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04.11.2018
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Fortgepflanzt

Take Root Festival

Groningen, Oosterpoort
04.11.2018

Father John Misty
"Soso, das ist also ein Americana Festival, huh?", fragte Josh Tillman alias Father John Misty während seines Sets eher rhetorisch ins Publikum, "meiner Meinung nach definiert sich der Begriff 'Americana' als Musik von Amerikanern, die nur von Europäern gehört wird." Auch wenn das jetzt eine relativ eigenartige Definition sein mag und auch nicht so ganz klar war, wohin Tillman mit dieser Äußerung eigentlich wollte: Es war dann auch irgendwie eine Art Lob für das Take Root Festival, das sich mit dem diesjährigen Line-Up nämlich ein stilistisch besonders liberales Profil verliehen und vom klassischen Americana-Klischee eigentlich abgesetzt hatte. Denn die früher vorherrschende Dominanz von (meist männlichen) Country-, Blues- oder Rootsrock-Acts war einer vielschichtigen, generationen- und geschlechterübergreifenden Palette verschiedenster musikalischer Stile gewichen, die nun tatsächlich für jeden etwas bot (egal welcher Nationalität übrigens).

Da das Festival im letzten Jahr unter dem Ansturm der begeisterten Fans kapazitätsbedingt doch langsam an seine Grenzen gestoßen war, war es in diesem Jahr gelungen, durch die Öffnung der kompletten oberen Etage und einer dort angesiedelten neuen, fünften Spielstätte namens The Attic die geschickte Staffelung der insgesamt 24 aufspielenden Acts, dem Verzicht auf eine Bestuhlung im zweitgrößten Saal und eine geordnete Einlasskontrolle deutlich zu entzerren. Los ging es im sogenannten "kleinen Saal" zur Einstimmung mit einer dann noch genretypischen Show des High-Speed-Bluegrass-Power-Pop-Orchesters Trampled By Turtles. Allerdings wollten sich Dave Simonett und seine Mannen - anders als etwa bei früheren Shows - dieses Mal gar nicht als Anheizer-Band verstanden wissen, sondern konzentrierten sich stattdessen auf die balladeskeren Nummern ihres Repertoires. Nun - man muss ja auch nicht immer Vollgas geben und da die Jungs die angestaute Energie dann stattdessen in die Intensität (und nicht die Geschwindigkeit) ihres Vortrages investierten, vermisste man diesbezüglich auch nichts.

Im Foyer hatte sich derweil ein leicht verpeilter Psycho-Cowboy namens Garrett T. Capps mit seiner Band eingerichtet. Der Mann aus Texas erweckte dabei den Eindruck, sich selbst zu spielen - und zwar in einem Remake. Mit Stetson-Hut, Sonnenbrille und Schnurrbart machte der Texaner recht deutlich, wes Kind er ist, bot gut situierten Country-Rock mit Southern und Tex-Mex-Elementen und erklärte, dass er für den Two Step, und nicht für den Line-Dance stünde. Das bedeutete auf seine Musik übertragen wohl, dass er sich eher einer erdig/bodenständigen als einer mainstreamigen Stilistik verpflichtet fühle - was er aber gar nicht hätte erklären müssen, denn das war auch so ganz gut rauszuhören.

Die erste große Überraschung bot dann Becca Mancari aus Nashville im Basement-Club. Denn die Dame, die ursprünglich aus New York stammt, hatte sich in ihrem Leben (das - wie sie nachher erklärte - so kompliziert sei, dass man daraus keine Rückschlüsse auf ihre musikalische Laufbahn ziehen könne) immerhin so viele stoische Lebensweisheiten angeeignet, dass sie sich befleißigt sieht, diese in Form druckvoller, melancholischer Rocksongs auszuformulieren, die sie mit ihrer Band entsprechend schnörkellos darbot. "Den nächsten Song habe ich geschrieben, als ich als Hausmeisterin gearbeitet habe", erklärte sie etwa. Country-Seligkeit, wie man sie von einem Act aus Nashville eher erwartet hätte, kam so jedenfalls nicht auf.

