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12.02.2007
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Mörder Berliner

The Decemberists
Lavender Diamond

Köln, Prime Club / Berlin, Postbahnhof
12.02.2007 / 14.02.2007

The Decemberists
"Mann, da haben sie euch ja ganz schön zusammengepfercht, was?", fragte Decemberists-Frontmann Colin Meloy ziemlich belustigt das Publikum im Kölner Prime Club. "Das hat jetzt nichts mit falscher Bescheidenheit zu tun, aber in den USA spielen wir schon lange nicht mehr in winzigen Clubs wie diesem", fügte er hinzu, "da macht das gleich doppelt Spaß hier zu spielen." In der Tat: In den USA zählen die Decemberists - Letterman hin und Charts-Plazierungen her - jetzt endgültig zur ersten Liga. Und es darf vermutet werden, dass dies die auch hierzulande letzte Tour in "winzigen Clubs" für die Band aus Portland gewesen sein dürfte, denn der Prime-Club war tatsächlich sardinenbüchsenmäßig bis auf den allerletzten Platz belegt. Fast, so Meloy witzelnd, habe es die zierliche Keyboarderin Jenny Conlee gar nicht zur Bühne geschafft.

Eröffnet wurde dieser im Folgenden dann denkwürdige Konzertabend von Becky Stark und ihrer Band Lavender Diamond, die hier und jetzt ihr Deutschland-Debüt gaben. Das ist ein Name, der bis dato sicherlich niemandem etwas gesagt haben wird - was sich aber nach dieser Show relativiert haben dürfte. Becky ist das, was man gemeinhin als "verrücktes Huhn" bezeichnet. "Ich gratuliere euch zum allgemeinen Weltfrieden", begrüßte sie - angetan in Schnürstiefeln und Fransenkleid - das verdutzte Publikum. Das deshalb, weil dieser Ort genauso gut sei, wie jeder andere, damit anzufangen, den Weltfrieden zu propagieren, fügte sie hinzu - und dann gings los: In ihrer Band versammeln sich ein ausgebildeter Comic-Zeichner, ein klassischer Komponist und ein Drummer mit Indianerzöpfen aber ohne Kickdrum. Und Becky liebt die Operette. So ungefähr hörte sich das Ganze dann auch an. Beckys Stimme - himmelhochjauchzend und jubilierend - durchdringt dabei so ziemlich alles; vom Bauchfell über das Herz bis hin zu den Menschenmassen vor der Bühne. "Hach, beim letzten Stück habe ich mich wie eine Elfe gefühlt", jauchzte sie, vor Begeisterung in die Hände klatschend - und es gab sicherlich niemanden, der das nicht verstanden hätte. Die Musik dazu bietet dazu praktisch alles, was sich zwischen Kitsch, Drama, Theatralik, Jazz, Vaudeville, Oper, Operette, Chanson und Rock'n'Roll so findet. Nur einen schwachen Eindruck von diesem musikalischen Naturereignis gibt die soeben bei uns veröffentlichte EP "The Cavalry Of Light" wieder, deren extremste und theatralischste Stücke Lavender Diamond auch zum Besten gaben. Der Rest der Show widmete sich der im Mai erscheinenden Debüt-CD "Imagine Our Love", die - und da braucht es keine großen prophetischen Fähigkeiten - zu den Überraschungen des Jahres zählen wird. Wie diese Show, die einfach originelle, spinnerte, exzellente musikalische Unterhaltung bot. Und eine charmant / wahnsinnige Frontfrau. Was will man mehr?

Als dann die Bühne für die Decemberists umgeräumt wurde, schälten sich immer mehr Details aus dem Halbdunkel: Bouzouki, Glockenspiel, Steel-Gitarre, Akkordeon, Geige, Viola, Drehleier, 12-saitige Gitarren - praktisch alles, was es brauchte, um ein mittelprächtiges Symphonie-Orchester auszustatten, hatten die Decemberists angeschleppt. Und nichts davon wurde verschwendet. Wer sich etwa gefragt hatte, wie sie den orchestralen Sound ihrer aktuellen CD "The Crane Wife" reproduzieren wollten, der bekam dies bei dieser Show eindrucksvoll dargelegt. Die mit Multiinstrumentalistin Lisa zum Sextett aufgestockte Band überzeugte mit einem druckvollen, durchorchestrierten Sound, der jenen auf der zwar netten, aber im Vergleich dann doch etwas glatt produzierten CD, eher blass aussehen ließ. Meloy, der mit seinem zum Markenzeichen gewordenen Outfit - Hornbrille, Koteletten und Nadelstreifenanzug - ein wenig so aussah wie Elton John zu seinen besseren Zeiten, trieb seine Band durch ein sorgsam ausbalanciertes Set, bei dem natürlich die Frau vom Kranich im Mittelpunkt stand. Sidekick Chris Funk gab dazu quasi den Peter Buck der Decemberists und stellte nebenbei den Rekord auf für die abenteuerlichste Zusammenstellung von Instrumenten, die im Rahmen eines Rock-Konzertes von einer einzelnen Person bedient werden können.

