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Konzert-Bericht
 
Fegefeuer-Blues

The Pretty Reckless
The Cruel Knives

Köln, Gloria
30.01.2017

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The Pretty Reckless
Die Frage, wie man Frauen und harte Rockmusik am besten zusammenbringen könnte, wurde bei diesem Konzert im ausverkauften Kölner Gloria auf eindrucksvolle Weise beantwortet: Zunächst mal braucht es dafür eine Identifikationsfigur wie die Pretty Reckless-Frontfrau Taylor Momsen, die von den überwiegend jungen Damen im Auditorium wohl nicht nur wegen ihrer gerne mal selbstzerstörerischen, düsteren Lyrics verehrt wird, sondern auch als Stil-Ikone, die es zu kopieren gilt. Und dann war da noch der Support-Act, das britische Quartett The Cruel Knives, das soeben aus der Vorgängerband Heaven's Basement hervorgegangen ist und bei dem hauptsächlich weiblichen Publikum von der ersten Sekunde an punkten konnte, obwohl es hierbei musikalisch um klassischen, Testosteron-geschwängerten Gitarrenrock ging.
Das liegt wohl auch daran, dass sich die Herren optisch von irgendwelchen Hardrock- oder Heavy Metal-Klischees fernhalten, sondern sich stattdessen als gutgelaunte Boygroup mit Schmackes produzierten. Eine Handvoll knackiger, rifforientierter, geschickt konstruierter Rausschmeißer, mit denen die Jungs zwar handwerkliche Kompetenz zeigten, sich aber von Genre-Klischees angenehm distanzierten, taten ein Übriges, die (sich zum Teil hier bereits hysterisch gebärdenden) Fans bei der Stange zu halten. Frontman Sid Glover und Gitarrist Rob Ellershaw taten zusätzlich alles, um dem Anheizer-Charakter ihres Sets in jeder Beziehung gerecht zu werden.

Danach hing das Publikum dann allerdings ein wenig in der Luft. The Pretty Reckless gehören zu jener Gattung von Acts, bei denen Professionalität über allem steht. Dazu gehört zum Beispiel, dass zwar für den Soundcheck gerade mal 15 Minuten angesetzt sind (die auch vollkommen ausreichten), dafür aber für die Vorbereitung der Show sehr viel Augenmerk gerichtet wurde. Bis dann die Bühne bereinigt und alle technischen Details überprüft worden waren, verging so fast eine dreiviertel Stunde. Bereits im Oktober letzten Jahres veröffentlichte die Band aus New York ihr drittes Album "Who You Sellin For" und absolvierte seither schon eine ausgedehnte US-Tournee. Es durfte also damit gerechnet werden, dass das Material mit einer gewissen souveränen Routine dargeboten werden würde - was sich dann im Folgenden auch bestätigte. Spannend hingegen war die Frage, ob die Band die stilistischen Freiheiten, die insbesondere die neue CD auszeichneten, auch auf der Bühne umsetzen würden.

"Live-Auftritte und Studioaufnahmen sind vollkommen unterschiedliche Dinge", erklärte uns das Taylor Momsen vor der Show, "das neue Material entstand sehr organisch und fast unbeabsichtigt. Was wir dieses Mal anders gemacht haben, ist - zusammen mit einigen Gästen - alles live im Studio ohne Overdubs einzuspielen. Was man im Studio immer versucht, ist, sich für alles offen zu zeigen, weil es schlicht scheiße klingt, wenn man versucht, etwas zu erzwingen. Das kann wie Folter sein, weil man auf die Inspiration warten muss." Dieser Druck fällt ja auf der Bühne weg, oder? "Ganz genau - live ist immer sehr viel entspannter, weil man ja nichts Neues erschaffen muss und weiß, worum es geht. Es ist aber immer wieder was anderes auf der Bühne, weil wir mittlerweile ein Repertoire haben, das uns ermöglicht, jeden Abend eine anderes Set zu spielen - und ich kann auf der Bühne von der Energie des Publikums zehren." Das tut Taylor Momsen ziemlich kontrolliert. Während sie im ersten Teil der Show mehr oder minder introvertiert mit geschlossenen Augen vor sich hin singt, öffnet sie sich im Folgenden immer mehr und lässt dann keine Möglichkeit aus, das Publikum einzubeziehen. Helfen dabei eigentlich die Erfahrungen, die Taylor als Schauspielerin sammelte, die Songs auf der Bühne zu performen? "Nein - das sind total unterschiedliche Dinge", meint sie sehr bestimmt, "als Schauspielerin sagst du Texte auf, die sich jemand anderes ausgedacht hat - das schafft eine Distanz zu dir selbst. Musik hingegen ist sooo persönlich. Ich meine: Ich kann hier Material, das ich in meinem Schlafzimmer geschrieben habe, mit Leuten teilen, die sich auf eine irgendwie magische Weise damit verbunden fühlen." Das ist vielleicht auch der Grund, warum die Fans bei den Live-Konzerten geradezu an Taylors Lippen hängen und die Texte gerne auch mitsingen - was bei einer solch druckvollen Gemengelage ja gar nicht selbstverständlich ist.

