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Internationale Familienfeier

Static Roots Festival

Oberhausen, Zentrum Altenberg
13.07.2018/ 14.07.2018

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Cordovas
Innerhalb von gerade mal drei Jahren hat sich das Static Roots Festival, das jeweils im Juli im Zentrum Altenberg in Oberhausen stattfindet, zur ersten Adresse für Americana-Fans aus praktisch ganz Europa gemausert. Der internationale Zuspruch hängt unter anderem damit zusammen, dass das Festival aufgrund seiner Historie eng mit dem irischen Ort Kilkenny verbunden ist, wo jährlich ein Americana-Stadtfestival stattfindet, auf dem der Festivalmacher, Dietmar Leibecke, viele jener Acts "aufsammelt", die dann auch in Oberhausen aufschlagen (und dann auch gleich lokale Fans mitbringen).
Wie auch zuvor, so wurde das Festival wieder von dem kanadischen Radiomacher Jeff Robson moderiert, der (zum Glück) auf die üblichen Motivationswitze und Publikumsanimationen verzichtete, sondern stattdessen die diversen Acts - zwar mit dem Herzen eines Fans - mit interessanten Background-Informationen ankündigte. Das war in diesem Jahr schon alleine deswegen von Vorteil, weil wirklich jeder Act eine eigene musikalische Facette des gemeinsamen Americana-Bereiches abdeckte.

Hannah Aldridge etwa begann das Event mit einem klassischen, akustischen Singer/Songwriter Solo-Set. Hannah lebte 15 Jahre in Nashville und residiert nun in Muscle Shoals - ist dabei aber weder auf Country- noch auf Memphis-Soul-Sound spezialisiert, sondern fächert ihre Songs stilistisch zwischen Folk-, Folkpop und Blues auf - und greift dabei in klassischer Songwriter-Manier ein breites Spektrum an Themen auf: Liebeslieder gibt es bei ihr ebenso wie Mörderballaden, Trenndungsdramen, Crimestories oder Songs über Untreue. Und dann ist da noch ihr besonderes Steckenpferd: Der Horrorfilm. "Ich liebe Horrorfilme", erklärte sie nach der Show, "weil ich mich vor ihnen fürchte und deswegen gut darüber schreiben kann und sie damit verarbeiten kann." Nun gut: Eine Portion speziellen Humor gehört sowieso zum Shtick der Dame, die jede Pose routinierter Live-Performer aus dem EffEff zu bedienen weiß. "Deutschland ist eines meiner liebsten Länder", erklärte sie zum Beispiel - um dann, als ein ungläubiges Raunen ansetzte hinzuzufügen, "doch, doch das stimmt. Und zwar deswegen, weil ihr wisst wie man sich betrinkt, denn ich betrinke mich auch gerne."

Zu den Mentoren des Festivals gehörte der Ire Willie Meighan, ein Freund Dietmars aus Kilkenny, der diesen bei der Gestaltung des Festivals maßgeblich beriet, der aber im letzten Jahr tragischerweise verstorben ist. Grund genug für Dietmar Leibecke, einen Slot zu Ehren Willie Meighans auf dem Festival einzurichten. Für die Midnight Union Band aus Kilkenny, die auch auf dem ersten Static Roots Festival zugegen war, war Meighan sogar eine Art Ziehvater - weswegen die Jungs um Shane Joyce auch mit großer Begeisterung und einer jugendlichen Verve für Meighan in die Saiten griff. Die Midnight Union Band brachte ein gewisses britisches Flair ins Geschehen - mit je einer Prise Beat-Geschrammel, druckvollem Brit-Pop und klassischem irischem Songwriting (allerdings ohne Irish-Folk-Floskeln). Angerockte Coverversionen von The Smiths und den Pogues rundeten das mitreißende Set dann noch entsprechend ab.

Stephen Stanley (und ein nicht eindeutig zu bestimmender Teil seiner Band) kommt aus Toronto, Kanada, und hatte sich für die aktuelle Tour mit der Songwriterin Hadley McCall Thackston aus Athens, Georgia, und den irischen Akkordeonisten Gerard Moloney verstärkt - was im soliden Roots-Rock-Set der Kanadier für folkige Akzente und diverse soulig/jazzige Duett-Momente sorgte. Der Umstand, dass die Band statt eines eigenen Bassisten den Keyboarder (und Produzenten) Chris Brown bemüht, war dann für konventionelle Rockfreunde eher gewöhnungsbedürftig.

