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18.11.2010
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Nothin' but a house party!

Jesse Malin
Richard Bacchus

Essen, Zeche Carl
18.11.2010

Jesse Malin
Ein bisschen fühlten wir uns schon an jenen 20. März 2003 erinnert, als Jesse Malin vor weniger als einer Handvoll Zuschauern im Gebäude 9 in Köln auftrat, denn auch beim vorsorglich von der Halle in die Kneipe der Zeche Carl verlegten Konzert des größten aller kleinen Superstars war das Zuschaueraufkommen eher gering. War damals in Köln der Beginn des zweiten Golfkrieges der Grund für den schwachen Besuch, fehlte es in der europäischen Kulturhauptstadt 2010 wohl schlicht und ergreifend an ausreichend Menschen mit vernünftigem Musikgeschmack. Oder es gab an diesem Donnerstagabend irgendwo einen Atomkrieg, von dem die Anwesenden nichts mitbekommen hatten? Nein, das einzig Explosive an diesem Abend waren vermutlich Jesse Malin und seine Band.

Doch bevor die fünf Rock'n'Roller mit dem Punk im Herzen auf die Bühne durften, stand dort Malins alter Generation D-Weggefährte Richard Bacchus und mühte sich redlich, das Interesse der verstreuten Menge zu wecken. So recht wollte ihm das nicht gelingen, dafür zündeten seine aus dem Leben gegriffenen Punkrock-Songs im Unplugged-Format zu wenig. Immerhin ließ uns der Amerikaner mit der vom Leben gezeichneten Stimme noch wissen, dass er ganz anders sei als die Charaktere seiner Songs und dass er das Publikum beim Plausch am Merch-Stand nach der Show nicht beißen würde, es sei denn, er würde darum gebeten. Am Ende, nachdem er sich mit einer Reibeisen-Version von The Clashs "Bankrobber" verabschiedet hatte, lud er sogar das gesamte Auditorium zu sich nach North Carolina ein. Nun ja, selbst wenn er nur eine mittelgroße Wohnung sein Eigen nennen würde, hätte er wohl kaum Probleme, alle Interessierten des Essener Konzerts gleichzeitig unterzubringen.

Ein wenig war Malin und seinen Mitstreitern danach anzusehen, dass sie auf ein paar mehr Zuschauer gehofft hatten - auch wenn der New Yorker Singer/Songwriter gleich mehrfach unterstrich, dass dies ja sein erstes Gastspiel in Essen sei. Richtig den Spaß verderben ließen sich die fünf Herren natürlich dennoch nicht, denn dass er allen Widrigkeiten trotzt, das hat der Mann mit den berühmten Seelenverwandten / Weggefährten schon des Öfteren bewiesen. Also wurde das Konzert zu einer kleinen Privatparty umfunktioniert, was nebenbei bemerkt ganz ausgezeichnet zu Malins J. Geils-T-Shirt passte. Gleich zu Beginn legte das Quintett mit dem alten Heuler "TKO" und dem neuen Kracher "Burn The Bowery" ordentlich vor. Ganz nebenbei diktierten diese beiden Songs auch die Richtung, die das rund 90-minütige Set nehmen sollte: Neben vielen Songs aus der feinen aktuellen Platte "Love It To Life" gab es auch viele Rückgriffe auf Malins ungeschlagenes Solodebüt "The Fine Art Of Self Destruction", dazwischen ein paar Abstecher zum restlichen Oeuvre und natürlich eine Reihe seiner legendären ausufernden Geschichten. So erzählte er ausführlich von einer Tourerfahrung mit Gogol Bordello und seinem Ausflug zum "bösen Russen" (Malin hat die Reagan-Ära im prägenden Teenager-Alter miterlebt) und seine Amüsement über die inzwischen überall in Moskau ansässigen US-Fast-Food-Ketten, Stichwort für den Song "All The Way From Moscow". Auch von den Anrufen seiner Freunde und Bekannten, die ihn zu seinem (angeblichen) neuen Reichtum beglückwünschten, da die Songs seines Albums "On Your Sleeve" selbst bei Starbucks und IKEA rauf und runter liefen, berichtete er ausführlichst, schließlich enthielt das Werk ausschließlich Fremdkompositionen und das Geld war nur für andere ein Segen, während sich Malin sein Geld als Busker zusammenspielte. Der Story folgte eine wirklich bewegende Piano-Version des Replacements-Highlights "Bastards Of Young". Einmal von der Gitarre befreit, nutzte Malin die Gelegenheit auch noch für einen Ausflug quer durchs Publikum, um sich an der Bar etwas Hochprozentiges zu bestellen, wenngleich sich das Ganze ob der Sprachbarriere als gar nicht so einfaches Unterfangen herausstellte.

Zurück auf der Bühne, ließ er dem sanften Zwischenspiel die erste von mehreren wüsten Punkrock-Nummern folgen, die ihm ob seiner Vergangenheit gegönnt seien, dennoch zwischen all den feinen Singer/Songwriter-Nummern seltsam deplatziert wirkten. Dennoch steuerte die Show nach einer hinreißenden Version von "Wendy" zielsicher auf den nächsten Höhepunkt zu: Anlässlich des 70. Geburtstages von John Lennon warfen sich Malin und The St. Marks Social mit großer Inbrunst in "Instant Karma", bevor der Sänger beim ausgewalzten Mittelteil zunächst das Publikum bat, sich auf den Boden zu setzen, bevor er selbst auf den Fliesen vor der Bühne Platz nahm und ellenlang, aber dennoch amüsant seine Band vorstellte, für die er offenbar eine Menge übrighat, wenngleich die Herren größtenteils aus Los Angeles stammen, einer Stadt, in der sich Malin, der nach eigener Aussage New York lebt und atmet, natürlich nicht wirklich zu Hause fühlt.

Sich an die zuvor notierte Setlist zu halten, hatten die fünf Musiker zu diesem Zeitpunkt längst aufgegeben, und auch wenn so einige potenzielle Highlights wegfielen, hatte die Zugabe mit "Broken Radio" doch noch ein letztes i-Tüpfelchen zu bieten, bevor die Band den Abend laut und wild mit "In The Modern World" beschloss. Für ein restlos mitreißendes Konzert hätte Malin vermutlich mehr Publikum und dessen Reaktionen benötigt, als hart arbeitender Rock'n'Roller, der alle großen Gesten des Genres aus dem Effeff beherrscht und sich nicht zu schade ist, auch für ein kleines Publikum das Bestmögliche aus dem Abend zu machen, präsentierte er sich in Essen aber dennoch - und das ist aller Ehren wert.

Surfempfehlung:
www.jessemalin.com
www.myspace.com/jessemalin
en.wikipedia.org/wiki/Jesse_Malin
www.richardbacchus.com
www.myspace.com/richardbacchus

Text: -Simon Mahler-
Foto: -Simon Mahler-
 

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