Womit wir beim Stichwort wären: Anna Calvi wird gerne als die neue PJ Harvey bezeichnet. Stimmlich und in der Art, wie Anna mit der Indie-Ästhetik soundmäßig umspringt, gibt es da auch durchaus Parallelen - allerdings ist Anna Calvi ein ganz anderer Typ. Selbst mit 15 cm hohen Absätzen wirkt die blonde Chanteuse äußerst überschaubar und zerbrechlich. Und sie piepst bei den seltenen Ansagen eher als dass sie spricht. Umso erstaunlicher ist dann der Kontrast zwischen dieser Realperson und jener, die dann auf der Bühne über ihr Publikum hereinbricht. Wenn Anna den Mund aufmacht und mit oft und gerne dramatisch verknoteten Lippen losröhrt, muss man befürchten, dass da zumindest ein D-Zug herauskommen könnte. Tut es natürlich nicht wirklich - aber es ist schon verblüffend, woher so eine zierliche Person solch ein stimmliches Volumen herholt.
Klanglich war diese Show dann weniger extrem ausgelegt, als die vielbejubelte Debüt-CD - was zunächst mal erstaunlich war, aber im Folgenden sich dann dadurch erklärte, dass Anna sich den Arm verletzt hatte und deshalb selbst nur wenig Gitarre spielte. Der eingesprungene Aushilfsgitarrist machte seine Sache dann zwar recht ordentlich - aber mit deutlich weniger Herzblut und eben nicht so extrem, wie seine Chefin. Diese nämlich, geht mit der Gitarre auf recht organische Weise um - rührt darauf herum, würgt diese quasi und kümmert sich dabei weniger um den Rhythmus als vielmehr um die Emotionen - was natürlich ganz eigene Soundscapes zeitigt. Anna war des Weiteren mit ihren Begleitern Drummer Daniel Maiden-Wood und der Multiinstrumentalistin Mally Harpez angetreten, die neben Percussion und Harmonium auch noch ein Basspedal bediente. Diese Lösung war vielleicht nicht so glücklich, denn letzteres kam deutlich zu kurz, so dass viele der Stücke recht schroff und blechern daherpolterten.
Anna spielte die Tracks ihrer CD in ungefähr der Reihenfolge, in der sie auch auf dem Tonträger zu finden waren. Dabei endeten dann aber die Parallelen auch schon, denn jede einzelne Nummer diente lediglich als Basis für z.T. abenteuerliche Exkursionen in punkto Struktur, Arrangement und Vocal-Treatment. Anna heulte und jaulte sich durch ihre Nummern, dass es eine reine Freude war. Auch der Umstand, dass Anna auf ihrer CD schroffe und versöhnliche Töne geradezu brutal nebeneinanderstellte, egalisierte sich bei dieser Art von Treatment irgendwo. Es scheint, dass insbesondere die harten, spröden Passagen so versöhnlicher erschienen - ohne allerdings ihr Bedrohungspotential zu verlieren: Dass Anna gerne vom Teufel und vom Blackout singt, machte sie zu jeder Sekunde deutlich. Den Gesichtsausdruck, den sie bei den meisten ihrer Songs implementiert, bezeichnen Engländer gerne als "mean". Auch macht es Anna Spaß, mit der Dynamik zu hantieren. Bestes Beispiel für diese Art von Treatment, war der auf CD wie beim Konzert letzte Song, "Love Won't Be Leaving". Dieser geriet - zwischen Flüstern und Orkan - zu einer extremen Achterbahnfahrt, bei der Anna geschickt die Spannung aufbaute, so dass der letzte Refrain dann zu einer Art befreienden Erlösung geriet.
Als Dramaqueen macht Anna Calvi so schnell niemand etwas vor. Und dann war die Sache nach ca. 50 Minuten auch schon vorbei. Zwar ließ sich Anna dann noch zu einer zweiten Zugabe hinreißen, aber es war deutlich, dass da eben noch nicht mehr Material vorhanden ist, um die "normale" Konzertlänge zu erreichen. Anna beendete das Konzert mit einer ziemlich zerstörerischen Version des Edith Piaf Chansons "Jezebel" (Annas erste Veröffentlichung unter eigenem Namen und mit der Elvis-Nummer "Surrender" Bestandteil ihres Repertoires). Das lag zwar, oberflächlich betrachtet, nicht auf der Hand, machte aber schon Sinn, denn Edith Piaf war schließlich auch für ihre stimmliche Intensität bekannt - und hier kann Anna Calvi in ihrer Branche ganz klar mithalten.