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Konzert-Bericht
 
Die Löcher in den Beinen

Madeline Juno
Joey Cass

Köln, Club Bahnhof Ehrenfeld
11.10.2017

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Madeline Juno
Eine der eher ungewöhnlicheren Chamäleon-Karrieren der letzten Jahren hat zweifelsohne Madeline Juno hinter sich. Die junge Dame aus dem Black Forest wechselte nämlich auf ihren drei Veröffentlichungen "The Unknown", "Salvation" und "DNA" nicht nur die Haarfarbe bzw. Frisur, sondern auch den musikalischen Stil und zuletzt sogar die Sprache. Das ist dann wohl ein klassischer Fall von Identitätssuche. Spätestens jetzt, bei der Tour zu ihrer letzten Veröffentlichung "DNA", ist das aber alles Schnee von gestern, denn mit dem nun präsentierten Mix aus allen vorher angetesteten Stilen (und Frisuren) in einem schlüssigen, einheitlichen Setting scheint Maddy, wie sie die Fans rufen, ihre Bestimmung erst ein Mal gefunden zu haben - und sich dabei auch mega-glücklich zu fühlen. Was sich schon alleine durch die sympathisch verpeilte Art definierte, wie sie mit ihrem Publikum redete: "Heh - ein paar von euch haben ja Pullover an", erklärte sie mit Bezug auf die Raumtemperatur, "geht's denn noch? Ich sterbe hier oben ja gleich." Und so ging das denn weiter: Ob denn alle genug zu trinken hätten, weil Mama ja gesagt habe, dass man viel trinken solle, was man dann auch tun müsse; ob es den Kiddies mit den Kopfhörern neben dem Schlagzeuger denn gut ginge, oder ob sie sich lieber vorne auf die Bühne setzen wollen - oder besser nicht, da sie ja dort runterfallen würden; wie schwer es doch sei, eine Setlist zu schreiben, weil man ja nicht alles spielen könne, da das Publikum sich ansonsten ja Löcher in die Beine stehen würde - oder in den Bauch - bzw. durch die Beine in den Bauch oder so ähnlich... So lässt man sich als Zuhörer gerne totquatschen.
Als Support hatte Madeline im Rahmen der Nachwuchsförderung den in Berlin lebenden Songwriter Joey Cass eingeladen. Der junge Mann aus der Grafschaft Kent machte sich einen Spaß daraus, mittels seine überschaubaren Deutsch-Kenntnissen und nur teilweise aufgesetzt wirkenden, linkischen Gesten mit dem Publikum zu flirten. Beispielsweise indem er seine Textzettel nicht finden konnte oder sich darüber erstaunt zeigte, dass so viele Leute Deutsch sprechen können. Cass macht seit zehn Jahren Musik und stand dereinst einer Pop-Punk-Band vor. Davon ist heutzutage nichts mehr zu merken. Joey präsentierte eine Reigen gediegener Liebes-Balladen. Diese trug er auf einer elektrischen Gitarre vor, die er allerdings wie eine akustische handhabte. Da hätte er auch gleich eine solche nehmen können und so vielleicht sogar ein wenig mehr Variation in das Material bringen können. Schlecht war das, was der schlaksige Troubadour da präsentierte, zwar nicht - aber so richtig aufregend war es dann auch wieder nicht. Joey Cass muss mal schauen, dass er irgendetwas Spezifisches in seine Musik einbaut - denn so blieb da nicht viel haften.

Aber kommen wir noch mal zu Madeline Junos Auftritt. Mitten in der Karriere mit der dritten LP "DNA" die Sprache zu wechseln ist ja gewissermaßen auch ein Wagnis - war aber wohl in dem Fall genau die richtige Entscheidung, denn Madelines Publikum besteht vornehmlich aus sehr jungen Fans, die mit den deutschen Lyrics Madelines offensichtlich einfacher zurecht kommen als mit den (gewiss nicht schlechten) englischen ihrer beiden vorhergehenden Veröffentlichungen. Und natürlich führte das bei dem Konzert dazu, dass dann eifrig mitgesungen wurde - insbesondere dann, wenn Madeline einen ihrer Hits wie z.B. "Waldbrand" (das Stück, mit dem der Sprachwechsel einsetzte) oder eines ihrer vielen Lieblingslieder wie z.B. "Durchsichtig" anstimmte, die sie dann auch mit besonderer Inbrunst vortrug. Musikalisch war die Sache insofern spannend, als dass die neuen Tracks auf "DNA" - anders als jene auf dem Songwriter-Album "The Unknown" und auch jene auf dem Pop-Album "Salvation" - ja eigentlich in einem E-Pop-Setting angerichtet sind, das ja zum Beispiel fast ohne Gitarrenbeteiligung auskommt und von Maddy und ihrem Produzenten Oliver Som im Alleingang konstruiert wurde. Zum Glück hatte man sich für die Live-Präsentation für einen Mix aus organischen und elektronischen Bestandteilen entschieden.