Was The Pretty Reckless als Live-Band auszeichnet, ist der Umstand, dass - obwohl der Sound sehr viel animalischer und teilweise gutturaler - ausgelegt ist, als bei den brillant produzierten Studioversionen und somit die meisten Tracks wesentlich druckvoller und rauer rüberkommen, dennoch auf die stilistischen Feinheiten nicht verzichtet wird. Zwar gab es hier (bis auf einige eingespielte Sound-Effekte) keine zusätzlichen Instrumente und Taylor selbst griff nur selten zur Gitarre - strukturell, melodisch und dynamisch wurden aber alle Register gezogen. Neben klassischem Hardrock gab es auch immer wieder Referenzen an Grunge-, Punk- oder Emo-Rock, geradezu poppige Phasen, ein wenig Soul und immer wieder auch Blues-Elemente, die das Klangbild stets abwechslungsreich und kunterbunt erscheinen ließen. "Wir wären ja auch verrückt, wenn wir darauf verzichteten", erklärt Taylor, "denn erstens stammt der Rock'n'Roll ja vom Blues. Ohne Blues gäbe es keinen Rock'n'Roll - wie also sollte man den Blues da rauslassen? Und der Grund, warum wir in der Band Rock'n'Roll so sehr lieben, ist doch der, dass Rock'n'Roll alles sein kann. Rock'n'Roll bedeutet Freiheit und kennt keine Grenzen. Pop. Jazz, Blues, HipHop, Funk - es beinhaltet einfach alles. Und für mich ist es der größte Spaß, mich in einem solchen grenzenlosen Genre bewegen zu können." Nun war es zwar nicht so, dass bei der Show im Gloria jede einzelne der von Taylor besungenen Kategorien abgearbeitet wurde, aber die Show bot doch ziemlich viele Facetten jenseits der reinen Rock-Dröhnung. Allerdings in einer ziemlich konzentrierten Form, denn im Vergleich zu den Studio-Aufnahmen wurden die Extreme deutlich konsequenter ausgelotet. Die dramatisch/kritische Selbstbespiegelungs-Orgie "Oh My God" vom neuen Album etwa kam in Form einer Speedmetal-Klatsche daher währen auf der anderen Seite der Skala der Titeltrack "Who You Selling For" zu einer Art musikalischer Streicheleinheit geriet, in der Taylors Stimme fast nicht mehr zu hören war. Dazwischen gab es dann immer wieder Rückgriffe auf die Historie, in der dann zum Beispiel die Tracks der ersten LP wie "Make Me Wanna Die" oder "Light Me Up" zu poppigen Party-Nummern mit Mitsing-Charakter wurden. Es scheint der Band dabei wichtig zu sein, die verschiedenen Facetten der Songs stets neu zu beleuchten. "Ich erkläre das immer so", erläutert Taylor dies, "für mich gibt es immer drei Geburten eines Songs: Das Schreiben des Songs selbst - was die schwierigste aber auch die lohnendste Phase ist. Dann müssen wir den Song mit der Band einspielen. Ben Phillips und ich schreiben die Songs oft auf der akustischen Gitarre und müssen dann erst mal ein Band-Setting finden. Und dann müssen wir die Songs für die Live-Shows umschreiben." Wieso denn das? "Nun, weil wir hier keine Extra-Tracks und keine Extra-Musiker haben - wir spielen alles selbst." Bemerkenswert bei all dem erscheint der Umstand, dass die Band am Ende zwar somit durchaus mit echten Live-Versionen aufzuwarten weiß, die sich deutlich von den Studio-Aufnahmen unterscheiden - aber nicht um den Preis endloser Gniedel-Orgien. Die Songs blieben allesamt im angenehm kalkulierten Format, die instrumentalen Beiträge - insbesondere Ben Phillips Gitarrenparts - waren (dank diverser Effektgeräte) abwechslungsreich, aber nicht selbstverliebt und die dramatische Wirkung des Sets ergab sich weniger aus dem betont zurückhaltenden, aber effektiven showmäßigen No Nonsense-Setting als aus der Dramatik von Taylors Vortrag und ihren dystopischen Lyrics.

Hier sei vielleicht abschließend noch die Frage erlaubt, warum sich ihre Settings immer in einer Art Fegefeuer-Szenario abspielen müssen. Ist das eine Art Therapie? "Ist denn das Leben denn nicht ein bisschen wie ein Fegefeuer?", fragt sie zurück, "ich schreibe seit ich klein bin und mein Songbook war immer mein bester Freund. Songs zu schreiben und seine Gefühle damit zu verarbeiten kann also schon therapeutisch sein. Es kann dich aber auch auf eine Abwärtsspirale führen, wenn du mit deinen ganzen Gedanken und Emotionen in deinem Kopf klar kommen musst. Es ist in jedem Fall seltsam, Musik, die man für sich selbst gemacht hat, der Welt zu übergeben - weil man danach keine Kontrolle mehr darüber hat." Dafür hat man dann ja aber Fans wie jene von The Pretty Reckless. Man darf als Fan halt nur keine Lösungen erwarten: Die Zugabe des Abends klang dann auch wie ein Resume "It's A Fucked Up World".

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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-

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