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17.11.2012
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"Wir wollen euch glücklich machen!"

Nada Surf
Tall Ships / Ezra Furman

Bochum, Zeche
17.11.2012

Nada Surf
"Fuck it - I'm going to have a party!" - das war nicht nur der Refrain des letzten Songs an diesem ausgezeichneten Konzertabend, es war auch das Motto der gesamten Veranstaltung. Tausende zusammen verbrachter Reisekilometer in den letzten vier Wochen hatten aus den Tour-Kollegen Nada Surf, Tall Ships und Ezra Furman ganz offenbar dicke Freunde gemacht, die im Herzen des Ruhrpotts nun die letzte Chance auf eine gemeinsame Party hatten - und die fand zur Freude des Publikums nicht nur hinter der Bühne, sondern auch darauf statt. Da konnten wir Nada Surf-Sänger/Gitarrist Matthew Caws sogar verzeihen, dass er etwas streng roch: Seine geplante Dusche musste ausfallen, weil er unbedingt Ezras Set sehen musste, und als er sich dann zumindest rasieren wollte, standen Tall Ships bereits auf der Bühne, und auch deren Auftritt war für den sympathischen Amerikaner unverpassbar...

Ezra Furman, der nur mit Akustikgitarre angetretene junge Bengel aus San Francisco, hatte nicht nur herrlich punkig vorgetragene Folk-Songs mit großem Schmunzel-Faktor im Gepäck, sondern auch die dazu passenden rotzfrechen Ansagen. So erklärte er gleich zu Beginn, dass er sich im Klaren darüber sei, dass wir nicht seinetwegen da seien, was aber nicht schlimm wäre, denn er sei auch nicht unsertwegen da (sondern, so darf vermutet werden, um seine Freunde Nada Surf zu sehen), und nach "Dr. Jekyll & Mr. Hyde" aus seinem just veröffentlichten Album "The Year Of No Returning" meinte er sinngemäß, dass wir nun hoffentlich glücklich seien, denn einen so guten Song würden wir für lange Zeit nicht zu hören bekommen. Letzteres stimmte allerdings nur bedingt, denn im Bob Dylan-Modus (sprich: mit Mundharmonika und Sonnenbrille) spielte er gleich danach das urkomische "Take Off Your Sunglasses", und sogar für ein kurzes Buddy Holly-Medley blieb noch Zeit! Selbst bei den ernsteren Nummern wie dem fast als Springsteen-Ballade tauglichen "Don't Turn Your Back On Love" ging's nicht vollkommen ohne Augenzwinkern, wie die Kernaussage "Heartbreak is my roommate now" bewies... Sämtliche Lieder trug Ezra dabei mit so viel Verve und Spaß vor, dass es eine helle Freude, war, ihm zuzuhören - und wann kann man das beim Support des Supportacts schon mal sagen?

Musikalisch eine vollkommen andere Baustelle, aber genauso eindrucksvoll: Tall Ships! Erst kürzlich kürten wir "Everything Touching", das erste Album der drei Briten, an dieser Stelle zur Platte der Woche und stellten Vergleiche mit Battles, Explosions In The Sky und Foals an, und auch auf der Bühne entpuppte sich die Musik des Trios als intelligent und urgewaltig. Gleich mehrfach streckte die Wucht der Musik Frontmann Ric Phethean zu Boden, doch das machte gar nichts: Er spielte seine Gitarre einfach auf dem Rück liegend weiter! Kurz vor Ende des phongewaltigen halbstündigen Sets waren dann Gitarre, Bass, Schlagzeug und der großzügig eingesetzte Sampler nicht mehr genug: Zusätzliches Personal wurde auf die Bühne gebeten und das Schlagzeug von vier Mann gleichzeitig verdroschen, während Ric Gitarre und Keyboard gleichzeitig bediente und dabei trotzdem noch abging wie Kurt Cobain selig. Ein intensives Spektakel! Doch Tall Ships können auch anders, wie das sanfte "Gallop" bewies, bei dem die Handclaps der drei Musiker den oft apokalyptischen Wumms der vorangegangenen Songs ersetzten.

