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09.05.2008
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Alles Hippie

Orange Blossom Special 12 - 1. Teil

Beverungen, Glitterhouse-Villa
09.05.2008 / 10.05.2008

Orange Blossom Special 12
Hätte es im Vorfeld jemand gewagt, zu prophezeien, dass es einmal ein Orange Blossom Festival geben würde, auf dem nicht ein Tropfen Regen fiele, der wäre wohl ins Reich der Phantasten und Spinner verwiesen worden. Gerade wohl auch unter dem Gesichtpunkt des relativ frühen Termines im Jahr, war dann auch der Vorverkauf für Deutschlands führendes Gartenfestival relativ zögerlich verlaufen. Doch manchmal werden Wunder eben doch wahr: Nicht nur, dass die Veranstaltung (u.a. Dank des freiwilligen Street-Teams) letztlich doch ausverkauft war - auch das Wetter spielte gnadenlos mit. "Ich habe schlechte Nachrichten für euch", meinte Reinhard Holstein gar eingangs zum von Anfang an zahlreich versammelten Publikum, "es wird dieses Mal keinen Regen geben." Nicht, dass dem dann wirklich jemand nachgetrauert hätte.

"Es ist eine Ehre für uns, dieses Festival eröffnen zu dürfen", meinte dann Simon Frontzek - alias Sir Simon Battle -, der mit seinen sommerlich leifchtfüßigen Gitarrenpop den Reigen eröffnete. Auf das "Battle" im Namen bestand er dann trotz drohenden Rechtstreites mit dem klassischen Dirigenten Sir Simon Rattle, auf den Rembert Stiewe eingangs hingewiesen hatte. Die Songs von Sir Simon sind frei von jedweden Extremen und waren vielleicht gerade aufgrund ihrer Sanftmütigkeit und der heiter gelassenen Vortragsweise besonders geeignet, einen Einfluss auf die Atmosphäre des Festivals zu nehmen, das mit seiner großteils familiären Szenerie immer noch eine Ausnahmestellung unter den Festivals der Republik einnimmt. Auch wenn langsam ein Generationenwechsel zu verzeichnen ist: Zwischen die Graubärte mischen sich auch immer mehr junge Leute - sowohl Nachgewachsene, wie auch echte Musikfreunde, was - je nach musikalischer Gemengelage - den ziemlich regen Zuschauer-Austausch vor der Bühne erklärt, den es früher eigentlich in dieser Form nicht gegeben hatte. Wo Licht ist, ist auch Schatten: So berichteten offensichtlich bereits verbitterte Stammgäste, dass sich - gerade im hinteren Teil des Gartens - zunehmend schreckliche Szenarien abspielen. Von ständig besetzten Sitzplätzen, Flatrate-Parties und herumlungernden Plappermäulern war da die Rede. So etwas habe es früher, in der guten alten Zeit, nicht gegeben.