Ebenfalls aus Kanada stammt Terra Lightfoot, die mit ihrem Trio (und dem gelegentlichen Gaststar Charlie Whitten) ein beeindruckend druckvolles Schweinerock-Set hinlegte, das in dieser Konsequenz und Brillanz dann doch überraschte; denn wer die Scheiben Terras kennt, hätte mit Sicherheit eine bluesigere oder poppigere Show erwartete. Doch nichts da: Mit bemerkenswerter Ökonomie, jeder Menge cooler Moves und Posen - aber ohne besondere Allüren - zeigten Terra & Co., was sich aus der im Prinzip ausgelutschten Männerdomäne mit einem bisschen Spielfreude (und guten Songs) alles herausholen lässt. Bei ihrem eigenen Set hatte Hannah Aldridge gesagt, dass sie statt Country-Musik eigentlich Rockmusik bevorzuge. Das schien nicht gelogen, denn Hannah filmte praktisch die ganze Show Terra's mit ihrem Handy mit.

Der zweite Tag begann dann mit einem Solo-Auftritt von Justin Osborne. Der junge Mann aus Charleston, South Carolina, bietet für gewöhnlich mit seiner Band Susto klassischen Roots-Rock - sorgte aber mit seinem Solo-Auftritt eher für klassisches Folk-Flair. In der Tradition der großen Melancholiker des Genres brachte er seinen Männerschmerz in seinen "Loner-Songs" (wie er selbst das nannte) mit einer larmoyanten Note zum Ausdruck. Das stand dann sogar ein wenig im Widerspruch zu Osbornes eigentlich recht positiver persönlicher Ausstrahlung.

Anthony Da Costa aus Nashville hat sich insbesondere als unverzichtbarer Session Musiker (u.a. für Sarah Jarosz und Aoife O'Donovan) einen Namen gemacht, ist aber auch als emsiger Songwriter in eigener Sache unterwegs. Für das Set in Oberhausen hatte er sich mit seiner dänischen Backing Band The Sentimentals verstärkt und bot eine Show, die davon geprägt wurde, dass er sich augenscheinlich nicht entscheiden konnte, ob er als intensiver Performer, intelligenter Songwriter oder manischer Gitarrist brillieren wollte - und dann alles auf ein Mal machte, und dann auch noch seinen Mitstreitern Raum für eigene Entfaltung bot. Dabei folgte die Show zudem einer klugen Dramaturgie und steigerte sich vom fast Meditativen ins Hyperkinetische. Musikalisch gesehen, war dieses sicherlich das intelligenteste Set des ganzen Tages.

Charlie Whitten (den Terra Lightfoot am Tag zuvor nur ausnahmsweise auf die Bühne gelassen hatte, obwohl er größer war als sie selbst) überzeugte dann im Folgenden durch eine geradezu heitere Gelassenheit. Auch er absolvierte ein Solo-Set - das aber aufgrund dessen, dass er konsequent auf einer E-Gitarre herumschrammelte, ganz anders klang als jenes von Justin Osborne zuvor. Folkig klangen die sentimentalen, stimmungsvollen und relaxed dargebotenen Songs Whittens schon alleine deswegen nicht, weil er auf eine Mundharmonika pfiff (die scheiße klingt, wie er meinte) - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes und mit jeder Menge Vibrato.

Die kurzfristige Absage des eigentlich als nächstes eingeplanten Songwriters Donald Byron Wheatley erwies sich insofern als Glücksfall, als dass sich so die Möglichkeit bot, Hadley Mc Call Thackston mit ihren eigenen Songs dem Publikum zu präsentieren. Die Songs ihrer selbst betitelten, von Chris Brown auf der kanadischen Insel Wolfe Island produzierten LP, entstanden in einem eher folkigen Setting. Im eher rockorientierten Umfeld mit der Stephen Stanley Band im Rücken bekam die Sache nun eine ganz andere Richtung. Technisch gesehen lief da eigentlich nicht viel zusammen: Der eher lineare Ansatz der Stephen Stanley Band wollte nicht so recht zu der verspielten, hochemotionalen, überbordenden Art passen, mit der Hadley ihre Melodien und Geschichten eher impulsiv als kontrolliert umspielt und auch der Rhythmus wollte nicht so recht zu dem passen, was da auf der Bühne passierte. Und dennoch gehörte dieses Set zu den emotionalen Highlights des Festivals - einfach weil hier greifbar wurde, dass sich da jemand auf sympathisch unsortierte Art die Seele aus dem Leibe sang. Was wieder mal zeigt, dass sich Musik nicht mit Winkelmesser, Lineal und Tachometer fassen lässt.

