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04.06.2017
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Nothing This Beautiful

Orange Blossom Special 21 - 3. Teil

Beverungen, Glitterhouse-Garten
04.06.2017

Immanu El
Die Überraschung beim diesjährigen Überraschungsact bestand im Wesentlich darin, dass nicht erneut die Great Crusades eingeladen worden waren (was termintechnisch durchaus möglich gewesen wäre), sondern stattdessen The Dead South. Die Kanadier waren 2015 bereits zu Gast auf dem OBS gewesen und kannten sich demzufolge mit den Gepflogenheiten des Festivals aus. Gegen Ende einer recht erfolgreichen - und teilweise ausverkauften - Deutschland-Tour machten sich Nate Hills und seine Jungs (die auf dieser Tour erstmalig um die hyperaktive Banjo-Virtuosin Eliza Mary Doyle ergänzt wurden) daran, ihren Bluegrass-Party-Mix mit der üblichen heiteren Gelassenheit, den überzogenen Hinterwäldler-Kostümen, jeder Menge Humor, synchronisierter Choreographien und Songs, die sogar den Müttern der Bandmitglieder gefallen (oder eben auch nicht) zu performen. Man kann zu der Musik von The Dead South stehen wie man will - ein herzliches Unterhaltungspotential kann man ihnen freilich nicht absprechen, denn ein Dead South-Set ist vor allen Dingen das - und will auch gar nicht mehr sein: Gute Unterhaltung!

"Diese Mädels gehen gerade so richtig durch die Decke", kündigte Rembert im Folgenden den Auftritt von Gurr an. Erstaunlicherweise stehen dem Quartett aus Berlin mit Andreya und Laura Lee nämlich zwei quirlige Damen vor - was auf dem ansonsten doch eher herrenlastigen OBS (zumal in einem Bereich, den man im weitesten Sinne mit Rock umschreiben könnte) leider eher die Ausnahme darstellt. Durch die Decke ging der Auftritt dann in der Tat, denn Andreya und Laura Lee sind so rechte Rampensäue, die sich ihre Reputation vor allen Dingen durch ihre unglaublich beweglichen Bühnenauftritte erspielt haben. Gerade erst kamen die Damen (und ihr Drummer) von einer Kamikaze-Tour durch die USA und das Vereinigte Königreich zurück. "Wir sind jetzt seit März auf Tour", erklärte Andreya, die sich ihre gute Laune trotz einer eingefangenen Erkältung nicht verderben ließ "...und zwar seit März 2015." Und dann ging es ab dafür mit gut gelauntem, etwas schrillem Girlie-Punk-Pop-Rock-Polka, die/der durch amüsante Zutaten wie z.B. ein paar Zeilen "Hollaback-Girl" oder eine fast ernstgemeinte Coverversion von "Helter Skelter" angereichert wurde. Zwar haben auch Gurr den Rock'n'Roll nicht wirklich erfunden, sie geben sich aber Mühe, den Eindruck zu erwecken, zumindest die gepflegte Rock-Show als solche erfunden zu haben. Insbesondere Andreya ist dabei kaum zu bremsen, befindet sich öfter in der Luft als auf dem Boden, kullert aber zur Not auch mal über denselben, wenn die Dramaturgie es verlangt. "Kommt uns nachher am Road Tracks Stand besuchen", forderte Laura Lee die Fans auf, "wir bringen Weißwein mit." Das taten sie dann tatsächlich und machten aus dem folgenden Meet & Greet dann sozusagen eine Veranstaltung mit Weinzwang.

