Fenster schließen
 
12.08.2016
http://www.gaesteliste.de/konzerte/show.html?_nr=2606
 
Be true - not better

Haldern Pop Festival 2016 - 2. Teil

Rees-Haldern, Alter Reitplatz Schweckhorst
12.08.2016

Loney Dear
Der zweite Tag des Festivals begann erst mal mit einer Goldenen Hochzeit. Diese war nämlich in der Kirche vor dem eigentlichen Programm angesetzt gewesen und sorgte dann auch gleich für einen Verschiebung des Zeitplans. Der Chor Cantus Domus führte - zunächst alleine, dann mit den Musikern des Stargaze-Orchesters - eine Sammlung von Kantaten auf, die der Festival-Leiter Stefan Reichmann zuvor als "harten Stoff" angekündigt hatte, die sich aber im Folgenden dann doch als - wenn auch nicht entspannte, dann aber doch spannende Etüden in allen möglichen wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen Sprachen entpuppten; hauptsächlich aufgrund des Umstandes, dass diese betont variantenreich und lyrisch interpretiert wurden (im Gegensatz zu den nervösen und eher abstrakten Avantgarde-Attacken, die im letzten Jahr auf die Menschheit losgelassen wurden).

Danach ging es dann im Spiegelzelt mit alten Bekannten los: Die Hothouse Flowers sind - in verschiedenen Konstellationen und dieses Mal als Trio der Urbesetzung - seit 1998 immer mal wieder Gäste in Haldern. In diesem Jahr lehnten sich die Jungs um Liam Ô Maonlai entspannt zurück und ließen sich von der strukturellen Elephantiasis ihrer inzwischen frei und folklorig ausgelegten Arrangements gerne überwältigen und dann auch Treiben: Bis hin zur Überziehungskur. Nun gut: Die Herren müssen niemandem etwas beweisen - und tun das seit 2004, dem Jahr, in dem die letzte CD erschien, eigentlich auch nicht mehr, sondern musizieren einfach aus Spaß an der Freude. Was sich natürlich auf die Zuschauer überträgt. Auf der Hauptbühne ging es eigentlich in diesem Sinne weiter - mit dem Unterschied, dass der ähnlich schratige Act, Ben Caplan und seine Band aus Kanada natürlich einige Jahrzehnte weniger auf dem Buckel hat, als die irischen "Glashaus-Blumen" (wie Liam einleitend formulierte). Caplan & Co. spielen ihre ganz eigene Version des Power-Folk, der natürlich nicht gälisch (oder wie beim Set der Flowers gar weltmusikalisch) ausgerichtet ist, sondern sich dem Spektrum der Americana-Sounds bedient. Inklusive Melodica übrigens.

Vom Großteil des Publikums unbemerkt passierte im Tonstudio Keusgen ein weiterer, klassischer Haldern-Moment: Es gab einen Secret-Gig von The Slow Show, auf dem Rob Goodwin und seine Mannen - zusammen mit einigen Gastmusikern - sechs Stücke ihres kommenden Albums "Dream Darling" als Premiere aufführten. "Haldern ist so etwas wie unsere Heimat", erklärte Goodwin, "und deswegen wollten wir die Stücke unbedingt hier vorstellen." Bei sechs Stücken musste es übrigens deshalb bleiben, weil die andere vier noch nicht geprobt worden waren. Wie nicht anders zu erwarten, gab es die klassische Slow Show-Melancholie in perfektes Taktmaß gegossen und mit - angesichts des improvisierten Charakters der Show - bemerkenswert tightem Band-Sound. Übrigens scheint zumindest Goodwin sympathischerweise immer noch davon überrascht zu sein, wenn seine Musik dem Publikum tatsächlich auch zusagt.

Auf der Hauptbühne hatte sich derweil das Trio Algiers aus Atlanta, Georgia, eingerichtet. Es gab dann einen attraktiven Mix aus Rock, Gospel, Elektronik, R'n'B und Punk, der wesentlich unterhaltsamer, abwechslungsreicher, detaillierter und druckvoller rüberkam, als es auf der Scheibe der Fall ist. Dass der energische Frontmann Franklin James Fisher, der im Übrigen des Französischen mächtig ist, später von einem nicht mehr ganz zurechnungsfähigen Fan für Michael Kiwanuka gehalten wurde, fand wahrscheinlich niemand so richtig witzig.

Im Spiegelzelt dominierten dann plötzlich die Einhörner. Zum Glück nur welche aus Stoff. Prinzipiell spielt das irische Quintett Walking On Cars soliden Indie-Pop mit einem gewissen, nervösen Schrammelfaktor. Aus irgendwelchen Gründen und obwohl die Band mit Sorcha Durham sogar eine hauseigene Keyboarderin besitzt, haben es Patrick Sheehy und seine Musiker geschafft, in das Universum der Teenie-Bands aufzusteigen - was die Anwesenheit vieler junger Damen im Publikum erklärte. Nicht, dass Walking On Cars irgendetwas Besonderes oder Neues machen - sie tun das aber sehr fotogen und mit einer gewissen, an Musikvideos erinnernden Präsentation. Mit so etwas hat Michael Kiwanuka nichts am Hut. Der junge Mann aus England hat mit seiner neuen CD "Love & Hate" soeben den Durchbruch in den Mainstream geschafft und lebte diesen Umstand bei seinem gut besuchten Gig auf der Hauptbühne entsprechend musikalisch aus. Allerdings auf einen unbedingt notwendigen No-Nonsense-Präsentationsfaktor reduziert. So begann er die Show z.B. mit einem zehnminütigen, introvertierten Pink-Floyd-haften Instrumental und machte auch im Folgenden nicht viel Anstalten, seinen Unterhaltungswert als Performer zu steigern. Es wurde hier schlicht handgemachte, ehrliche Popmusik geboten. Das muss ja nicht schlecht sein, konnte aber andererseits auch nicht so wirklich mitreißen.