In der guten alten Zeit hätten auch Bands wie The Audience aus Würzburg oder die belgischen Girls In Hawaii nicht auf dem OBS gespielt. Während the Violent Years aus Norwegen mit ihrem gut gemischten musikalischen Aufguss aller anderen Norwegen-Bands noch eher den Traditionen des eh stets skandinavisch gut aufgestellten Festivals entsprach, legten unsere Landsmänner von The Audience, deren CD "Celluloid" die Lieblings-Scheibe des Aufbauteams gewesen war, ein eher hartes Rockbrett hin. Obwohl dies ein äußerst unterhaltsames Rockbrett war, denn Bernd Pflaum und seine Mannen verstehen etwas von Stil und Posen: Gekleidet in Schwarzhemden-Uniformen performten sie mit vollem Körpereinsatz und jeder Menge überschüssiger Energie. Die Violent Years machten - und das sei der Vollständigkeit halber noch erwähnt - fehlendes eigenes Profil durch eine emotional eindringliche Performance wett und überraschten besonders durch dynamische Passagen mit teilweise recht druckvollen instrumentellen Ungetümen in bester 16HP-Manier, die angesichts der Konservenpolitik der Nordmenschen so gar nicht zu erwarten gewesen wären. Girls In Hawaii zählen in Belgien bereits zu den Superstars. Doch auch in Deutschland sei man gerne zu Gast, erklärte Sänger Lionel Vancauwenberghe, denn hier sei immer alles so "Hippie". Wie dem auch sei: Die hawaiianischen Mädels überraschten zunächst mal mit einem Bühnenaufbau, der sechs Großmonitore beinhaltete, auf dem ein mitgereister Computertechniker erstaunlich taktgenau geschnittene Videofilmchen einspielte. OBS auf dem Weg ins audiovisuelle Nirvana? Nicht ganz, denn auch GIH wurden von ganz banalen technischen Problemen geplagt - wie z.B. einem Ausfall des Bass-Verstärkers. Doch das überspielten die Girls ganz elegant mit ein paar Akustiknummern, die der betroffene deutsche Bassist Daniel kurzerhand anstimmte. Erstaunlich, bei einer Band, die im Studio eher auf ausgefeilte, beatlesque Arrangements setzt und auf der Bühne auf überraschend druckvolle Rockpower. Zwar war das jetzt eher etwas für die junggebliebenen im Publikum, aber als Abschluss des ersten Tages bereits ein schöner Höhepunkt. Und auch ein wegweisender: Neben Scott Matthews "Harvest Moon" kam das einzige andere Neil Young-Cover ("Out On The Weekend") des Festivals ausgerechnet von den jungen, wilden Girls aus Hawaii...

Wie üblich, ging der zweite Tag des Festivals moderat an. Wenngleich zeitig: bereits um 12:30 stand der erste Act auf der Bühne. Clara Luzia ist eine MySpace-Entdeckung (ein Medium, das für Booker immer wichtiger wird, wie Rembert am Beispiel der Dexter Jones Circus Orchestra erklärte, die ebenfalls auf diesem Wege entdeckt wurden). In ihrer Heimat, Österreich, ist Clara soeben als beste Alternative-Indie-Nachwuchs-Künstlerin geehrt worden. Doch Schubladen braucht die sympathische Songwriterin eigentlich nicht. Sie schreibt schlicht schöne, transparente, luftige Songs mit melancholischer Note, angenehmen Melodien und bittersüßen Pop-Momenten und singt dazu mit einer klaren, gelassenen aber sympathischen Gesangsstimme. Im Studio besteht ihre Band aus sechs Leuten (und man solle sich deswegen bitte nicht erschrecken, wenn man die Scheiben hört), während sie in Beverung im Trio-Format spielte. Ohne Bass übrigens - was gar nicht weiter auffiel, denn fehlen tat da überhaupt nichts. Die überschaubare Gemengelage sorgte eher für eine nachhaltige Präsenz und einen bleibenden, positiven Eindruck. Shooting John aus Schweden sind dann ein weiterer skandinavischer Act, der sich der im Norden offensichtlich beliebten Gemengelage aus klassischem Songwriting, Folkpop und Americana-Einflüssen verschrieben hat. Shooting John sind eher gelassene Zeitgenossen, die in ihrer Musik lieber aufgehen als mit dieser hausieren zu gehen. Im Prinzip genau das richtige für diese Tageszeit: Entspannter Folk-Swing war hier angesagt - in Kombination mit richtig schönen Songs und den Gesangsharmonien von Peder Gravlund und Keyboarderin Helena Arlock. Ein weiteres Schmankerl also, für die Freunde gesitteten Liedgutes.

