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07.08.2014
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Einfach zu verstehen

Haldern Pop Festival 2014 - 1. Teil

Rees-Haldern, Alter Reitplatz Schweckhorst
07.08.2014

Mariam The Believer
Das diesjährige Haldern Pop Festival war sehr einfach zu verstehen, denn die 31. Ausgabe kam dieses Mal ganz ohne rätselhaft verschlüsseltes Motto aus. (Lediglich in der festivaleigenen Zeitung "Datt Blatt" hatte Impresario Stefan Reichmann im Editorial die Parole "merkwürdig anders" ausgegeben.) Allerdings wurde das Motto von anderer Stelle auf direktem Wege bestimmt - von der Meteorologie nämlich. Diese lag für Haldern mit der allgemeinen Wettervorhersage nämlich auf groteske Weise daneben. Der als wechselhaft angekündigte Donnerstag entpuppte sich als elegant heißer Hochsommertag und der als "schöner Sommertag" angepriesene Freitag war vom Beginn der Festlichkeiten ein schmuddelig grau drückendes Ungetüm und pünktlich mit Beginn der Open-Air Aktivitäten begann es zu nieseln, was dann schnell in den gefürchteten Halderner Statik-Regen umschlug, den man zum Glück in den letzten Jahren ins Reich der Legenden verdrängen hatte können. Das war dann - wie das musikalische Programm auch - ebenfalls einfach zu verstehen. Es gab die übliche, höchste eklektische, persönliche, vollkommen unberechenbare, letztlich aber effektive Mischung mit 80%-igem Testosteron-Überschuss in der sich Newcomer, Label-Favoriten, Legenden, Haldern-Veteranen, werdende und gewordene Legenden und Publikumslieblinge die Mikros in die Hand gaben.

Los ging es - wie mittlerweile üblich - in der Halderner Kirche mit einem entspannten Programm. Der Londoner, der sich Tom The Lion nennt und gerne Filmmusik schreiben würde, setzte mit seinen ruhigen, im Duo-Format und auf der elektrischen Gitarre vorgetragenen sanftmütigen Elegien den Akzent, der im Folgenden für die Vorträge in der Kirche gelten sollte, die dieses Jahr (und besonders am zweiten Tag) ganz im Zeichen des von André de Ridder geleiteten Stargaze-Musikerensembles aus Berlin stand.

Im Spiegelzelt ging es um 17:30 Uhr dann mit einem Auftritt von Mariam The Believer los, der sich sogleich als absoluter Höhepunkt entpuppte. Zusammen mit ihrem Gatten, Andreas Wellin, der auch in ihrer Band tätig ist, war die Schwedin Mariam Wallentin schon ein Mal mit ihrem anderen Projekt, Wildbirds & Peacedrums (dessen neue Scheibe kurz vor der Tür steht) auf Haldern gewesen. Mit ihrem Believer-Projekt hat sie indes eine neue Richtung eingeschlagen, die in einer Art einzigartigen Indie-Soul gipfelt, bei dem sich Mariam als höchst emotionale Croonerin präsentiert, die mit ihrem intensiv-greifbaren Vortrag aus dem Bauch heraus alles in den Schatten stellt, was sich ansonsten an solch einer Vortragsweise versuchen könnte. Kurzum: Es gibt zur Zeit niemanden, der auf eine dermaßen beängstigende, verletzliche, physisch nahegehende und eben emotionale Weise singt. Auch wenn das mit klassisch-korrekter Intonation nichts zu tun hat, längst nicht jeder Ton da sitzt, wo er hingehört und stilistisch um jede Handbreit Individualität gerungen wird: Das ist absolut beeindruckend und sehenswert. Neben der Tracks ihrer Debüt-CD "Blood Donation" gab es ein neues Stück und eines ihrer "The Wind"-EP, auf der sie sich mit melodischen Torch-Song-Balladen nach ihren Bedingungen beschäftigt. Und ganz nebenbei: Der grandiose, zum Schluss gegebene Song-Orkan "Invisible Giving" war das wagemutigste, effektivste und beeindruckendste Stück Musik im Song-Format des letzten Jahres.

