounds begleiten ließ. Sehr schön das. Geboten wurde vorwiegend Material der letzten CD "Bachelor No. 2". Ältere Songs - z.B. aus 'Til Tuesday Zeiten - gab es kaum und den zur Zeit populärsten Track, das Oscar-nominierte "Save Me" aus dem "Magnolia"-Soundtrack - hob sich Aimee gar bis zur Zugabe auf. Diese Veranstaltung war aus mehreren Gründen geeignet, das Gute im Musikliebhaber wieder heraufzubeschwören. Einerseits zeigte hier eine intelligente und begnadete Künstlerin, wie man durch Konsequenz und nicht unbedingt business-konformes Verhalten (wovon die labeltechnischen Querelen um's letzte Album künden) dennoch erfolgreich tätig sein kann, zum Anderen zeigten die zahlreich angereisten, unbedarften Musikliebhaber, daß es doch möglich ist, versteckte und scheinbar brachliegende Potentiale (z.B. dem Teenie-Alter entwachsene Frauen) zu aktivieren. Vielleicht dienen solche Events auch als Denkanstoß an den einen oder anderen Verantwortlichen in der Musikindustrie, das beliebige Lamentieren über sinkende Absatzzahlen und Internet-Piraterie einfach mal konstruktiv zu überdenken.

...drei Tage später in München...

Aimee Mann
Das erste mal in München und die Muffathalle ist rappelvoll. Aimee Mann ist sichtlich positiv überrascht über das vergleichsweise erwachsenes und ziemlich enthusiasmierte Publikum, das von Anfang an der 41jährigen Songwriterin aus Richmond/Virginia lautstark und ausdauernd seine Zuneigunug bekundet. Lange genug hatte sie ja seit dem Start ihrer Solokarriere Anfang der 90er Jahre auf so was gewartet, denn im größeren Rahmen in Erscheinung getreten war sie abgesehen von einem Hit mit einer New Wave Band in den 80ern nur als deutsche Ganovenbraut mit abgehackter Kleinzehe im tollen "The Big Lebowski" Film der Cohen Brüder.

Ihre Platten wurden zwar von der Kritik in den höchsten Tönen gelobt, allerdings nur von einer kleinen dafür umso treueren Fangemeinde gekauft. Erst der Soundtrack zum Film "Magnolia" brachte den Durchbruch und so waren die Songs, die ja größtenteils auch auf ihrem aktuellen Album "Bachelor No. 2 Or The Last Remains Of The Dodo" verewigt sind ganz klar der rote Faden des Abends. Über weite Strecken von einer versierten Band begleitet wurde das Material ordnungsgemäß und zur Zufriedenheit aller reproduziert. Einige Stücke interpretierte die Chansonette aber auch alleine auf der akustischen Stahlseitengitarre und zeigt eindrucksvoll, was sie kann. Gegen Ende dieser Stücke setzt dann aber leider und überflüssigerweise ein etwas kitschiges Synthieorchester ein.

Ein Journalist - so erzählt sie irgendwann - habe sie heute gefragt, warum sie so wenig mit dem Publikum kommuniziere und erklärt dann, dass die Songs bereits die Geschichte sind und es daher keinen Sinn macht, eine Geschichte zum Song zu erzählen. Unter diesem Motto steht dann der ganze Abend und Aimee erzählt jede Menge Geschichten, die diesen Sachverhalt auf ironische Weise verdeutlichen: "Hey, zu diesem Lied gibt es eine Geschichte, es handelt von jemandem, den ihr kennt. Allerdings kann ich euch nicht sagen, wer das ist." Oder: "Das nächste Lied habe ich geschrieben, als ich das erste mal in München war. Wir spielten in der Muffathalle und es war furchtbar heiß." Genau das singt sie dann in einem improvisierten Liedchen, das allerdings nicht über die zweite Zeile hinauskommt: Es reimt sich einfach nichts auf Munich.

Text: -Ullrich Maurer (Köln) / Dirk Ducar (München)-
Fotos: -Ullrich Maurer-
 

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