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03.03.2012
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Wer ist schon Sharon Van Etten?

Julie Peel
Hailey Wojcik

Köln, Herbrand's
03.03.2012

Julie Peel
Julie Peel und Hailey Wojcik sind nun wirklich keine Namen, die man unbedingt kennen muss. Julie stammt ursprünglich aus Frankreich, Hailey eigentlich aus Michigan. Jetzt teilen sich beide in New York eine Wohnung, wenn sie nicht gerade gemeinsam durch Europa tingeln, um hinreißende Konzerte wie dieses im kleinen Hinterzimmer-Club des Köln-Ehrenfelder Restaurants Herbrand's zu spielen. Überglücklich bedankten sich die zwei jungen Damen gleich mehrfach bei der umtriebigen lokalen Veranstaltergruppe Club der 40 e.V., die ihnen nicht nur einen ersten Abstecher nach Deutschland ermöglicht, sondern auch noch dafür gesorgt hatte, dass das Konzert für eine undergroundige Insider-Veranstaltung geradezu unerwartet gut besucht war.

Hailey Wojcik
Dass Haileys aktuelles Album "Diorama" ein entzückend spleeniges Goth-Punk-Gesamtkunstwerk ist, das in seinen besten Momenten mit all seinen kleinen Gimmicks, verrückten Einwürfen und unvermittelten Tempowechseln ein wenig an Amanda Palmer und die Dresden Dolls erinnert, ließ sich in Köln bestenfalls erahnen. An die Stelle von schrägem Pop-Appeal trat im Herbrand's nämlich vor allem ungestüme Riot-Grrrl-Wucht. Notgedrungen solo und mit Stromgitarre angetreten - in den USA steht sie gemeinsam mit einem Schlagzeuger auf der Bühne - bildete die wilde, bisweilen etwas schroffe Performance der kleinen Amerikanerin mit den langen, roten Haaren und den klobigen Stiefeln einen prima Kontrast zu ihren schüchternen Ansagen, bei denen sie sich oft kaum traute, ins Publikum zu schauen, sondern lieber den Blickkontakt mit der an der Bar stehenden Julie suchte. Nach einer halben Stunde sagte ihre innere Stimme ihr, dass sie ihr Ausrufezeichen mit ausgezeichneten Stücken wie "Wise Blood" gesetzt hatte, doch ermuntert von Publikum und Veranstaltern spielte sie dann doch noch ein paar weitere Nummern, die allerdings den vorangegangen recht ähnlich waren und so den tollen Eindruck der ersten Hälfte des Auftritts leider etwas verwässerten. Für eine echte Zugabe reichte es dann - sehr zu Haileys Verwunderung - trotzdem. "Das passiert mir sonst nie!", sagte sie todernst.

Julie Peel
Dass Julie ein klassisches 60s-Foto von Dylan als Displaybild auf ihrem Smartphone hat, in Köln ihr erstes Lied, "Once More With Feeling", allerdings als von "Buffy The Vampire Slayer" inspiriert ankündigte ("Sorry, I just Love 'Buffy'", fügt sie noch schnell hinzu), zeigt schon, dass wir es hier mit einer Künstlerin zu tun haben, deren mit sanfter, aber doch einnehmender Stimme gesungenen Songs zwar auf althergebrachten Singer/Songwriter-Traditionen fußen, aber keinesfalls um Retro-Authentizität bemüht sind. Zwar hatte sie auch einige wunderbar zerbrechliche Folk-Balladen im Programm, die durchaus auch Alela Diane oder First Aid Kit gut zu Gesicht stehen würden ("Innocence"), doch vor allem schreibt sie tolle, herrlich unaufdringliche Folk-Popsongs wie "Living In A Movie", die nicht nur Indierockern mit Herz gefallen, sondern durchaus ein breiteres Publikum erreichen sollen. Dass sie das tun, zeigte sich auch in Köln: Obwohl das Publikum restlos begeistert war, erntete Julie, als sie von ihrem Paris-Konzert gemeinsam mit der Senkrechtstarterin Sharon Van Etten oder ihrem Faible für Carrie Brownstein und "Portlandia" erzählte, bei den Zuschauern nur leere Blicke. Könnte es einen besseren Beweis dafür geben, dass sie auch Menschen außerhalb der Indie-Blase anspricht?

Das Highlight des Sets war dagegen der Song, der den Spagat zwischen den Extremen vielleicht am besten verdeutlichte. Das wunderschöne "Sister" schien mit seinen Mundharmonika-Solos in Richtung Neil Young zu deuten, kokettierte textlich allerdings mit Anspielungen an Carly Simons 70s-Pop-Evergreen "You're So Vain". Auch die erste Zugabe war eine Hommage: Gemeinsam mit Hailey und einem nicht weiter namentlich vorgestellten Mitglied des Veranstalterteams als Gast am Akkordeon sang sie Daniel Johnstons "Lousy Weekend" und tat dies so gut, dass anschließend sogar noch eine ungeplante zweite Zugabe hermusste, bei der sie ihre schwermütigste, aber vielleicht auch eindringlichste Nummer, "Let Go" (von ihrem neuen Projekt Daltonians), spielte und so das Konzert zwar auf dem emotionalen Tiefpunkt, aber mit einem echten musikalischen Höhepunkt beendete. "War das jetzt depressiv oder was?", fragte sie am Ende des Lieds rhetorisch, konnte sich dann aber ein schüchternes Lachen doch nicht verkneifen.

Ganz nebenbei gewann sie an diesem Abend auch noch den Preis für das originellste Merchandise: Sie verkaufte nämlich nicht nur CDs zu Spottpreisen, sondern bot sogar ihre eigens für diese kurze Europa-Tournee gekaufte Akustikgitarre feil. "Hailey und ich haben darauf gespielt - und Sharon Van Etten!", pries sie das Instrument an und fügte dann noch spitz, wenngleich lächelnd hinzu: "Aber das bedeutet euch ja nichts, weil ihr Sharon ja nicht kennt!" Die meisten Besucher des Konzerts dachten da vermutlich: Wer braucht schon Sharon Van Etten, wenn wir stattdessen Julie Peel haben können?

Surfempfehlung:
www.juliepeel.com
www.haileywojcik.com

Text: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Carsten Wohlfeld-
 

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