So agierte Madeline - die bis auf ein bisschen Glockenspiel und ein paar Tastendrücke auf dem Keyboard ansonsten keine Instrumente selbst bediente - mit einer Band im Trio-Format, das Keyboarder, Drummer und Gitarrist beinhaltete. Auch das Instrumentarium war mit mehreren Keyboards, diversen Gitarren (sogar einer Lapsteel-Gitarre), diversen Bässen, dem schon angesprochenen Glockenspiel und einer Melodica erstaunlich umfangreich ausgefallen, so dass die - zum Teil stark umarrangierten Stücke - auf jeden Fall mit einem Mix aus organischen und elektronischen Bestandteilen, deutlich mehr Drive und gerne auch mal mit einer gewissen Club- oder Disco-Energie daher kam. Tatsächlich gelang es so, auch den melancholischen Elegien, die Madeline Juno tendenziell immer noch bevorzugt, gewisse positive Vibes abzugewinnen. Natürlich wurden die Tracks von "DNA" bevorzugt behandelt, aber auch für die englischsprachigen Songs der Vergangenheit blieb Platz - und auch hier hatte man sich etwas Nettes überlegt, denn im letzten Drittel der Show gab es eine Art Unplugged-Session, die mit einer Piano-Solo-Version von "Error" (was ja ursprünglich eine klassische Gitarren-Ballade ist) begann. Dort versammelten sich die Musikanten dann mit akustischen Instrumenten am Bühnenrand und boten dann ein paar Lagerfeuer-Versionen - "Ohne Kleider" geht also auch "ohne laute Töne". Der Charme dabei ist dann der, dass so en passant auch echte Live-Versionen geboten wurden, die sich mehr oder minder stark von den Studio-Versionen abhoben und somit ein gewisses Eigenleben entwickelten. Der Unterschied zwischen einer solchen Live-Show, bei der sich Madeline Juno als nahbare Künstlerin auf einer Eben mit ihren Fans präsentierte und den eher gestelzten Fernsehauftritten der Künstlerin könnte größer jedenfalls nicht sein. Es ist nun nicht so, dass Madeline Juno und ihre Musiker hier irgendwelche Räder neu erfanden oder wichtige Botschaften unter das Volk zu bringen hatte (also mal abgesehen davon, dass man immer viel trinken sollte), aber wer das Publikum dermaßen mitreißen und begeistern kann, dabei offensichtlich selbst noch mächtig Spaß zu haben scheint und obendrein musikalisch auch mal das eine oder andere ausprobiert, ohne auf Erwartungshaltungen und Kompatibilität zu schielen, der macht ja wohl als Musiker(in) irgend etwas richtig.

Madeline Juno
NACHGEHAKT BEI: Madeline Juno

GL.de: Auch wenn das jetzt sicherlich keine besonders originelle Frage ist: Was hat Madeline Juno bewogen, nach ihrer zweiten LP von englischen Lyrics auf deutsche zu wechseln - und dabei dann auch noch den musikalischen Stil zu reformieren?

Madeline: Ehrlich gesagt, glaube ich, dass ich in aller erster Linie einfach erwachsen geworden bin. Das erste Album ist entstanden in der Zeit, als ich zwischen 15 und 18 war. Damals war ich schwerst melancholisch, "herzgebrochen" und traurig. Alles, was ich damals hörte, war akustische, melancholische Musik - das war das, womit ich mich identifizieren konnte, und das, was ich gemacht habe und was mir gefallen hat. Je älter ich dann wurde, desto mehr habe ich mich dann für sämtliche Musikrichtungen geöffnet. Und so kam es dann, dass ich für das zweite Album "Salvation" erst mal in eine poppige-Richtung gegangen bin und wahnsinnig viel ausprobiert habe und mich dabei wohl und gut gefühlt habe. Ich kann mir das so erklären - denn es ist nichts, was mir aufgezwungen wurde. Ich würde mir auch niemals Stücke schreiben lassen. Es war halt mein eigener Kopf, der eben nicht mehr so funktioniert, wie mit 15 oder 18.

GL.de: Und hat das mit dem Wechsel zur Deutschen Sprache bei "DNA" vielleicht mit dem jungen Publikum, zu tun?

