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Konzert-Bericht
 
Lehrstunde in Sachen Minimalismus

Amber Rubarth


Köln, Lichtung
11.11.2018
Amber Rubarth
Amber Rubarth braucht nicht viel, um zu begeistern: Wie hingetupft sind viele der Songs ihres aktuellen Albums "Wildflowers In The Graveyard", mit denen die inzwischen in Nashville heimisch gewordene 36-jährige Singer/Songwriterin den Zyklus von Leben, Tod und Erneuerung in der Natur kunstvoll auf zwischenmenschliche Beziehungen überträgt. Die oft fragil anmutende, gleichzeitig aber auch ungemein intensive Klangkulisse hat sie dafür auf das Nötigste reduziert und liefert so nicht nur die schönste Folk-Platte des abgelaufenen Jahres, sondern auch eine Lehrstunde in Sachen Minimalismus zwischen wilder Schönheit und zeitloser Friedfertigkeit ab. Bei ihrem hinreißenden Tourabschlusskonzert in Köln findet das auch live seine Entsprechung.
Amber Rubarth
Schnell ist an diesem Abend klar: Amber Rubarth ist eine wie keine. Weil am ominösen Elften im Elften der Rahmen intim bleibt, stellt sie bereits nach wenigen Songs das Mikro beiseite, stöpselt ihre altmodische halbakustische Gibson-Gitarre aus, macht zwei, drei Schritte nach vorn und singt mit natürlich-echter Stimme ganz nah beim Publikum knapp zwei Stunden lang herzergreifend schöne Lieder, bei denen sie mit intelligentem Songwriting und musikalischer Eleganz genauso begeistert wie mit dem wunderbar inspirierenden inneren Leuchten, das ihr ein ständiger Begleiter ist.

Damit liefert Rubarth aber nicht nur ein wohltuendes Kontrastprogramm zum karnevalistischen Treiben, das an diesem Tag die Straßen der Kölner Südstadt beherrscht. In Zeiten, in denen immer mehr Künstler das Unterwegssein als lästige Pflichtübung begreifen und sich gerade bei mäßig besuchten Shows bisweilen mehr schlecht als recht über die 45-Minuten-Marke retten, um zumindest die Minimalanforderungen an ein Konzert zu erfüllen, singt Rubarth trotz der nur so gerade zweistelligen Zuschauerzahl in der Lichtung jedes einzelne Lied, als wäre es das erste und das letzte Mal - und will am Ende kaum aufhören. Kurzentschlossen holt sie sich beim Chef der Lichtung die Erlaubnis, die Curfew ignorieren zu dürfen, und hängt noch eine Handvoll Lieder dran - spontane Publikumswünsche inklusive.

Musikalisch ist dabei die Bandbreite auch jenseits von folkigem Purismus oft erstaunlich groß: Von eingängigem Soft-Pop mit Ohrwurm-Parts bis hin zu federleichten, Swing-Jazz-angehauchten Stücken ist alles vertreten, unter Solonummern mischen sich Lieder ihrer gemeinsam mit Amy Speace und Emily Barker gegründeten Band Applewood Road, Rückgriffe auf ihre Kollaboration mit Joe Purdy für den Film "American Folk" (in dem sie auch die Hauptrolle spielt) und Songs von R.E.M., Tom Paxton und Tom Waits, die sie sich - bisweilen am hauseigenen Klavier - mit imposanter Leichtigkeit zu eigen macht, anstatt sie einfach nur nachzuspielen.

Geeint werden die zarten Lieder, mit denen Rubarth tiefe Einblicke in ihr nicht immer ganz glücklich verlaufenes Leben und ihre dennoch stets optimistische Geisteshaltung gewährt, durch ihre umschließende Wärme, die auch zwischen den Songs allgegenwärtig ist: Ihre Ansagen werden schon bald zu einem Dialog mit den Zuschauern, bei dem Fragen aus dem Auditorium ausdrücklich erwünscht sind und ihre unverblümten, anrührenden und bisweilen auch herrlich humorvollen Antworten ("Ich habe das Gitarrenspielen angefangen, weil das Klavier zu schwer war, um es zu den Open-Mic-Abenden mitzuschleppen", sagt sie lachend über die Anfänge ihrer Karriere), unterstreicht, dass dies kein Konzert wie jedes andere ist.

Die wie gebannt lauschenden Zuschauern ist das wohlbewusst, das beweisen nicht nur strahlende Gesichter: Immer wieder säumen begeisterte Seufzer oder ungläubiges Kopfschütteln die fantastische Performance. "You will leave with a crush on her", schrieb einst der renommierte Boston Globe über Rubarths Konzerte - wir bestätigen das gerne!