Und ein Rock-Konzert war das letztlich durchaus - auch ohne E-Gitarren-Dominanz. Denn die Folk- und Prog-Elemente, die die Decemberists auf ihren CDs so gerne zur Schau stellen, fielen bei dieser Show gar nicht so sehr ins Gewicht. Wie bei US Bands dieser Statur üblich, beeindruckte zudem die handwerkliche Qualität des Dargebotenen, die indes nie in Sterilität umschlug. Dazu hatten alle Beteiligten einfach zu viel Spaß. Dazu gabs immer wieder auch komödiantische Einlagen von Meloy. Dass sie auf den Dom gestiegen seien, erzählte er - das sei diese große Kirche in der Mitte von Köln, gleich an dem Fluss namens Rhein, der hier entlang fließe und gleich neben der American Express Filiale mit dem interessanten Umtauschkurs. "Wenn wir eine Stadt besuchen, dann erobern wir diese auch", erklärte er seine Reiseführer-Ausführungen. Dann zeigte er sich begeistert davon, wie viele Leute in Köln Donuts äßen - die hier ja Berliner hießen. Das sei ja wie in einem surrealen Traum. Als dann jemand versuchte, zu erklären, dass das mit Karneval zu tun habe und eine saisonale Angelegenheit sei, war Meloy nicht mehr zu halten: Ein Land, in dem saisonal Donuts gegessen werden, sei ja wohl die absolute Krönung. "Und hier kommt eine Mörderballade", setzte er ansatzlos nach und spielte die Moritat von den "Shankill Butchers". Das Publikum sang selbstredend jedes Wort mit. Das war Unterhaltung pur. Selbst Stimmpausen wurden auf charmant lockere Weise überbrückt. Und als Meloy dann die Massen zum Frühsport animierte und selber hüpfend als Animateur durch das Auditorium tobte, gab es kein Halten mehr (im wahrsten Sinne des Wortes - denn der Prime Club tobte). Als dann mit "Sons & Daughters", bei der natürlich alle mitsingen mussten, das Konzert zu Ende ging, bevor es mit "Eli The Barrow Boy" von "Picaresque" zu den Zugaben ging, durften sich alle Anwesenden sicher sein, einem wirklich großen Moment Rock'n'Roll-Entertainment beigewohnt zu haben. Das Faszinierende an dieser Show war aber nicht nur die Musik, sondern der Umstand, mit welcher Souveränität und welchem Enthusiasmus die Decemberists ihre Message an den Mann brachten. Sehr viel besser und kurzweiliger kann man Rock-Konzerte eigentlich nicht gestalten.

Berlin, Postbahnhof, 14.02.07

Aufgrund der ausführlichen Stimmungsbeschreibung meines Kollegen und aufgrund völligen Konsenses meinerseits bleiben nur noch wenige Details aus Berlin hinzuzufügen, hauptsächlich was den schon erwähnten sympathischen Humor der Band angeht. Denn The Decemberists überzeugten nicht nur durch eine lupenreine Performance ihrer Songs, sondern auch durch Skurrilität. So machte Colin Meloy zu Beginn darauf aufmerksam, was die Zuschauer im Postbahnhof zu Berlin erwarten würde: "Wir werden jetzt ein paar Songs für euch spielen – nur falls ihr euch fragt, was das hier soll... Vielleicht seid ihr das erste Mal auf einem Konzert. Oder ihr habt zum ersten Mal in eurem Leben euer Haus verlassen. Oder – ihr seid überhaupt zum ersten Mal unter anderen Menschen! Wir werden euch also unterhalten, während ihr über die erstaunliche Vielfalt der menschlichen Spezies nachgrübelt."

Später wird ein Gesangsbattle linke Raumhälfte gegen rechte Raumhälfte gestartet, ein bisschen Aerobic in einem fast rauchfreien Konzertsaal (The Decemberists hatten darum gebeten) betrieben – und zu guter Letzt dürfen auch noch ein paar schwer begeisterte junge Menschen mit auf die Bühne und auf den Akustik- und Elektrogitarren der Band jammen. Ach ja, Crowd Surfing vom Drummer gab's auch noch, und zur Zugabe stolperte dann noch einmal Becky Stark auf die Bühne, strauchelte und ging zu Boden. Kurz danach war sie aber wieder auf den Beinen, keiner hat sich was gebrochen, man sah viele glückliche Gesichter, und was will man mehr von einem Konzert erwarten? Außer natürlich guter, geradezu perfekt dargebotener Musik, und die gab es ja, ich sag's gerne nochmal, obendrein.

Surfempfehlung:
www.decemberists.com
de.wikipedia.org/wiki/The_Decemberists
www.myspace.com/thedecemberists
www.lavenderdiamond.com
www.myspace.com/lavenderdiamond

Text: -Ullrich Maurer / Tina Manske-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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