2013 waren Anders Pedersen und die Jungs von The Desoto Caucus bereits ein Mal auf dem OBS zu Gast gewesen. Die Dänen schwammen damals aber noch eher im Fahrwasser des Effektes, die sie über eine Zufallsbekanntschaft dereinst zur europäischen Fraktion des Giant Sand-Universums gemacht hatte, als Howe Gelb sich entschlossen hatte, The Desoto Caucus zu seiner Touring- und später auch Recording-Band zu machen. Spätestens mit ihrem brillanten aktuellen Glitterhouse-Album "4" hat die Band aber eine eigenständige, autarke musikalische Richtung eingeschlagen. Bei ihrem Gig demonstrierten sie das eindrucksvoll durch einen Mix aus ausgezeichneten Songs, ungewöhnlichen psychedelischen Tremolo-Soundwänden und einer immer wichtiger werdenden Betonung der pulsierenden Basslinien Henrik Poulsens. Um genug Ecken und weit genug gedacht, ließe sich sagen, dass The Desoto Caucus eine gewisse Reggae-Sensibilität in ihren Sound eingebaut haben. Dass Anders Pedersen darüber hinaus mit seiner Frisur den Eraserhead-Gedächtnispreis verdient hätte, ist angesichts dessen fast schon wieder zu vernachlässigen.

Der Schweizer Faber ist momentan in aller Munde und konnte gerade noch rechtzeitig für das OBS verpflichtet werden, bevor er - spätestens mit der Veröffentlichung seiner Debüt-CD im Juli - in den Superstar-Rummel abwandern dürfte. Bis dahin gabs erst mal Rummel-Musik. Und zwar im Kirmes-Sinne. Faber hat eine Möglichkeit gefunden, seinem schrulligen Songwriter-Pop musikalisch eine moritatenhafte, unstet torkelnde Qualität angedeihen zu lassen, die aber das Herzblut, das er da auf betont selbstironische und humorvolle Weise ausschüttet, keineswegs konterkariert. Tatsächlich nimmt man dem sympathischen Jungspund seine Geschichten über lügende Freunde, träumende Nutten und das Totschießen also durchaus ab. Und Menschen, die auf einer Festival-Bühne Sätze wie den Nachfolgenden sagen, können ja nun keine Schlechten sein: "Wir spielen jetzt ein echt schlechtes Lied. Dafür können wir aber nichts. Die Plattenfirma wollte das so, weil im Radio ja immer nur Scheiß gespielt wird und man da ja irgendwie dabei sein muss. Deswegen bitten wir euch, die Ohren zu schließen, die Hände hochzureißen und die Beine einfach so zu lassen." Kleine Anekdote noch am Rande: Während Faber und seine Jungs nach der Show spontan zum Signieren für die Fans bereit stand, unterschrieb sein Gitarrist Max stets mit einem kleinen Herzchen, unter das er allerdings schrieb: "Max loves Julia Jacklin". Das passte insofern ganz gut, als dass die Australierin mit ihrer Band derweil bereits auf der Hauptbühne Aufstellung genommen hatte, um mit einer beeindrucken klaren und warmherzigen Gesangsstimme ihre stilistisch eigenwillig und unbekümmert zwischen klassischem Folkpop und spröder Indie-Songkunst hin und her lavierenden Balladen um das Älter werden als Mittzwanzigerin, vortrug.

Als Julia dann allerdings nach der Show etwas verloren zum Signieren antrat - sich dann aber niemand fand, der etwas signiert haben wollte (weil die Band es versäumt hatte, Merchandise mitzubringen), traute sich der gute Max dann doch nicht, Julia seine Liebe auch zu erklären. Da sieht man mal: Selbst Gitarristen von kommenden Superstars sind auch nur Menschen. Aber noch mal kurz zu Julia Jacklin: Diese trat in ihrem Trademark-Kleinmädchen-Outfit mit kariertem Röckchen und Kniestrümpfen an und wirkte wesentlich ausgeglichener als auf der von einer eher nervösen Energie getragenen Club-Tour Anfang des Jahres. Irgendwie wirkt das OBS also auf die Musiker ausgleichend und beruhigend. Das kann man sich ja mal merken.

