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26.09.2004
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Political Scheiß-Klima

The Dresden Dolls
Wolke

Köln, Prime Club
26.09.2004

The Dresden Dolls
Es entbehrte ja nicht einer gewissen Pikanterie, dass Amanda Palmer von den Dresden Dolls ausgerechnet am Wahlabend den Black Sabbath-Titel "War Pigs" als Protestsong für das momentane "Politcal Scheiß-Klima" ankündigte. Zugegeben, es ging hier eher um Bushs Eskapaden und vom Wählen hielten die Dresden Dolls um diese Zeit ja auch niemanden mehr ab, aber interessant ist es schon, dass ein Act, der je eher der Theatralik und dem Drama - ergo der Unterhaltung - verpflichtet ist, sich überhaupt politisch engagiert. Bevor es soweit war, durften Wolke aus Köln den Abend eröffnen.

Das passte formal ganz hervorragend, da es sich hierbei zufälligerweise auch um ein Piano-basiertes Duo handelt - allerdings mit einem Bass als zweites Instrument der Wahl. Das, was Oliver Minck und Benedikt Filleböck machen, hat aber musikalisch nicht viel mit dem zu tun, was die Dolls veranstalten: Hier gab es vielmehr eine Lehrstunde in Sachen effektiver Reduktion. Lediglich unterstützt durch eine gelegentlich eingesetzte Beat-Box arbeiteten sich Wolke durch ein attraktives Programm aus federleicht dahinperlenden, deutschsprachigen Popsongs, die stilistisch ein wenig in Richtung New Wave-Ästhetik tendierten, aber durchaus mit ordentlichen Melodien aufzuwarten wussten. Trotz des beachtlichen eigenen Potentials, das mit großer Ruhe und Sicherheit unpeinlich ausgelotet wurde und großteils aus Titeln der selbstproduzierten CDs "Monologe In Stereo" und "Susenky" bestand, war dennoch die Cover-Version von "Sweet Child O' Mine" der Höhepunkt der Show (eingedeutscht und mit einem Funken Genialität musikalisch adaptiert). Wolke, so scheint es, dürften mit diesem ungewöhnlichen Konzept durchaus eine Zukunft haben - auch wenn ein Zwischenrufer nach Bass-Soli verlangte.

Dabei dab's dann bei den Dresden Dolls dann genug Soli für jedermann. Inzwischen hat es sich ja wohl herumgesprochen, dass die Dolls aus Boston etwas Besonderes darstellen. Kein Wunder, finden sich doch begeisternde Artikel über das wunderliche Pärchen Amanda Palmer und Brian Viglione mittlerweile in allen nur denkbaren Publikationen - von allen relevanten Musikmagazinen bis hin zur Bäckerblume. Demzufolge bestand das Publikum dann auch aus einer bunten Mischung allgemein interessierter Musikbegeisterter jenseits der Mainstream-Schiene. (Der zu erwartende Goth-Anteil war denn relativ gering) Die Show begann mit einer pantomimischen Comedy-Einlage von Brian, die aufgrund einer Wette zustande gekommen war, bevor er dann zum einzigen Mal zur Gitarre griff, um sich dann bloß noch auf seine donnernden Drum-Attacken zu konzentrieren. Wie uns Amanda nachher mitteilte, wurde der "Akustik-Teil" des Abends (zu dem normalerweise z.B. Jacques Brels "Amsterdam" gehört) ausgespart worden, weil Brian krank war. Nicht, dass man das irgendwie bemerkt hätte. Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Energie, ja physikalischer Gewalt der Mann ohne Unterlass auf sein Instrument eindrischt - und dabei im Prinzip ein einziges konzertantes, hochkomplexes und interaktives Drumsolo hinlegt. Das Konzept der Dolls ist ja - so erklärte uns Brian im Interview - auf der Bühne Musik nicht einfach zu spielen, sondern entstehen zu lassen. Deswegen sind einige Tracks der Dolls - darunter z.B. "Coin Operated Boy" - auch so angelegt, dass sie sich ohne großen Aufwand immer neu interpretieren lassen. Amanda und Brian belauern sich dabei geradezu gegenseitig, um den jeweiligen Flow möglichst effektiv steuern zu können. Dennoch ist es beeindruckend, wie unglaublich exakt und traumwandlerisch die beiden Musikanten miteinander umgehen. (In "Boy" wird zum Beispiel eine springende Schallplatte simuliert - das muss man rhythmisch erst mal hinbekommen) Anders als bei ihrem Deutschland-Debüt beim diesjährigen Haldern Festival, konnten die Dolls hier natürlich ein vollständiges Set spielen, wodurch dann auch längere Tracks, wie zum Beispiel das auf CD mit Orchester unterlegte, episch angelegte "Truce" dargeboten werden konnten. Gerade an solchen Stücken, die im reduzierten Duo-Format naturgemäß anders klingen müssen, als die Konserven, zeigt sich die Fähigkeit der Dolls, die Musik tatsächlich als lebendes, sich weiterentwickelndes und sich ständig veränderndes Medium begreifen und behandeln zu können.

Einmal davon abgesehen, dass die Betonung der theatralischen Aspekte - angefangen bei der kunstvollen Gesichtsbemalung über die exaltierten Bewegungen bis hin zu den bereits zum Markenzeichen gewordenen Kostümen - die Dolls im Vortrag zu einer Art lebendem Videoclip werden lässt, wodurch sowieso jede Show ihre ganz eigene Dynamik bekommt. Im Vergleich zum Haldern-Auftritt war dieser zum Beispiel kompakter, straighter, weniger verspielt und auch weniger Brecht-mäßig ausgerichtet. Wichtig ist aber festzuhalten, dass das jeden Abend anders sein kann und soll und wird. Beispiele dafür gab's genug: "Half Jack" begann mit einem beinahe jazzigem, impressionistischen Intro und steigerte sich dann zu jener Hymne, die man dahinter am ehesten vermutete, "Girl Anachronism" wurde am Ende der Show quasi im sich überschlagenden Punk-Mode dargeboten, der den Texte-Mitsängern im Auditorium echte Mühe bereitete. Eigentlich dürfte für so ziemlich jeden Geschmack etwas dabei gewesen sein. Als besonderes Bonbon gab es dann noch einen Track namens "Ultima Esperanza", den Amanda für und über einen Kölner Freund geschrieben hat und der normalerweise gar nicht zum Live-Repertoire gehört. Fazit: Obwohl damit zu rechnen ist, dass die Dolls unter normalen Bedingungen (= Brian gesund) sogar noch mehr zu leisten im Stande sind, überzeugte dieses Konzert dennoch auf der ganzen Linie. Die Dresden Dolls haben mit ihrem originellen Ansatz eine Nische belegt, die für alle Seiten - also sowohl die Künstler, wie auch die Zuschauer - Erquickliches und Lohnenswertes bietet, das zudem auch immer erfreulich von der Norm abweicht. Und das, so scheint sich, zahlt sich tatsächlich immer noch aus...

Surfempfehlung:
www.dresdendolls.com
www.wolke-koeln.de

Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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