Cuba Missouri aus Münster und Osnabrück wurden von Rembert als Retter des Indie-Rock gefeiert (seit "Notwist nur noch an Knöpfen drehen", wie er meinte). Das kann man sehen, wie man möchte, jedoch boten Cuba Missouri den wohl sprödesten Auftritt des gesamten Festivals. Ihre leicht Doom-orientierten Soundtürme mit mächtigen, technokratischen Gitarrenakkorden und lautmalerischen Keyboard-Klangräumen passten jedenfalls am wenigsten zu dem, was der klassische OBS-Fan so erwartet. Hier schlug das OBS-Sendungsbewusstsein wieder einmal gnadenlos zu. Und das ist gut so und muss so sein - auch wenn es den einen oder anderen gelegentlich verprellen mag. Wir machen die Sache ja nicht zum Spaß! Wer Rykarda Parasol bislang nur von ihrer ausgezeichneten Glitterhouse-Veröffentlichung "Our Hearts First Meet" (oder von ihren Solo-Auftritten) her kannte, der dürfte mächtig beeindruckt gewesen sein von dem Auftritt der sorgsam durchgestylten Songwriterin und ihrer Band, The Tower Ravens. Rykarda ließ nämlich alle Nick Cave-Heimeligkeiten daheim und stellte selbst Patti Smith (ein anderes Vergleichsmoment bei den Parasol-Rezensionen) in Sachen Muckenmucke hinter sich. Die Tower Ravens - allen voran der malerisch toupierte Gitarrist Wymond Miles - lieferten nämlich den lautesten, dreckigsten und rockigsten Auftritt des Festivals. Das rieb sich ganz wunderbar mit den eher elegisch und leicht düster angelegten Songstrukturen der Diva aus San Francisco und überzeugte gerade wegen der despektierlichen Art, in der da mit Subtilitäten (und Hörnerven) umgegangen wurde. Da stimmte dann nicht jeder Ton, da flatterte die Stimme oder holperte der Rhythmus - aber der Geist des guten alten Rock'n'Roll wurde hochgehalten. Zwar nicht in Form flatternder Flanellhemden, dafür aber mit wehenden, schwarzen, zerfledderten Cocktail-Kleidern. (Im Übertragenen Sinne, natürlich!) Ob Rykarda selbst dann eher kühl oder mehr cool wirkte, muss ein jeder selbst entscheiden. Hinter der Bühne jedenfalls, oder beim Betrachten anderer Acts wurde sie jedenfalls auch einmal charmant scherzend und lächelnd gesehen.

Hyacinth House aus Schweden sind ein neues Glitterhouse-Signing, aber schon seit einiger Zeit musikalisch tätig. Jeder, der das Septett schon mal live gesehen hatte, der wusste, dass die Scheiben - auch das neue Werk - bestenfalls eine Blaupause für den generellen Gedanken der einzelnen Songs sein können. Denn was die Gruppe auf der Bühne auf die Beine stellt, übertrifft die im direkten Vergleich dann doch eher anämischen Studio-Versionen um ein Vielfaches. Nachdem man sich vor dem Auftritt erst mal kollektiv umarmt hatte, begann das Set dann zunächst mit der Solo-Nummer "In My Time Of Dying", und dann mit einem lustigen Fauxpas: Der Tuner von Sänger Mack Johansson hatte beim Soundcheck nicht funktioniert. Deswegen hatte er diesen gegen das baugleiche Modell von Cellistin Kristina Löfstedt ausgetauscht. Woraufhin diese dann beim Auftritt sich selbst nicht mehr hören konnte. Auf das Naheliegendste war keiner der Spezialisten gekommen: In dem Ding steckten schlicht keine Batterien. Egal: Ab da ging auf der Bühne der Bär ab. Mit Schmackes und Schalmeien pflügten die Schweden durch ihr Oeuvre und klangen dabei zuweilen eher nach einer Großfamilie aus den Appalachen als etwa wie stereotype Lätta-Skandinavier. Und Mack Johanssons Bart sollte nicht einmal der einzige auf dem Festival bleiben, wie sich zeigen würde.

