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30.05.2003
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What a fucking good weekend

Immergut Festival

Neustrelitz, Bürgerseeweg
30.05.2003 / 31.05.2003

Immergut Festival
An diesem Wochenende gab es gleich mehrere gute Gründe, Berlin fluchtartig zu verlassen. Einerseits lockte im idyllischen Neustrelitz Deutschlands intimstes und nach wie vor angenehmstes Indie-Festival. Das inzwischen zum vierten Mal stattfindende Immergut Festival! Andererseits waren in Berlin zwischenzeitlich knapp eine viertel Million Christen zum ökumenischen Kirchentag eingefallen. Ein zwingender Grund also, der Stadt einige Tage den Rücken zu kehren, zumal es das musikalische Beiprogramm in Sachen Peinlichkeit durchaus in sich hatte. Nicht so das Immergut 2003, dessen Line-Up sich bei aller Maulerei im Detail wieder einmal sehen lassen konnte.

Gut, mit Therapy? hatte man einen umstrittenen Headliner verpflichtet, aber ansonsten war eigentlich Friede, Freude, Eierkuchen angesagt. Die üblichen Verdächtigen (Slut, Readymade, Miles, Virginia Jetzt!) waren da, internationale Gäste hatten sich angesagt (Fireside, Cursive, Chokebore) und dazwischen viel Nettes (Pale, Superpunk), alte Helden (Tilman Rossmy) oder echte Neuentdeckungen (Robocop Kraus, Palestar). Einen neuen Platz hatten die Organistatoren ausgeguckt und im Großen und Ganzen hat sich dieser Ort bewährt. Der Zeltplatz war vielleicht ein wenig staubig, aber das könnte man für 2004 ja in den Griff kriegen. Ansonsten alles im grünen Bereich. Genügend nahe Parkplätze, tolle Badeseen in der Umgebung und auch die Bierpreise waren für Festivalverhältnisse geradezu günstig. Doch nun zur Musik. Als Ersatz für Ms. John Soda eröffneten die Hamburger von Sport auf der Zeltbühne das Immergut 2003. Und das machten sie großartig und brachten die bereits zahlreich anwesenden Fans auf Touren. Auf der Hauptbühne ging es dann mit den ersten ausländischen Gästen weiter. Cursive. File under Saddle Creek und Bright Eyes-Umfeld. Mal abgesehen davon, dass ihr letzter Longplayer "The Ugly Organ" wirklich großartig ist, wollte das Ganze live nicht so recht zünden. Vielleicht war es aber auch schlicht zu früh für tolle Stimmung auf der Hauptbühne. Dafür verwandelten Pelzig mit ihrem energetischen Indierock das Zelt erstmals in einen Moshpit. Kante schlugen dafür erwartungsgemäß ruhigere Töne an und erst mit ihrem Überhit "Die Summe der einzelnen Teile" ließ sich das Publikum zur Bewegung überreden. Erster und eigentlich unerwarteter Höhepunkt des Immergut 2003 war dann das Set von Chokebore. Selten hat man Rockmusik von solcher Intensität gehört. Einfach gigantisch, was Troy Bruno von Balthazar und seine Kollegen da an Stimmung ins Zelt gezaubert haben.

In Sachen Energie darf man auch getrost den Auftritt von Pale zu den Höhepunkten des Festivals zählen. Musikalisch im Fahrwasser bekannter Emo-Größen haben die Aachener das Zelt doch mächtig gerockt. Eher lustig war der wie immer ironisch und zynisch daherkommende Tilman Rossmy. Musikalisch spielte er zumeist altbekannte Hits ("Willkommen zuhause", "Raus aus diesem Büro", 1975) und als Zugabe gab's gar noch die herzerweichende Klavierversion von "Loswerden". Fein! Und einige böse Kommentare musste der Altmeister in Sachen Songwriting doch noch loswerden. "Tolles Festival hier in Neustreliz. Hier kann man klasse Bands aus Ingolstadt sehen! Oder aus Ingolstadt! Oder auch mal eine aus Ingolstadt!" Dabei war diese Anspielung nur bedingt gerechtfertigt, kamen die Mehrzahl der Bands doch klar aus Berlin und Hamburg. Zu guter Letzt gab's dann noch ein wenig Elektronik von Console, was auf der Hauptbühne erstaunlich gut ankam. Danach legte dann u.a Erlend Oye (Kings Of Convenience) noch Platten auf und wer wollte, konnte bis in die frühen Morgenstunden tanzen.