Trotz des exzellenten Aufwärmprogramms hatten Nada Surf danach keine Mühe, das Publikum mit hohem Tempo und ihren sagenhaft eingängigen Songs für sich zu gewinnen. Wie schon Ezra und Tall Ships zuvor war auch das abermals um den zusätzlichen Gitarristen Doug Gillard (Guided By Voices) verstärkte US-Trio vom End-of-Tour-Virus infiziert und vom ersten Ton an wild entschlossen, aus dem Konzert eine Party zu machen - alle erdenklichen Albernheiten eingeschlossen. So wurde dem Publikum vor "When I Was Young" 30 Sekunden Zeit zum Reden gegeben, denn "die Erfahrung zeigt, dass sonst alle während der ruhigen Parts des Songs anfangen zu quatschen", Bassist/Kettenraucher Daniel Lorca konnte sich als den größten Fehler in Matthews Leben outen und Drummer Ira Elliot durfte Erdnussflips in die Menge feuern. Natürlich dankte Matthew auch dem kompletten Tourpersonal, Busfahrer inklusive, "denn ohne ihn wären wir heute nicht hier!" Trotz all der Ausgelassenheit: Ganz ohne Appelle an Herz und Verstand ging es natürlich doch nicht, wie die Kommentare zu den Hurrikan-Verwüstungen in Brooklyn und zum Klimawandel im Allgemeinen zeigten, bevor die Band passend dazu "No Snow On The Mountain" spielte. Der Fêtenstimmung tat das allerdings keinen Abbruch.

Zu einer echten Party gehören natürlich auch Überraschungsgäste, und auch die gab es reichlich: Anders als bei den meisten anderen Shows der Tour, bei denen Nada Surf ihr 1996er-Debütalbum "High/Low" komplett ausgespart hatten, gab es deshalb in Bochum den alten Heuler "Tree House" zu hören, und sogar das wunderbare, lange nicht mehr gehörte "Paper Boats" aus dem inzwischen zehn Jahre alten Meisterwerk der Amerikaner, "Let Go", war im Programm. Die Zugabe geriet sogar kurzzeitig zum Wunschkonzert. Zuerst spielten Nada Surf das wundervolle "Blonde On Blonde" (Matthew: "Die Leuten fragen immer: 'Warum? Warum? Warum?', wenn wir es nicht spielen, deshalb sagen wir jetzt: 'Okay! Okay! Okay!'"), und auch die folgende Nummer sollte eigentlich auf dieser Tour nicht zum Zuge kommen, aber, wie Matthew grinsend erklärte: "Es ist der letzte Abend der Tour und wir wollen euch glücklich machen!" Also gab es sogar noch "Popular" zu hören! Für die allerletzte Nummer baten Nada Surf dann die komplette Crew - Tourmanager, Merchandiser, die Musiker von Tall Ships und den inzwischen in ein Kleid geschlüpften Ezra - mit Kazoos auf die Bühne, schließlich verlangte das schier endlos ausgewalzte "Blankest Year" nach einer Horn Section, während das Publikum den "Fuck It! I'm going to have a party!"-Chor geben durfte. Ein wüstes, aber passend zum Rest des Abends auch sehr amüsantes Finale!

Nur eine Frage blieb auch dieses Mal ungeklärt: Wie schaffen es Nada Surf eigentlich, ein Publikum anzuziehen, das in den vorderen Reihen (und nicht nur dort) größtenteils aus attraktiven jungen Damen besteht, während andere Bands mit Musikern jenseits der 40 fast ausschließlich vor männlichen Resthaarträgern mit Bierbäuchen und unmodischen Klamotten auftreten?

Surfempfehlung:
www.nadasurf.com
wearetallships.co.uk
www.ezrafurman.com

Text: -Simon Mahler-
Foto: -Simon Mahler-
 

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