Dieses ganz im Gegenteil zu dem folgenden Act, der Band Arthur Beatrice aus England. Das Quintett aus London macht spätestens seit der Veröffentlichung der zweiten CD "Keeping The Peace" alles richtig: Die Artpop-Elemente des Debüts wurden zugunsten eines druckvollen Powerpop-Sounds zurückgefahren - vor allen Dingen aber, wurde die richtige Entscheidung getroffen, Ellie Giradot als alleinige Frontfrau ins Zentrum der Betrachtungen zu stellen. Diese überzeugte auch in Haldern wieder ein Mal mit einer mitreißenden Performance, einer durchdringend intensiven Gesangsstimme, die auch in den höchsten Tönen stets souverän jubilerende Stimmbandpower bietet und einer zumindest originellen, aber auf jeden Fall unterhaltsamen Choreografie. Es schadet natürlich auch nicht wirklich, dass die Gute dabei blendend aussieht. Eher schadet es, dass sie nicht viel unternimmt, mit dem Publikum zu kommunizieren. Unterhaltsam und mitreißend ist das Ganze aber allemal.

Während dessen hatte sich auf der Hauptbühne das Glen Hansard-Orchester formiert. Und hier führte der Meister dann immer wieder gerne durch sein oft gehörtes Programm. Das geht meistens so, dass die Sache eher unverfänglich als unscheinbarer Folksong zu beginnen scheint, und sich im Folgenden zu einem tobenden Tornado steigert, den Hansard immer wieder energisch befeuert. Wie zum Beispiel - aber keineswegs ausschließlich - bei dem heimlichen Hit "When Your Mind's Made Up", den er ja noch mit den Frames einspielte, die wieder als Begleitband dabei waren, obwohl Hansard ja eigentlich nie wieder Frames-Scheiben machen wollte. Das ist aber wohl die irische Natur, die sich hier Bahn bricht und unter anderem auch dazu führte, dass Hansard zu den Zugaben seine alten Freunde Liam Ô Maonlai und Peter O'Toole von den Hothouse Flowers auf die Bühne holte, um gemeinsam den Zeitrahmen zu sprengen.

Im Spiegelzelt wurde derweilen das Set für Låpsley eingerichtet, die im letzten Jahr - noch ohne Veröffentlichung - in der Kirche "entdeckt" worden war und sich nun mit diesem Gig quasi dafür bei Haldern bedankte. Im Vergleich zu ihrer zwischenzeitlich absolvierten Headliner-Tour war das Bühnensetting - ohne aufwendige Lichtinstallation - für den Festivalbetrieb zurückgefahren worden. Was jedoch geblieben zu sein scheint, ist Låpsleys eigenartige Vorliebe für zeltartige Körperbedeckungen. Musikalisch war das Set dieses Mal deutlich poppiger ausgerichtet, als der jazzige Vortrag im letzten Jahr.

Auf der Hauptbühne lief nun der aufwendige Soundcheck für den Auftritt des Haldern-Pop-Gewohnheitstäters Emil Svanängen alias Loney Dear, der zu diesem Anlass die Songs seines im Herbst erwarteten neuen Albums (natürlich auf Haldern Pop) vorstellte. Neben seiner sympathisch locker und unkonventionell lospolternden Band waren als Gäste wieder die Mitglieder von Cantus Domus dabei, die bereits am Tag zuvor den Meister bei einigen seiner Elaborate begleitet hatten - nicht jedoch die Musiker des Stargaze-Orchesters (diese standen statt dessen laut mitsingend im Publikum). Hier bestätigte sich dann eine Vermutung, die sich bereits Gig in der Kirche eingeschlichen hatte: Dass nämlich die eigentlichen Stücke Svanängens ohne die hinreißenden Arrangements André de Ridders gar nicht jene Dimensionen und Perspektiven bieten, die sich am Vortag eröffnet hatten. Allerdings machte Svanängen das mit seiner ansteckenden Begeisterung und Steigerungsfähigkeit teilweise wieder weg, was im unorthodoxen Zusammenspiel mit der Band und einigen lustigen technischen Fauxpas (kaputtes Tambourin) zu einer letztlich dann doch recht unterhaltsamen Präsentation des vielleicht substantiell nicht ganz so erschöpfenden Materials führte.

Weiter zum 3. Teil...

Zurück zum 1. Teil...

Surfempfehlung:
www.haldernpop.com
www.facebook.com/haldernpop
twitter.com/haldernpop

Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

Copyright © 2016 Gaesteliste.de
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Gaesteliste.de