NACHGEHAKT BEI: OLGA SCHEPS
GL.de: Bei den Konzerten aus den Bereichen Rock, Indie oder Singer-Songwriter hat sich in letzter Zeit die Maxime "Perfektion ist nicht gut genug" durchgesetzt - wobei gemeint ist, dass die emotionale, lebendige Präsentation einer perfekten Reproduktion vorzuziehen ist, wobei dann auch mal Fehler in Kauf genommen werden.
Olga: Fehler? Werden Fehler also als Teil des Ganzen gesehen?
GL.de: Nein - es geht nur darum, dass der handwerklichen Perfektion dabei weniger Bedeutung zugemessen wird, als der emotionalen Intensität.
Olga: Ach so - das sehe ich auch so. Das Wichtige ist der emotionale Inhalt und ich spiele auch gerne mit Risiko. Ich glaube auch nicht, dass mein Konzertabend perfekt ist - aber das ist auch nicht mein Ziel. Mein Ziel ist es, die Leute zu berühren. Reine, kühle Perfektion ist nicht mein Ding. Man versucht schon auf einem technisch hohen Niveau zu spielen - aber ich versuche, das auf der Bühne zu vergessen. Was zählt, ist die Musik, das Temperament und die Gefühle. "Perfekt" ist auch deswegen ein schwieriges Wort, weil jeder Abend anders ist. Selbst wenn mir eine Variante ein Mal sehr gut gefallen hat, und ich das dann genauso wieder spielen möchte - würde das nicht funktionieren.
GL.de: Das heißt dann, dass die Musik auch eine Art Eigenleben entwickelt?
Olga: Ja, total und das ist ja eigentlich das Gegenteil von Perfektion. Ein letzter Gedanke noch zu diesem Thema: Es gibt ja in der Klassik ziemlich viele Wettbewerbe. Das ist eine Möglichkeit für junge Künstler sich zu präsentieren und ich denke, daher kommt die Frage auch zum großen Teil, wie wichtig Perfektion sein kann. Ich habe nie an einem Wettbewerb teilgenommen, es ist vielleicht eine Typ-Sache. Ich hatte nie das Bedürfnis mich zu messen mit anderen. Ich möchte nichts generell gegen Wettbewerbe sagen, Wettbewerbe sind für junge Künstler ein Weg, um sich zu zeigen und Erfahrungen zu sammeln, aber mein Ding war das einfach nie. Ich möchte mich lieber darauf konzentrieren, wie ich meinen individuellen Klang und meine Interpretation gestalten möchte. Ich muss vor allen Dingen die Musik mögen, die ich spiele.
GL.de: Die Auswahl der Stücke auf dem neuen Album geschah ja auch aufgrund persönlicher Vorlieben, oder?
Olga: Ja - das sind Stücke, die ich sehr, sehr gerne spiele. Ich spiele nichts, was ich nicht liebe. Ein Stück muss mich berühren. Ich muss das Bedürfnis haben, es spielen zu wollen - und ich muss das Bedürfnis haben, etwas damit ausdrücken zu können. Es gibt natürlich Stücke, die sehr bekannt sind, und die auch viele spielen - die mich aber kalt lassen und die ich deswegen auch nicht spiele, und wiederum unbekannte Stücke, die mich sehr berühren. Wenn ich ein Stück spielen würde, welches vielleicht vom Thema gut ins Programm passt, ich es aber nicht wirklich fühle, dann bringt es einfach nichts, es macht mir keine Freude und dem Publikum dann genau so wenig. Auf dieses Gefühl verlasse ich mich - weil ich glaube, dass das anders auch gar nicht funktionieren würde.
GL.de: Bei der Performance eben waren jetzt keine Notenblätter dabei. Ist das eher normal - oder außergewöhnlich? Und woran denkst du denn, wenn du deine Stücke interpretierst?
Olga: Das ist eher normal. Zum Teil habe ich die Noten in Gedanken vor mir, zum Teil sind das Erinnerungen und zum Teil denke ich auch darüber nach, wie es mir im Moment gerade geht, was um mich herum passiert, wo ich bin und über das Instrument, welches ich gerade spiele. Weil nämlich auch jedes Instrument andere Möglichkeiten bietet. Ich habe immer nur einen begrenzten Zeitraum mich darauf einzustellen. Heute zum Beispiel spiele ich einen sehr schönen Steinway, der sehr schöne Piano-Töne und Klangfarben hat - und dann denke ich zum Beispiel darüber nach, was ich damit noch machen könnte.
GL.de: Sind die Beiträge der "noch lebenden" Komponisten speziell für dieses Projekt entstanden?
Olga: Teilweise. Sven Helbig hat zum Beispiel seine Pocket-Symphonies für Orchester geschrieben und hat davon eines der Stücke für mich als Klavier-Version ausgearbeitet. Und dann gibt es noch das Stück "Memories Of A Promenade" (mit einem Motiv von Mussorgskys "Bilder einer Ausstellung) von Vivian und Ketan Bhati, das für dieses Projekt komponiert wurde. Es ist Teil des Programmes der Breakdace-Gruppe Flying Steps und die "Olga Gigue" hat Chilly Gonzales ebenso für mich geschrieben.
GL.de: Wie fühlt sich das an, ein Stück mit dem eigenem Namen im Programm zu haben?
Olga: Cool natürlich. Das ist ja auch spannend, weil das vielleicht ja auch Chillys Sicht auf mich und meine Person ist. Wir kennen uns ja ein bisschen und es ist schon interessant zu sehen, wie er mich musikalisch sieht.
GL.de. Reicht es eigentlich, immer nur die existierenden Stücke von anderen zu spielen, oder gibt es keine Bestrebungen, auch mal selber zu komponieren?
Olga: Also manchmal sitze ich da und improvisiere etwas zusammen und manchmal schreibe ich das auch auf - ich habe mich aber noch nicht getraut, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Vielleicht kommt das ja noch - aber dafür muss der richtige Moment kommen.
GL.de: Die Möglichkeit, zu improvisieren, gibt es also demzufolge aber schon noch?
Olga: Auf jeden Fall. Zum Beispiel bei den Klavierkonzerten von Wolfgang Amadeus Mozart: Es gibt Stellen, an denen kommt ein sogenannter "Eingang", das sind Momente, an denen der Solist alleine spielt, ohne Orchester, seine Kadenz, die er gestalten kann wie er möchte. Mozart selber hat improvisiert und auch einige Kadenzen hinterlassen. Andere Komponisten haben auch Kadenzen für diese Klavierkonzerte komponiert, und man kann als Pianist entscheiden, welche Kadenz man spielt, ob man selber eine komponiert, oder ob man dann selber etwas improvisiert. Zu Mozarts Zeiten war improvisieren an diesen Stellen ganz normal, da wurde auch nach der Kadenz geklatscht. Ähnlich wie bei einem Gitarren oder Schlagzeugsolo heute bei einem Rock-Konzert zum Beispiel. In den Konzerten mit Mozarts Musik wird heute erst geklatscht, wenn das ganze Stück vorbei ist. Man verhält sich dort etwas mehr wie in einem Museum, obwohl sich die Musik inhaltlich durch kaum etwas unterscheidet von der Musik, die heute überall sonst gespielt wird.