Madeline: Das geht damit einher. Ich finde es jedenfalls schön - und das kann man beobachten -, dass die Menschen viel präsenter sind und an den Worten hängen und wissen, worum es geht - so albern das auch klingen mag. Aber nicht das war der Beweggrund für mich. Ich war eigentlich mein ganzes Leben lang bis dahin immer anti-Deutsch und habe bis heute eigentlich auch nur ganz wenige Musiker, die mir auf Deutsch richtig gut gefallen. Ich dachte auch eine lange Zeit, dass das bei mir nie passieren würde. Ich bin auch nach wie vor der englischen Sprache treu und schreibe auch noch wahnsinnig gern auf Englisch - aber letztes Jahr ist dann dieser Song "Waldbrand" entstanden und da habe ich erst verstanden, dass mir es doch ganz gut gefällt, auf meine Art mit meiner Sprache umzugehen. Es gibt da so eine Tiefe, die es im Englischen doch nicht so sehr gibt. Es ist einfach der Fakt der Muttersprache, denn was ich heute schreibe ist eigentlich alles nicht sehr viel tiefgründiger als früher.

GL.de: Deutsch ist ja vor allen Dingen auch eine genauere Sprache, richtig?

Madeline: Ja genau. Ich habe zwar im Englischen nie nicht das gesagt, was ich sagen wollte, aber im Englischen ist es oft so, dass man für verschiedene Begriffe einfach nur ein Wort hat - und das ist im Deutschen ganz anders. Da gibt es für alles einen genauen Begriff. Im Deutschen gibt es auch Worte, für die im Englischen gar keine Entsprechungen existieren. Deutsch ist eine sehr vielfältige Sprache. Man kann mit Worten und Metaphern spielen, die sehr viel tiefer gehen - und das ist es, was mir gefällt und warum ich das jetzt mache.

GL.de: Und wie passt der Wechsel zum E-Pop zu diesem Schritt? Ist das jetzt auch die bevorzugte Art von Musik?

Madeline: Ja. Ich habe zwar meine alten Lieblingsplatten nicht verworfen und höre immer noch gerne William Fitzsimmons oder Tegan & Sara - wobei die ja auch in eine poppige Richtung gehen. Generell höre ich heute aber schon viel mehr Pop - viel mehr jedenfalls, als ich jugendlich war.

GL.de: Jetzt ist es aber doch so, dass es sich in den Texten immer noch um Beziehungsdramen und Liebesschmerz-Geschichten dreht. Das lässt sich ja nicht ewig fortsetzen, weil man ja nicht gut Beziehungen nur deswegen eingehen kann, um Material für neue Songs zu bekommen.

Madeline: Ja, das wäre ja ganz fatal, wenn man immer nur der Muse wegen Beziehungen einginge. Nein, ich glaube die Songs entstehen einfach, weil etwas Schönes entsteht und dann wieder kaputt geht. Aber es stimmt - es ist sicher irgendwann mal vorbei mit dem Schreiben von Liebesliedern. Ich glaube zwar, dass Liebe nach wie vor das größte Thema überhaupt ist - weil sie die Menschen einfach verbindet oder kaputt macht. Ich glaube aber auch, dass ich in Zukunft noch mehr Songs über große Themen schreiben werde. Noch mehr als auf "DNA", wo es schon einige Songs gibt, die nicht von Liebesbeziehungen handeln, wie z.B. das Stück "Phantomschmerz", das ich über den Tod meines Großvaters geschrieben habe. Und "DNA" handelt davon, die Stärke in sich selbst zu finden. Der Anteil solcher Songs kann sich in Zukunft sicherlich noch steigern.

GL.de: Sind denn die neuen Songs auch auf eine andere Art entstanden, als die älteren?

Madeline: Ja, für mich war das ein neuer Ansatz. Denn die Songs von meinem ersten Album sind alle in meinem Kinder- bzw. Jugendzimmer entstanden - und dann habe ich mich mit Produzenten getroffen und wir haben überlegt, wie man diese umsetzen kann. Beim zweiten Album habe ich mich mit allen möglichen Leuten zusammengesetzt und geschrieben und produziert und das neue Album "DNA", das bin ich alleine, die textet und Olli, der Produzent und das gab es so für mich noch nie.

GL.de: Was zeichnet denn einen guten Song aus?

Madeline: Ich glaube, ein Song, der gut ist, braucht eine Message die bewegt und etwas aussagt und es ist für mich wichtig, wenn ein Song im Ohr bleibt. Wenn der Song vorbei ist und die Menschen dann einen Refrain oder eine Zeile noch im Kopf haben, dann ist das für mich ein gelungener Song; wenn er also bewegt und im Ohr bleibt.

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www.facebook.com/JoeyCassMusic
Text: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-

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