Der zweite Festivaltag war wie der Freitag wieder mit wunderbar warmem Sommerwetter gesegnet und eigentlich machte nur die Technik ein wenig Probleme. Zunächst wussten Les Garcons und die jungen Leipziger von Palestar zu überzeugen. Das nette Berliner Duo Mondo Fumatore traf es dann. Die Technik auf der Hauptbühne brach kurzschlussartig immer wieder zusammen, aber Marc und Gwendolin meisterten die unangenehme Situation so lässig und sympathisch, dass sie sicherlich viele neue Fans gewinnen konnten. Zu Recht übrigens! Enttäuschend war im übrigen der Auftritt von Fireside. Die schwedische Hardcorelegende kam doch reichlich unbeteiligt und blutleer daher. Wohlwollend könnte man ihr Set professionell nennen. Ich nenn es: Lustlos heruntergespielt. Ganz anders danach DIE Band des Festivals: Robocop Kraus. Bei diesem Gig zeigte sich, was live möglich ist. Die Franken spielten eine energetische Show, die den Anwesenden sicherlich noch lange im Gedächtnis bleibt. Wow! Genau so muss Rock N Roll sein dachte man so bei sich und versuchte in den Songpausen, Körper und Atmung wieder unter Kontrolle zu kriegen. Danke für diesen Auftritt. Keine schlechte Figur machten auch Virginia Jetzt!, die mächtig rockten, aber schließlich in Neustreliz auch (fast) ein Heimspiel hatten. Readymade, gut wie gewohnt, professionell eben ohne in irgendeiner Form lustlos daherzukommen. Fast schon Stadionrock, aber eben der unpeinlichen, besseren Sorte. Die umstrittenste Band des ganzen Festivals folgte zu guter Letzt! Was hatte es nicht im Vorfeld in zig Foren für kontroverse Diskussionen bezüglich dieses Headliners gegeben. Der typische "Ich hör nur Belle & Sebastian"-Indiepop-Purist konnte naturgemäß nur die Nase rümpfen. "Arroganz als beste Waffe" sangen But Alive mal. Nun gut. Wir Älteren jedenfalls erinnerten uns bei Therapy? ganz und gar unpeinlich an schöne Platten wie "Nurse" oder den Meilenstein "Troublegum", der nicht unwesentlich zu unserer musikalischen Sozialistaion gehörte. Da stand er nun, Andy Cairns, Frontmann der irischen Formation und brüllte "Duuudes! Fucking good festival, Motherfucker" oder "Fucking fuck. Yeaah man. Fuck Blair!" ins Micro. Mal abgesehen von der Sorge, dass der Mann auch im Privatleben evtl. kaum einen Satz ohne Fuck bilden kann. Umfassend konjugieren kann er dieses englische Verb jedenfalls. Und hey: That's fucking Rock N Roll! In Sachen Rocksause gingen Therapy? gehörig in die Vollen und spielten neben den Krachern ihres neuen Albums "High Anxiety" auch genügend alte Hymnen vom Kaliber "Nowhere" oder "Trigger Inside"! Was will man von einem Festival-Headliner eigentlich mehr erwarten? Und so freut man sich schon jetzt aufs Immergut 2004 und kann sich sicher sein, dass es wieder Maulerei bezüglich mancher Bands geben wird. Und doch wird man wieder versuchen, eine der limitierten Karten zu ergattern und gen Neustreliz zu pilgern, weil es doch auch letztlich dieses Jahr wieder wunderschön war! Oder?

Surfempfehlung:
www.immergutrocken.de

Text: -Carsten Wilhelm-
Foto: -Pressefreigabe-
 

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