Danny Wilson, der im Vorjahr mit seiner Band The Champions Of The World auf dem Static Roots Festival gastierte, gehört sozusagen zum Inventar, denn auch bei den Hauskonzerten, die Dietmar Leibecke in Mülheim veranstaltet, war Wilson schon zu Gast. Der Zufall wollte es, dass Wilson in dem Songwriter Robin Bennett und der lebenden Legende Tony Poole (der mit seiner Band Starry Eyed And Laughing immerhin schon in den frühen 70ern reüssierte) neue gleichgesinnte, magische Gespielen gefunden hat - und das führte dann zu der Supergroup Bennett Wilson Poole. Hier ist es vor allen Dingen die Verbindung zwischen alt und jung auf der einen Seite und Americana und klassischem britischen Songwriting, die den Reiz der Sache ausmacht. Offensichtlich angetrieben von der in Jahrzehnten aufgebauten Rockstar-Energie des betont bodenständigen Rickenbacker-Masters Tony Poole boten Bennett Wilson & Poole eine satte Vollbedienung in Sachen klassischen Gitarren-Songwriter-Pops. Dabei machte sich insbesondere Poole einen Spaß daraus, die gesamte Rockhistorie - von Roy Orbison über die Beatles bis zu den Byrds - rauf und runter zu zitieren; bis hin zu dem Umstand, dass die Band dann schließlich Orbisons "You Got It" zum frenetischen Applaus des Publikums coverte. Dabei darf aber nicht unterschlagen werden, dass Bennett Wilson Poole keine Oldies-Band sind, sondern auch mit feinen, eigenen, biographisch gefärbten Songs überzeugten.

Das schweizerisch/österreichische Quartett Prinz Grizzley ist - trotz des eigenartigen Namens - im Laufe der letzten Monate zu einem heißen Tip in Sachen Americana-Vollbedienung geworden. Letztlich war es sogar die Band um den urigen Frontmann Chris Comper, die die reinrassigsten Country-Elemente auf dem ganzen Festival parat hielten. Von einer klagenden Pedal-Steel-Gitarre geprägte Honky Tonk-Stomper, Bakersfield-Twang-Jigs, Nashville-Walzer und folkige Torch Songs geben sich - mit viel Schmackes und Herzblut - bei Prinz Grizzley sozusagen die Klinke in die Hand. Und das alles, obwohl Chris Comper einen eher Country-untypischen Bariton sein Eigen nennt. Und noch etwas: Niemand käme bei all dem darauf, dass ausgerechnet diese Musikanten aus den Alpen stammen.

Wenn es um eine repräsentative Auswahl gängiger Americana-Stile geht, gibt es zur Zeit eigentlich nur eine Adresse - denn Joe Firstman und seine Cordovas haben wirklich jeden Stil-Schlenker drauf, den die klassische amerikanische Musikszene herzugeben hat. Da gibt es Westcoast-Sounds, Southern Rock, Eastcoast-Miteinander, Roots-Rock, Southern Swing, Texanischen Country-Rock und immer wieder Blues galore. Meist sogar alles zusammen im selben Stück. Das heißt: Sofern sich da einzelne Tracks überhaupt ausfindig machen lassen, denn die Cordovas haben die eigentümliche Manier, in der die einzelnen Elemente auf betont spielfreudige, empathische Weise in einer endlosen Jam-Session miteinander verknüpft werden, perfektioniert. Dass die Jungs Fans der Grateful Dead sind, macht sich also nicht nur daran fest, dass sie Songs der Alt-Hippies im Angebot haben, sondern auch durch die Art, in der alles auf psychedelische Weise miteinander verwoben wird. Dass die Jungs dabei eine neue Scheibe namens "That Santa Fe Channel" im Angebot haben, von der auch einige Tracks den Weg auf die (nicht vorhandene) Setlist fanden, geriet dabei fast zur Nebensache. Aber auch andere Legenden wurden da bemüht - seien es die Allman Brothers, The Band, Little Feat, alle möglichen Blues-Barden und auch Neil Young, dessen "Down By The River" gegen Ende der Show die Americana-Fans dann noch mal aus der Reserve lockte. Einen geeigneteres musikalisches Fazit des Festivals als den Auftritt der Cordovas hätte es jedenfalls kaum geben können.

Es war dann Dietmar Leibecke selbst, der die geeigneten Schlussworte für die Veranstaltung fand. Es passierten gerade so viele unangenehme Dinge auf der Welt - so meinte er resümierend zum Schluss -, die man aber in diesen zwei Tagen, an denen es sozusagen nur lachende, fröhliche Gesichter gegeben hätte, getrost habe vergessen können. In diesem Sinne wurde auch das diesjährige Static Roots Festival dem Motto "Peace, Love, Rock'n'Roll" wieder im Sinne einer großen, internationalen Familienfeier gerecht.

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Surfempfehlung:
www.staticrootsfestival.com
www.facebook.com/StaticRootsFestival
Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-

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