Den ersten Kontrapunkt bildeten die nächsten vier Acts, die eines gemein hatten: Obwohl stilistisch vollkommen unterschiedlich, ging es bei Big Ups aus New York, The Districts aus Philadelphia, The Fat White Family aus London und Royal Blood aus Brighton nicht darum, Songs vorzustellen oder gar Geschichten zu erzählen, sondern ein musikalisches Konzept mit teilweise erstaunlicher Gewaltanwendung zu demonstrieren und durchzusetzen. Die Big Ups machen dabei Stolper-Screamcore mit spastischen Einlagen, The Districts Stop-And Go Kunst-Rock der harten Gangart, der auf autistisch introvertierte Art zelebriert wurde, The Fat White Family präsentieren Psycho-Drones Brit-Stoner-Rock mit dynamischem Ausdruckstanz und das Duo Royal Blood hatte mit Drums und als Gitarre entfremdetem Bass eine relativ eigene Nische kreiert, in der präzise getimte Urgewalten im Rockmodus aufeinander prallten. Auf die eine oder andere Art konnte man dieser Mixtur auf intellektueller Ebene durchaus gewisse technokratische Aha-Effekte und Unterhaltungswerte abgewinnen: Die Posen von Bip Ups-Vorturner Brendan Finn waren dabei etwa ebenso ulkig wie das messianische Gehabe des TFWF-Frontmannes und bekennenden Mark E. Smith-Fans Lias Sauidi und die Turnübungen, die beide Protagonisten des Royal Blood Projektes - nah oder gar im Publikum - absolvierten. Lediglich The Districts fielen da ab, da sich die Herren nicht für das Publikum interessierten, sondern lieber miteinander spielten. Letztlich war das alles schweißtriefender "Männermist", für den sich dann entsprechend auch nur wenige Damen interessierten.

Anders war das schon bei Trampled By Turtles. Das Bluegrass-Kleinorchester aus Duluth hatte jedenfalls keine Mühe, mit der speziellen Art, Highspeed-Bigband-Bluegrass und songorientiertes Storytelling mit fantastische Harmoniegesänge zu einem schlüssigen Ganzen zu verquicken und partymäßig und generationenübergreifend unter einen Hut zu bringen. Jung und Alt, Männlein und Weiblein, Groß und Klein versammelte sich schließlich zu einer Familienfeier vor der Byzanzstage im Biergarten und es konnten gleich mehrere Hoedowns an verschiedenen Stellen im Publikum beobachtet werden. Und das, obwohl die Herren um Frontmann Dave Simonett mit den überraschend melodischen Balladen ihres großartigen neuen, siebten Albums "Wild Animals" sich durchaus auch ein Mal zurückzunehmen wissen.

Ein weiterer Höhepunkt stand dann im Spiegelzelt bereit: The Slow Show aus Manchester. Die noch junge Band, die sich nach einem Song von The National benannte, steht noch am Anfang der Laufbahn, die im Folgenden zum Haldern Pop Label führen wird - was natürlich Grund genug war, die Jungs um den sympathisch/charismatischen Frontmann Rob Goodwin einzuladen. Als besonderes Bonbon hatten die Herren den Chor Cantus Domus (der am nächsten Tag in der Kirche auftreten sollte) und ein paar Bläser des Stargaze-Orchester mit dazu gebeten. "Ihr müsst schon entschuldigen, aber das ist auch für uns neu", erklärte Goodwin schmunzelnd, als es darum ging, die weit über 20 Musiker auf der kleinen Bühne zu sortieren. The Slow Show bieten - ihrem Namen entsprechend - melancholisch hymnischen Folkpop mit großer Geste, großem Melodienreichtum und großer emotionaler Tiefe. Die - oft von Piano-Untermalung begleiteten, mit stoischer Gelassenheit und entwaffnende, Charme vorgetragenen Balladen stießen beim Publikum jedenfalls auf große Begeisterung. The Slow Show sind eine dieser typischen Haldern Entdeckungen, derentwegen sich der Besuch eigentlich per se immer und jederzeit rechnet.

Nach der Slow Show gab es auf der Byzanzstage dann das Gegenprogramm, als nämlich der Ober-Hippie Kurt Vile mit seinen Violators einen rundum gelungenen Gig feierte, in dem Garagenrock, Grunge, Stoner-Rock und sogar eine Prise Glam fröhliche Urstände feierten. Das alles wurde in schön klassischer Old-School-Manier dargeboten und Vile achtete streng darauf, dass seine kunstvoll zerzausten Haare stets und immer so in seinem Gesicht hingen, dass es aussah, als trage er seinen Kopf verkehrt herum auf dem Hals.


Weiter zum 2. Teil...

Surfempfehlung:
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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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