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09.02.2020
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Zwischen Hildesheim und Nebraska

Lina Brockhoff
Timo Scharf

Köln, Die Lichtung
09.02.2020

Lina Brockhoff
Alle Fans von Phoebe Bridgers mal hergelesen: Wir brauchen jetzt eigentlich nicht mehr zu warten, ob die vielgepriesene Songwriterin aus L.A. noch mal aus jenen Sphären, in die sie - nicht zuletzt aufgrund der Förderung durch ihren Mentor Conor Oberst - nach der Veröffentlichung ihrer Debüt-LP "Strangers In The Alps" und der anschließenden Live-Shows - abgedriftet ist, noch mal den Weg zurück zu uns findet; denn jetzt gibt es die Hildesheimer Wahlhamburgerin Lina Brockhoff. Und die macht ihre Sache ähnlich wie ihr wasserstoffblondes Idol - nur bodenständiger, nahbarer und keineswegs schlechter.

"Lina Who?", mögen da einige zweifelnd fragen - aber die haben die junge Songwriterin ja sicher auch noch nicht live auf der Bühne erlebt. Lina ist selbst ein bekennender Fan von Phoebe Bridgers (und fast logischerweise dann auch Julien Baker) und hat sich deren ureigene Variante der melancholischen "Whisperrock-Ästhetik" durchaus passabel zu Eigen gemacht. Und genau auf diesen Begriff "Eigen" kommt es an, denn direkt kopieren tut sie ihr Idol keineswegs und hat sich als Songwriterin (bislang auf ihrer Debüt-EP "Fading Lines") durchaus auch eigene Wege gesucht, sich in dieser Nische zu verwirklichen. Auf Serienkiller fixiert (wie Phoebe selbst) ist sie dabei auch nicht besonders.

Witzige Parallelen zu Phoebe gibt es dennoch: So hadert Lina musikalisch noch genauso mit dem Formulieren etwa von Refrains (was ja Phoebe nach eigener Aussage auch noch üben wolle), bietet eine ähnlich souveräne Bühnenpräsenz (wenngleich auch auf ihre eigene Art) und sie hat auch eine Art Mentor, der sie auch auf dieser selbst gebuchten Tour begleitete: Timo Scharf. Musikalisch zeigte sich der Mann aus Braunschweig in der Lichtung als klassischer Songwriter - kommt aber ursprünglich erkennbar aus der Rock-Ecke (er selbst meint sogar, dass er früher Punk- und Schweinerock gemacht habe). Das äußert sich in jener Art durchdringendem Pressgesang, der zeitgemäße Rockbands heutzutage nun mal auszeichnet. Sein Debütalbum "An Absence of Colour" nahm er gar unter der Regie von Idlewilds Rod Jones in Edinburgh auf - und ergo wunderte es dann nicht, dass seine biographisch gefärbten, detailreich inszenierten Songs dann auch nicht im Folkie-Setting dargeboten wurden, sondern eher im akustischen Rockmodus - das galt dann sowohl für seine eigenen Tracks wie das Plattensammlungs- und Trennungdsramas "Nebraska" wie auch für die Coverversion (Paula Abduls "Straight Up" im Schrammelmodus). Eigentlich passte das stimmungsmäßig gar nicht so gut zu Linas folgendem Vortrag (denn diese entschuldigte sich später fast dafür, dass ihre Songs im Vergleich so zurückhaltend und melancholisch seien) - die Sache hat aber einen konkreten Hintergrund. Denn nachdem sich Timo und Lina bei einem gemeinsamen Konzert kennengelernt hatten, hatten Timo Lina beim Songwriting und der Produktion ihrer EP unter die Arme gegriffen.

Wie ja schon erwähnt, macht Lina Brockhoff keinen Hehl daraus, wes Geistes Kind sie ist und trägt ihre melancholischen Reflektionen über den Sinn des Lebens und den täglichen Wahnsinn (die sie mit konkreten, persönlichen Details anreichert, wie sich das für gute Songwriter gehört) in einem fortwährenden Lamento-Modus vor. Dabei wechselt sie zwischen zart gestreichelter E-Gitarre, Akustik-Gitarre und Klavier hin und her - ohne dass das den Flow oder die Stimmung beeinträchtigt hatte. Wie auch schon gesagt, agiert Lina hinter dem Mikro genauso cool - aber weniger distanziert und weniger statisch - wie Phoebe Bridgers. Tatsächlich präsentiert sie ihr Material mit einer gewissen kinetischen Energie und nervösen, aber konstruktiven Körperspannung, die ihrem Vorbild nun wirklich abgeht. Am deutlichsten wurde das bemerkenswerterweise bei der einzigen Cover-Version, Bruce Springsteens "I'm On Fire", in die sich Lina geradezu hineinsteigerte und der sie eine eigene Note abgewinnen konnte, indem sich sich nicht auf das vom Boss vorgegebene rhythmische Grundgerüst verließ. Und wenn es vorher hieß, dass Lina - eben wie Phoebe - noch kein Rezept gefunden haben mag, schlüssige Refrains in ihr grundsätzlich durchaus melodisches Material zu integrieren, so heißt das nicht, dass Lina songwriterisch nichts zu bieten hätte. So schafft sie es nämlich immer wieder, melodisch überzeugende Bridges (pun intended), Übergänge und Interlüden einzubauen, so dass der lineare Charakter ihrer eigenen Stücke gar nicht so sehr ins Ohr fällt. Und auf der EP kommen dann noch interessante Arrangements-Details hinzu (wie z.B. Streicher).

Keine Frage: Mit diesem Ansatz zeigt Lina Brockhoff eindrucksvoll, dass es auch hierzulande möglich ist, auf der Indie-Songwriterschiene (zumindest künstlerisch) erfolgreich, glaubwürdig und überzeugend mitzumischen.

Surfempfehlung:
linabrockhoff.com
www.facebook.com/linabrockhoffmusic
www.facebook.com/iamtimoscharf
www.youtube.com/watch?v=1S2GFjlcrUc
www.youtube.com/watch?v=Kn5wrvKxb5g
www.youtube.com/watch?v=O3zfLYgcFO8

Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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