Eine echte Entdeckung - und mit Sicherheit eine Anwärterposition auf die Hauptbühne im nächsten Jahr - stellte die Band Giant Rooks dar, die nämlich der Generation der OBS-Nachgeborenen entspringt. "Ich war schon früher, im Alter von 13 Jahren das erste Mal auf dem OBS", erklärte Frontmann Frederik, "das können ja wahrscheinlich nicht so viele von euch behaupten." Damit sprach er den Umstand an, dass sich auch viele der Altvorderen für den gelungenen Mix aus Westcoast-Sound, Indiepop und Ansatzweise Rockmusik interessierten, den die Jungs auf der Mini-Bühne beim Mischpult da offensichtlich aus dem Ärmel schüttelten. Wie gesagt: Eine echte Entdeckung das und auch noch sympathisch obendrein. Und: Das gefiel auch den Kindern im Publikum.

Nachdem auf der Hauptbühne die Versteigerung des aktuellen, signierten Festival-Plakats zu Gunsten von Viva Con Agua erfolgreich absolviert worden war, gab es wieder was auf die Zwölf. Das Trio Heim gehört dabei zu der Fraktion: Viele Dezibel und wenig Sinn. "Ich kann dich nicht mehr verstehen", brüllte Frontmann und Bassist Michael Shihirer zwischen mördermäßig brutalen Gitarrenriffs und bohrenden Bassläufen hervor. Kein Wunder: Wer so laut spielt, der versteht halt nix mehr.

Als Nächstes stand eine Art musikalischer Bastelstunde an: Die kanadische Band Yes We Mystic hatte jedenfalls dergestalt viele Instrumente und Klangerzeugungsgeräte auf der Bühne aufgebaut, dass den Musikern nichts anderes übrig blieb, als ständig von einem Instrument zum anderen zu wechseln, um dort helfend einzugreifen, wenn mehr als zwei Hände vonnöten waren um alle Saiten, Tasten und vor allen Dingen Knöpfe, Hebel und Regler zu bedienen. Rembert hatte die Band eher zufällig auf einem Reeperbahn-Showcase entdeckt und gleich unter Vertrag genommen, weil dort - außer eines kleinen Frisur-Problems - eigentlich alles in Ordnung sei. In der Tat gefiel das Quintett durch einen ausgefallenen Soundmix, der anteilig betont organisch und andererseits betont elektronisch ausfiel und im Mix dann - tatsächlich ein wenig mystisch - zu einem psychedelischen Flow mit komplexen Strukturen geriet, die fast ein wenig Prog-Energie an den Tag legten (allerdings auf eine hippiemäßige Art und Weise). Die Band freute sich jedenfalls über das bislang größte Publikum, vor dem sie bislang aufgetreten sei und Keegan Steele (der Mann mit dem Frisurproblem) konnte dieses sogar in Deutsch sagen.

Den Abschluss des Festivals durften dieses Mal die schwedischen Atmo-Rocker von Immanu El absolvieren, die Rembert nach eigener Aussage besonders ans Herz gewachsen waren. Bei ihrem ersten Auftritt auf dem OBS hatten sich die Herren allerdings bei einem großen Teil des Publikums insofern unbeliebt gemacht, als dass sie gänzlich ohne Beleuchtung aufgetreten waren und stattdessen ein statisches Video von einem Segeltörn auf die Bühne projiziert hatten. Das war dieses Mal zum Glück anders. Indem nämlich die Band mit einem zwar stilvollen und dramatischen, aber konventionellen Licht-Design spielte, konnte man endlich auch ein Mal sehen, wer sich hinter den mit majestätischer Grandezza und weit ausholenden Gesten dargebotenen Klangwänden verbirgt, die sich da zu später Stunde trotz ordentlicher Lautstärke auch irgendwie versöhnlich und beruhigend über das Publikum legten. Und man konnte auch sehen, wie glückliche Schweden aussehen, wenn sie auf dem OBS spielen.

Der abschließende Drei-Tages-Witz des diesjährigen Festivals verpuffte dann weitestgehend wirkungslos, weil er erstens nicht ganz neu und zweitens nicht ganz gut war. Deswegen sei an dieser Stelle stattdessen ein recht guter Eintageswitz zitiert, der auch Rembert in den Tagen zuvor viel Spaß gemacht hatte: "Was sagt der Buddhist an der Dönerbude? 'Mach mich eins mit Allem'."


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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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