Amber Rubarth
NACHGEHAKT BEI: AMBER RUBARTH

Nach dem Konzert in der Lichtung nahm sich Amber kurz vor Mitternacht noch die Zeit für unsere Fragen und betörte auch im Interview mit der gleichen ungebändigten Lebenslust, mit der sie schon auf der Bühne begeistert hatte.

Gaesteliste.de: Wow, Amber, was für ein umwerfender Auftritt! Eigentlich machst du ja gar nicht so viel anders als viele andere, aber trotzdem alles viel besser. Gibt's da ein Geheimnis?

Amber (lacht): Wie soll ich diese Frage bloß beantworten? Ich kann mir nicht helfen, aber ich tue das, was ich mache, einfach unglaublich gerne! Ich lege es noch nicht einmal darauf an, das passiert einfach! Als ich aufwuchs, hatte ich es nicht leicht, weil ich extrem, wirklich extrem schüchtern war. Ich habe mich der Musik nur zugewandt, weil es mir schwerfiel, auf Menschen zuzugehen. Deshalb bin ich unglaublich dankbar für meine Verbindung zur Musik und die Beziehungen, die ich dadurch zu anderen Menschen aufbauen kann. Ich habe wirklich Glück gehabt! Wenn es also ein Geheimnis gibt, dann nur, dass ich liebe, was ich mache (lacht)!

Gaesteliste.de: Du hast inzwischen mehr als ein halbes Dutzend Alben gemacht und tourst seit Jahren unablässig rund um den Globus. Trotzdem hast du dir die Begeisterung, dieses besondere innere Glühen bewahrt, das viele Künstler mit aufkommender Routine schon nach ihrer ersten Platte, ihrer ersten Tour einbüßen. Wie gelingt dir das?

Amber: Solange ich ruhig und aufmerksam sein kann, kommt die Begeisterung ganz von allein. Das gilt meines Erachtens nicht nur für die Musik, sondern für das Leben ganz allgemein. Wenn du ruhig und aufmerksam bist - vor allen Dingen aufmerksam -, gibt es so viele tolle Dinge zu entdecken! Die Welt ist solch ein gefühlsintensiver und wunderbarer Ort, und wenn du wach durch dein Leben gehst, liegt das alles direkt vor deinen Augen. Ich denke, es hilft mir, ständig zu schreiben, weil mich das stärker an die Gegenwart bindet. Im Moment bin ich in der Phase, in der ich fühle, wie eine Welle neuer Songs anrollt, ohne dass sie bislang tatsächlich angekommen ist. Das Schöne daran ist, dass schon jetzt einige der neuen Lieder, die ich vor einer Weile geschrieben habe, andere Bedeutungen bekommen. Das Ganze ist ein Prozess, aber es liegt in meiner Natur, dass ich mich an jedem Schritt des Weges erfreue. Ich habe eine Menge Freunde, die sehr zielorientiert vorgehen oder sich ganz auf einen Schritt konzentrieren, aber mir haben schon immer alle Stufen des Prozesses zu gleichen Teilen gefallen. Das steht mir manchmal im Weg, wenn es darum geht, mir Ziele zu setzen, aber es führt dazu, dass ich jeden Moment genieße.

Gaesteliste.de: Dein aktuelles Album, "Wildflowers In The Graveyard", ist ruhiger als die Vorgängerwerke. Wurdest du dazu durch die vorangegangene Applewood-Road-Platte inspiriert, die ja auch sehr schlicht und zurückgenommen ist?

Amber: Die Platte wollte ganz von selbst ruhig werden (lacht). Es ging mir ziemlich mies, als ich anfing, die Songs zu schreiben, weil mich ein schwerer Autounfall lange außer Gefecht gesetzt und zu vielen offenen Fragen in meinem Leben geführt hat. Es schien mir deshalb einfach richtig, etwas zu tun, das sich ursprünglich anfühlt und auf Subtilität konzentriert ist. Ich hatte das Gefühl, dass ich das zu dem Zeitpunkt brauchte. Eine bewusste Entscheidung, ein ruhiges Album zu machen, hat es jedenfalls nicht gegeben. Das hat sich einfach so entwickelt. Meine nächste Platte wird sicherlich komplett anders werden, denn viele der Lieder, die ich derzeit schreibe, sind viel feuriger. Die Songs des aktuellen Albums fühlen sich dagegen eher wässerig an. Außerdem habe ich in den letzten paar Jahren viel mehr Klavier gespielt und mit anderen Instrumenten experimentiert, und ich freue mich darauf, das nun auch auf einer Platte umzusetzen.

Gaesteliste.de: Zu Anfang ihrer Laufbahn eifern viele Musiker ihren Idolen nach und finden dann mit der Zeit ihren eigenen Weg. War das bei dir ähnlich?