In der neuen "Attic"-Location stand derweil das Songwriter-Ehepaar The Mastersons auf der Bühne. Chris und Eleanor Masterson aus Austin in Texas haben auf ihren CDs einem Weg gefunden, ihre klassischen Country-, Bluegrass- und Folksongs mit produktionstechnischen Tricks und detailreichen Arrangements auf eine relativ poppige und zeitgemäße Art zu präsentieren. Bei ihrem Solo-Programm hielt sich diese Umsetzung dann natürlich in Grenzen. Bis auf einige getriggerte Bassloops boten Chris und Eleanor ihre Songs mit Gitarre, Geige und natürlich dem wechselseitigen Gesang eher konventionell - deswegen aber nicht weniger effektiv - dar.

In mehrerlei Hinsicht genügt sich John Moreland selbst. Das gilt sowohl für seine krankheitsbedingte Körperfülle wie auch für seinen einfühlsamen Gesang, mit dem er seine klassischen Männerschmerz-Balladen ohne jedweden Schnickschnack akustisch solo darbot. Und zwar in der größten Spielstätte. Da zeigte sich wieder ein Mal, dass ein geschickter Troubadour eigentlich nicht viel mehr als seine Songs braucht, um das Publikum für sich einzunehmen. Selbst die dramatische Lightshow hätte man da getrost noch weglassen können ohne der Show von der nachdrücklichen Wirkung nehmen zu müssen. Die gespannte Aufmerksamkeit, mit der das Publikum den Vortrag verfolgte sorgte am Ende fast für eine liturgische Note.

Im Foyer musste Wüstenrock-Altmeister Alejandro Escovedo aufpassen, nicht etwa vor lauter Lässigkeit von der Bühne zu rutschen. Mit schwarzer Lederjacke und Gangster-Sonnenbrille zog Escovedo sein Tex-Mex-Roots-Rock-Ding ziemlich geradlinig durch - zum Glück ohne dabei allzu sehr auf dem Konzept seiner aktuellen LP "The Crossing" herumzureiten. Nun ja: Es ging ja hier auch nicht um eine dramatische Geschichtsstunde sondern darum, auf coole Art abzuhängen und Party zu machen. Das bekam Escovedo auch ganz gut hin.

Marlon Rabenreither - der wohlweislich besser unter seinem Künstlernamen Gold Star bekannt ist - beschränkte sich im sogenannten Binnenzaal anschließend darauf, die eher ruhigen Tracks seiner beiden atemberaubenden Alben im akustischen Trio-Format vorzutragen. In diesem Setting kam dann seine Faszination für Bob Dylan offenkundiger zum Vorschein als sein Faible für mitreißende Storyteller-Rocksongs. Sagen wir mal so: So kam seine sensible Seite deutlicher zum Tragen - allerdings ohne dass er dabei im Vortrag Abstriche in Sachen manischer Intensität machte. Der Mann kann was und er hat Potential nach oben galore!

Eine echte Entdeckung für viele Freunde originären Folk-Songwritings dürfte die handliche Performerin Cat Clyde aus der Nähe von Toronto in der kanadischen Provinz Ontario gewesen sein. Mit ernsthafter Miene trug sie nämlich ihre schrulligen Anarcho-Folk-Songs und Selbstbespiegelungsdramen kurzerhand in Form akustisch dargebotener Grunge-Rock-Songs vor - anstatt sie (wie auf ihren Tonträgern) mit Elementen aus Folk, Blues, Skiffle, Swing und Ragtime zu verbrämen. Das war ebenso überraschend wie originell und bildete zudem das optimale Pendant zu dem durchdringend intensiven Vortrag Cats.

Jemand, dem man so schnell nicht aus der Ruhe bringen kann, ist Rockmeister Kurt Vile. Mit stoischer Gelassenheit und dem ihm eigenen Faible für undurchsichtige Gesichtsvorhänge in Form seiner beeindruckenden Rockermähne setzte er das, was er auf seiner aktuellen CD "Bottle It In" gerade in Reinkultur demonstriert hat - das musikalische Mantra nämlich -, auf der Bühne des großen Saales mit doppelter Geschwindigkeit und Lautstärke einfach fort. Das Merkwürdige dabei: Das wurde dann trotz der sich ständig wiederholenden Riffs und Wortkaskaden gar nicht langweilig; vermutlich deswegen, weil Vile mit sich vollkommen im Reinen ist und auch nicht mehr sein möchte, als ein Musikus, der in seinem Tun aufgeht.

