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Konzert-Bericht
 
Bewegende Geschichtsstunde

Joe Henry

Bremen, Kito
10.02.2018
Joe Henry
Bei Radio Bremen mögen sie Joe Henry. Bereits zum zweiten Mal bestreitet der amerikanische Singer/Songwriter-Gigant einen seiner sehr seltenen Deutschland-Gastspiele in der Hansestadt und wieder ist es ein Radiokonzert in geradezu intimem Rahmen - dieses Mal im Kito, mitten im Hafenquartier von Vegesack, ganz im Norden von Bremen. Der Dachboden des ehemaligen Packhauses, das seine Ursprünge schon im 17. Jahrhundert hat, entpuppt sich mit seinem knarzenden Holzboden und urigen Dachbalken schnell als prima Ort für dieses Konzert: Schließlich ist Joe Henry ein Meister, wenn es darum geht, altbewährte Americana-Tugenden von gestern und vorgestern für facettenreiche Songs zu nutzen, die dennoch nie altbacken klingen und textlich fest im Hier und Jetzt verankert sind. Das stellt der auch als Produzent für Lichtgestalten der US-Roots-Szene wie Bonnie Raitt, Bettye LaVette oder Joan Baez tätige 57-Jährige an diesem Samstagabend mit einer bewegenden Geschichtsstunde einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis.
Joe Henry
Es ist kurz nach 20.00 Uhr, als Joe Henry lässig mit Jeans und schwarzem Sakko bekleidet die kleine Bühne betritt. Augenscheinlich ist er in der Stadt, um sein ausgezeichnetes 14. Album, "Thrum", vorzustellen, doch gleich zu Beginn erklärt er dem Publikum, dass er seine Konzerte nicht als Werbeveranstaltungen für seine Platten betrachtet. An diesem Abend steht deshalb mit "Trampoline" das Titelstück eines Albums am Anfang, das er bereits vor über 20 Jahren aufgenommen hat. Anders als vor vier Jahren, als ihn sein Sohn Levon an Saxofon und Klarinette begleitet hatte, steht der smarte Amerikaner dieses Mal wie ein klassischer Troubadour allein auf der Bühne, doch das passt zur Ausrichtung der Show. Die Akustikgitarre bleibt an diesem Abend reines Begleitinstrument, der musikalische Wohlklang steht bisweilen hinter den Inhalten zurück. Kern der Performance sind die Geschichten, die Henry erzählt - in seinen Songs und auch dazwischen. Sie reichen von lehrreich bis anrührend, etwa wenn er über den Hunger nach Liebe und Zusammenhalt spricht oder sich an den gemeinsamen Tourneeabend mit Billy Bragg in einem Londoner Hotel erinnert, an dem Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde. Eine zweifellos traumatische Erfahrung, die Henry dennoch in positive Emotionen kanalisiert hat: Tags darauf schrieb er "Keep Us In Song", das eindrucksvolle Schlussstück seiner aktuellen LP mit der klaren Botschaft: Aufgeben ist keine Option. Auch "Our Song", einer von den zwei Songs aus seinem Meisterwerk "Civilians", für die er die Gitarre gegen den Flügel eintauscht, ist politisch motiviert, wenngleich das Lied bereits zehn Jahre alt ist.
Joe Henry
Doch trotz aller Ernsthaftigkeit, die Henry stellenweise sogar etwas unnahbar wirken lässt, obwohl er nur eine Armlänge von den Zuschauern in der ersten Reihe entfernt steht: Als er "Believer" augenzwinkernd als Synthese aus "Amazing Grace" und "Let's Get It On" ankündigt, hat er die Lacher auf seiner Seite. "Aber ganz ehrlich, eigentlich strebe ich diese Mischung mit jedem Song an, den ich schreibe", fügt er augenzwinkernd hinzu. Vor "After The War" bittet er die bedächtig lauschenden Zuschauer derweil, sich vorzustellen, er sei Frank Sinatra. "Ich tu's auch", sagt er mit einem Lachen. Rund 100 Minuten lang nimmt Henry das Publikum mit auf eine Reise quer durch sein beachtliches Repertoire, vom kürzlich wiederentdeckten "Short Man's Room" von 1992 über "Sold" aus dem auch schon 15 Jahre alten Album "Tiny Voices" bis zu "Climb", dem vielleicht ergreifendsten Song seiner aktuellen LP, der sich an diesem Abend als heimlicher Höhepunkt entpuppt. Bei der Zugabe ist sogar Raum für eine echte Rarität: Auf besonderen Wunsch eines Freundes und Förderers bei Radio Bremen spielt er zum ersten Mal seit Langem (und zur Sicherheit mit einem handgeschriebenen Spickzettel zu seinen Füßen) "Love Is Enough". Mit seinen Songs versprüht er viel wohlige Wärme, scheut sich aber auch nicht davor, manchmal etwas sperriger zu werden. Ein Grenzgänger zwischen den Genres, dem künstlerische Integrität und Abenteuerlust stets wichtiger war, als im Mainstream Fuß zu fassen.
Surfempfehlung:
www.joehenrylovesyoumadly.com
www.facebook.com/joehenrylovesyoumadly
Text: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Carsten Wohlfeld-


 
 

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