Amber: Nein, denn als ich aufwuchs, habe ich nie besonders viel Musik gehört. Der Grund, mich dem Songwriting zuzuwenden, war tatsächlich nur, dass ich nicht gut darin war, mit anderen Menschen zu reden. Heute höre ich eine Menge Musik und sicherlich schleicht sich unbemerkt das ein oder andere ein, aber ich komme nie an den Punkt, an dem ich mich von bestimmten Dingen, die andere machen, bewusst inspirieren lasse. Vielleicht liegt es einfach auch daran, dass ich immer noch nicht besonders viel Ahnung von Musik habe. Zudem sind all die Sachen, die ich gerne höre, grundverschieden von dem, was ich selbst schreibe. Ich höre eher Soul oder Dancemusic oder Klassik.

Gaesteliste.de: Schon im Februar wirst du - stolz präsentiert von Gaesteliste.de - wieder in Deutschland auf der Bühne stehen. Deshalb sei die Frage erlaubt: Was bedeutet das Leben auf Tour für dich?

Amber: Ach du meine Güte... keine Ahnung! Du hast mich eben nach Einflüssen gefragt, und ich denke, der größte Einfluss auf mein Tun ist das Leben selbst. Herumzureisen, ganz besonders in fremden Ländern, und neue Menschen zu treffen - das inspiriert mich. Wenn ich irgendwo unterwegs bin, wo ich die Sprache nicht spreche, habe ich manchmal das Gefühl, dass ich fast auf ein kindliches Level zurückfalle und mehr auf non-verbale Dinge anspringe. Das Leben auf Tour ist für mich stets neu, aufregend und herausfordernd. Ich werde jeden Tag aufs Neue ins Ungewisse gestürzt, ganz besonders an den Orten, an denen es eine echte Sprachbarriere gibt. Dann bin ich sehr dankbar für die Kraft der Musik, mit der die Übersetzung jenseits von Sprache gelingt. Außerdem mag ich es, wenn meine Songs so zu Allgemeingut werden und sie nicht mehr nur mir allein gehören.

Gaesteliste.de: Das Unterwegssein ist für dich also fraglos ein Segen, trotz all der Schwierigkeiten, die damit einhergehen?

Amber: Oh, ja! Alles ist immer Segen und Fluch zugleich, aber wenn ich auf der Bühne stehe, weiß ich, dass das alle Mühen wert ist. Natürlich sind die Fahrten zwischen den Konzerten manchmal lang, aber jeder Job ist harte Arbeit. Es gibt zwischen den Shows immer eine Menge zu tun, das durchaus auch mühevoll sein kann, aber ein Konzert zu spielen, ist das Größte für mich!

Gaesteliste.de: Wie sieht der perfekte Auftrittsort für dich aus?

Amber: Ich glaube nicht, dass es nur einen gibt. Heute war's sehr schön, weil es hier so intim und gemütlich war, das war wundervoll, und ich spiele auch sehr gerne in Theatersälen. Allerdings bin ich auch gerade mit Cellogram, dem neuen Duo meines Cellisten-Freundes Dave Eggar, in Kalifornien einmal vor 10.000 und einmal vor 20.000 Leuten aufgetreten, und auch das fühlte sich überraschend intim an. Das hätte ich nie gedacht, dass ich das mögen würde! Letztlich kommt es einfach auf die Atmosphäre im Saal an und darauf, ob alle an einem Strang ziehen. Ich habe lange Zeit gedacht, der beste Raum für mich sei klein, aber ich kann nicht behaupten, dass ich mich selbst in größeren Venues je unwohl gefühlt hätte!

Gaesteliste.de: Letzte Frage: Was macht dich derzeit am glücklichsten?

Amber: Ich habe das Gefühl, dass ich gerade sehr neugierig auf das Leben bin, weil überall auf der Welt so viel passiert. Ich bin einfach fasziniert von den Dingen, die derzeit vor sich gehen, und weil meine Gedanken so intensiv darum schweifen, wird sich davon viel mehr als bisher auf meine neuen Songs niederschlagen. Diesen Winter habe ich Zeit eingeplant, meine neue Platte zu schreiben und aufzunehmen. All die Dinge in meinem Leben, die mein Denken seit dem letzten Album bestimmt haben, und all die Geschichten anderer, die ich mehr als zuvor unterwegs aufgelesen habe, in die neuen Songs einfließen zu lassen - darauf bin ich am meisten gespannt!

Surfempfehlung:
www.amberrubarth.com
www.facebook.com/AmberRubarthMusic
www.instagram.com/AmberRubarth
twitter.com/AmberRubarth
amberrubarth.bandcamp.com
Text: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Carsten Wohlfeld-


 
 

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