Den zugegebenermaßen größten Aufwand, das aktuelle Material für den Live-Auftritt auf interessante Weise aufzubrezeln, leistete sich zweifelsohne Neko Case und ihre Band. Egal ob Neko - unterstützt von den beiden Vokalistinnen Shelley Short und Rachel Flotard - da mit fünf (!) Gitarren in Sachen Frauen-Rock machte, einfühlsame Solo-Tracks vortrug oder die komplex vertrackten Arrangements ihrer aktuellen LP "Hell On" auf das Wesentliche und Notwednige eindampfte und dabei trotzdem faszinierend lebendige Versionen aus dem Material herauskitzelte: Das war Live-Musik vom Feinsten - auch weil Neko & Co. für einen "bloßen" Festivalauftritt mit ungewöhnlicher Begeisterung zu Werke gingen.

Aus einer ganz anderen Ecke kam für viele das Highlight des Festivals überhaupt: Mattiel Brown aus Georgia hat gerade mal eine selbstbetitelte LP herausgebracht - präsentierte aber zusammen mit ihrer Band ihr Material mit einer Inbrunst und Verve als ginge es darum, die ganze Musikhistorie in einem mitreißenden Set zusammenzufassen. Musikalisch angesiedelt irgendwo zwischen klassischen Gitarrenpop, Retro-R'n'B, schnürsenkeligem Rock'n'Roll und einer Prise Memphis Soul ließ Mattiel nichts aus (inklusive einer Coverversion von "Needles & Pins"), das sie nicht durch ihren obercoolen Wolf-Mix zog. Unterstützt wurde sie dabei von dem aus Michael Small und Jonah Swilley (dem Bruder von Jared Swilley von den Black Keys) Produzententeam The InCrowd. Atemloses Staunen des überraschten Publikums - gefolgt von frenetischer Begeisterung - war die Folge.

Es folgte der Auftritt von Father John Misty, der zu dem eingangs erwähnten Zitat führte. Was immer man gegen das flamboyante Wesen des dandyhaften Mannes auch gehabt haben mochte: Misty und seine Band präsentierten die opulenten Retro-Pop-Songs des Meisters mit einer geradezu beeindruckenden Ökonomie. Da wurde zwar an nichts gespart, es gab aber auch keinen Ton zu viel. Das muss man in dieser Konsequenz auch erst mal hinbekommen. Dass Josh Tillman (wie er ja nun mal heißt) dazu neigt, sich mit seinen theatralischen Gesten insbesondere im Solo Vortrag sozusagen selbst zu persiflieren, zeigte er auch bei dieser Show wieder ein mal konsequent.

Mit theatralischen Gesten hat Sarah Shook aus North Carolina nichts am Hut. Die heimliche Headlinerin für Eingeweihte tat mit ihrer brillanten Band The Disarmers das, was sie auch auf ihren Scheiben gerne macht: Sich mit viel Wut im Bauch mit ihren inhaltlich desolaten, aber musikalisch oft munter dahingaloppierenden Cow-Punk-Songs schonungslos selbst zu sezieren. Ihre selbstzerstörerischen Songs triefen dabei sozusagen geradezu vor dem Whisky, mit dem sie ihren Seelenschmerz in der Regel zu betäuben pflegt. Offenherziger kann man sich auf der Bühne kaum präsentieren. Großen Anteil an der grandiosen Show hatte auch die Band mit dem stämdig honigkuchenpferdmäßig grinsenden Gitarristen Eric Petersen. Als Sarah eine Saite riss und sie demzufolge eine neue aufziehen musste, improvisierte die Band impromptu ein Instrumental, in das sich Sarah nach erfolgreicher Reparatur nahtlos einklinkte. So muss Live-Musik sein.

Ein eher desorientiert wirkender Zuschauer beklagte sich im Folgenden darüber, dass das Take Root in diesem Jahr keinen ordentlichen Headliner gehabt habe. Das war in dem Sinne, als dass man keinen dominierenden Überflieger nominiert hatte, durchaus auch richtig - nur gleichzeitig irrelevant, da es auf der anderen Seite eine ganze Menge durchaus gleichwertiger Headliner gegeben hatte. Für ein Festival dieser Art ist das auf jeden Fall auch die bessere Lösung.

Surfempfehlung:
www.takeroot.nl
www.facebook.com/TakeRootFestival

Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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