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16.12.2002
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Ja, ist denn heut' schon Weihnachten?

Ken Stringfellow

Münster, Gleis 22
16.12.2002

Ken Stringfellow
Eigentlich hätte Ken Stringfellow schon am Nachmittag in Münster zum Soundcheck eintreffen sollen, um dann pünktlich um 21.00 Uhr auf der Bühne zu stehen. Als Ken nach rund zehn Stunden Anreise (das letzte Konzert hatte auf den Färöer Inseln, angeblich vor lauter 13-Jährigen im Publikum stattgefunden) das Gleis 22 betrat, war es bereits 22.00 Uhr. "Wir sind in einem Auto unterwegs, das genauso viele Sitze wie Mitfahrer hat", erzählte der Posies-Frontman später dem Publikum. "Und mich haben sie alleine nach hinten gesetzt, dort, wo eigentlich nur die Instrumente sind." Alles nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für eine gute Show, oder? Zumal Ken an diesem Abend "nur" das Vorprogramm für eine seiner vielen anderen Bands, White Flag, bestreiten sollte. Doch wer einen schlafmützigen 25-Minuten-Auftritt des Mannes aus Seattle erwartet (wenngleich nicht erhofft) hatte, wurde eines Besseren belehrt.

Angetrieben von einem geradezu ungewöhnlich enthusiastischen Publikum spielte Ken nicht nur knapp eine Stunde, sondern auch eines seiner besten Europa-Konzerte überhaupt. Um zu dieser Feststellung zu gelangen, bedurfte es – etwas überspitzt ausgedrückt - ungefähr fünf Sekunden, denn die ersten Akkorde, die Ken spielte, gehörten ohne Zweifel zu "These Days", dem großartigen – von Nico bekannt gemachten – Jackson-Browne-Song, den Ken in einer zum Weinen schönen Version brachte. Das Stück überhaupt zu spielen war schon ein Geniestreich, aber zudem gleich als Opener? Wow! Und das war längst nicht die einzige Überraschung, denn statt dem Publikum nur Songs seines aktuellen Albums "Touched" zu präsentieren, spielte er auch gleich zwei brandneue Stücke – den großartigen Walzer "Any Love Is Good Enough" (zum zweiten Mal überhaupt) und das ziemlich textlastige "Poison", das in Münster sein Live-Debüt erlebte. Kurz vor Schluss riss ihm dann eine Saite, was Ken spitzbübischerweise dazu veranlasste, sich prompt bei seinem mitten im Publikum befindlichen White-Flag-Kollegen zu "bedanken". "Ich möchte Eric Erlandson danken, dass er mir heute seine Gitarre geliehen hat. Er kommt aus L.A. Das kann man daran sehen, dass er diese luschigen Def-Leppard-Saiten benutzt, die andauernd reißen!" Aber auch mit fünf Saiten war der Rest des Sets große Kunst. Nach dem traditionellen Schlusssong "Here's To The Future" hängte Ken, ohne die Bühne zu verlassen, gleich noch eine Zugabe dran –und was für eine: Da spielte er doch wirklich Henri Mancinis Klassiker "Moon River", und das äußerst perfekt! Danach sollte eigentlich Schluss sein, aber das Publikum wollte mehr, und nachdem sich Ken bei seinen Kollegen das Okay geholt hatte ("Ich weiß nämlich nicht, ob ich autorisiert bin, noch weiterzumachen"), gab's sogar noch einen Wunsch aus dem Publikum. Dass er das großartige "Lover's Hymn" eigentlich auf dem – an diesem Abend fehlenden – Klavier spielt und für die epische 15-Minuten-Version, die er diesen Sommer gespielt hat, eigentlich seine Backingband braucht, war Ken in diesem Moment völlig egal, und so gab's als Sahnehäubchen noch eine epische Neun-Minuten-Version dieses vielleicht schönsten Songs auf "Touched". Ein Konzert, ein Wort: Sensationell!

Der anschließende Auftritt von den augenscheinlich völlig übermüdeten White Flag war kurz und heftig. Ken platzierte sein Mikro zunächst mitten im Publikum und später im Eingang zum Backstageraum (!), will meinen: Ganz so ernst nahmen es die Herren – nicht nur wegen der gewohnt gewagten Wechsel von einer Hardcore-Punknummer wie "Kill Yourself" zu beispielsweise Gram Parsons "One Hundred Years From Now" - an diesem Abend nicht. Für die letzte Nummer kam dann sogar noch ein alter Bekannter von der Band Mottek (1986 auf der letzten White Flag Europa-Tour der Support!) auf die Bühne, um mit WF "Tomorrow Never Knows" von den Beatles auseinander zu nehmen. Und so war es dann nicht verwunderlich, dass die Katerstimmung auf der Bühne in Verbindung mit der späten Auftrittszeit und der unmenschlichen Lautstärke (Eric erzählte uns nachher, dass er auf dieser Tour zum ersten Mal überhaupt Ohrstöpsel benutzt habe) dazu führte, dass WF den Laden gekonnt leer spielten. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass der großartige Soloauftritt von Ken einfach nicht zu toppen war. Dieser Abend war ein äußerst schönes vorweihnachtliches Geschenk!

Surfempfehlung:
www.kenstringfellow.com

Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-
 

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