Idles mögen mit ihrem rohen Sound und ihren herrlichen In-your-face-Brüllslogans ("The best way to scare a Tory is to read and get rich!" heißt es im heimlichen Superhit "Mother") ein Paradebeispiel für eine wütende Band sein, witzig sind sie allerdings auf jeden Fall auch. Das passt prima zum Credo des Quintetts. "Unser Ziel ist es nicht, eine Revolution zu starten, aber wir quatschen auch an der Theke über Politik, da wäre es doch seltsam, nicht auch davon zu singen", erklärte Talbot kürzlich einem englischen Pressevertreter. Ganz in Weiß kommen die Herren auf die Bühne, nur Gitarrist Mark Bowen fällt kleidungstechnisch etwas aus dem Rahmen. Bis auf eine Boxerhose und den irren Blick in seinen Augen trägt er nichts am Leib.
Knapp eine Stunde lang brennen die fünf Herren aus Bristol ein vor allem visuell äußerst unterhaltsames Soundfeuerwerk ab, denn nicht nur Bowen wirft sich mit dem ganzen Körper in die Musik, auch für Lee Kiernan ist Gitarrespielen eine Aktivität für den ganzen Körper. Leidenschaftlich nach vorn gepowert werden Idles vom wahnwitzigen Tempo, das Drummer Jon Beavis vorgibt, und trotz aller Ernsthaftigkeit der Texte sprüht die Performance vor juvenil anmutendem Übermut. Wann gibt es schon mal Konzerte im Gleis 22, bei denen am Ende nur noch die Hälfte der Band auf der Bühne steht, während sich die beiden Gitarristen am anderen Ende des Ladens am Soundboard duellieren? Oder wann erlebt man schon mal einen Sänger, der in aller Seelenruhe mitten im Song, ohne das Mikro aus der Hand zu legen, die Bühne verlässt und im Backstage ein paar neue Getränke aufgabelt - ohne auch nur eine Zeile zu verpassen?
Neben den Songs aus dem Debütalbum "Brutalism" und einer brandneuen Nummer namens "Television" gibt es sogar ein ungeplantes Weihnachtslied zu hören. Als Schlagzeuger Beavis zur Hälfte des Sets so sehr auf seine Snaredrum einprügelt, dass die den Dienst quittiert, überbrücken Talbot und Bowen die Pause, bis eine neue Trommel am Start ist, erst mit einer A-cappella-Darbietung von Lionel Richies "Dancing On A Ceiling", um dann noch schnell ein inbrünstiges "All I Want For Christmas Is You" von Mariah Carey dranzuhängen! "Wir sind die schlechtklingendste Band der Welt, aber wir meinen es gut!", scherzt Talbot später.
Zwischen dem ironischen Klamauk gibt es ordentlich Moshpit-kompatible Sozialkritik, ein Loblied auf das englische Krankenversicherungssystem, Brexit-Schelte, aber auch ein paar Liebeslieder, denn: "Wir repräsentieren die Menschen und Liebe, nicht Großbritannien", wie Talbot unterstreicht. Den vom Publikum frenetisch geforderten Nachschlag nach dem frenetischen Keine-Gefangenen-Finale mit "Rottweiler" gibt es trotzdem nicht. "Zugaben machen wir nicht", erstickt Bassist Adam Devonshire die Hoffnungen der Zuschauer im Keim. Dem Andrang am Devotionalientisch danach tut das aber keinen Abbruch, denn Idles treffen den Nerv des Publikums - im Münsterland offenbar genauso wie daheim im Königreich.