Michael J. Sheehy gehört zu den Serien-, und Wiederholungstätern. Bereits im letzten Jahr spielte er mit seinen Hired Mourners auf dem OBS. Damals spielte (und trank) er so beherzt auf, dass man sich spontan entschloss, ihn gleich dieses Mal zum Headliner zu machen. Was auf einem Festival wie dem OBS auch schon mal bedeuten kann, als vorletzter Act zu spielen, weil ja der Schutz der Ureinwohner immer noch eine gewisse Priorität besitzt. Zwar gibt es noch keine neue Sheehy-Scheibe - das soll aber nicht bedeuten, dass der Auftritt ein Aufguss dessen vom letzten Jahr war. So gab es z.B. Änderungen im Line Up: Statt Mary Epworth, die letztes Jahr noch in Sheehys Band gesungen hatte, in diesem aber mit eigener Band am Start war, fügte Geigerin Fiona Brice neue Zwischentöne in die Gemengelage ein, während Michaels Bruder an Gitarre und Banjo die zweite Harmoniestimme übernahm. Stimmen aus dem Publikum gingen dahin, dass Fionas Geige zwar ein Gewinn sei, Marys Fehlen aber insgesamt nicht ganz kompensieren konnte. Vielleicht war das der Grund, warum die Sache zum Ende hin immer lauter und knackiger wurde. Nicht nur, aber auch, ab der neuen Version des "The Passenger"-Covers - dem gleich noch mehrere andere Tracks beigemischt wurden, sondern auch bei den Zugaben, wo Sheehy dann fast punkmäßig aufdrehte - wie damals beim Dream City Film Club. Insgesamt war das ein mitreißender Auftritt, der dem Vertrauen, das man in Sheey als Entertainer gesteckt hatte, durchaus gerecht wurde. Nicht nur des Zylinders wegen... Sheehy und seine Gang machten im Folgenden dann den Backstage-Raum zur Partyzone - was unter anderem zu gesteigertem Absinth-Genuss führte und zu Szenen, in denen sich Sheehy Teelichter auf die Stirne klebte und als Ersatz-Hellboy durch die Gegend geisterte. Humor hat der Mann jedenfalls.

Scott Matthew wohl auch - entgegen der einen oder anderen Bedenken im Vorfeld, der Mann könne ein schüchterner, bierenster Eigenbrötler sein. Weit gefehlt: Scott ist eben bloß kein klassisches Rock'n'Roll-Animal. Das musste auch der Fotograf des Sponsoren "Stark" feststellen, der verwundert zusah, wie die ganzen Stark-Verstärker zu Scotts Auftritt abgebaut wurden, so dass er keine Motive mehr hatte. Zu Ehren des vielgepriesenen Songwriters, der noch vor der Veröffentlichung seines Glitterhouse-Debüts mit dem Soundtrack zu dem Film "Shortbus" reüssierte - und jetzt kommen wir wieder zu den Bärten - trat die ganze Bühnencrew mit Kunstbärten zum Umbau an - angetrieben und ermahnt vom Chef persönlich: "Du kannst auch mit dem Bart sprechen, Carsten!" Scott war offensichtlich von der Idee und der Situation angetan. "Wir haben noch nie auf einem Festival gespielt", meinte er zum Publikum, "und dass es dann gleich so ein schönes ist, freut uns umso mehr." Scott trat mit einer klassisch ausgebildeten Keyboarderin auf (die zum Soundcheck Satie spielte), spielte selber Ukelele und hatte noch einen Bassisten und einen Cellisten dabei. Mehr brauchte es auch nicht um die auch auf Scheibe zurückhaltend inszenierten kammermusikalischen Songs seines Debüts umzusetzen. Insgesamt erinnerte Scott Matthew - der übrigens bei den jungen Damen im Publikum eine Art Superstar-Bonus genoss - ein wenig an seinen Kollegen Devendra Banhart - ist dabei aber weniger spinnert als dieser und auch eine guten Teil subtiler, was die musikalische Gangart betrifft. Wie so oft beim OBS war auch dieser Tagesausklang eine echte Entdeckung - wofür auch die heimlich verlängerte und mit Zugaben angereicherte Spielzeit des New Yorkers sprach.

Fortsetzung folgt!


Video: Clara Luzia, OBS 12:

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Video: Hyacinth House, OBS 12:

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Video: Michael J. Sheehy, OBS 12:

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Video: Shooting John, OBS 12:

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Video: Sir Simon, OBS 12:

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Weiter zum 2. Teil...



Surfempfehlung:
www.orange-blossom-special.de
www.glitterhouse.com

Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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