NACHGEGAKT BEI: LUCY ROSE
GL.de: "No Words Left" gehört sicherlich zu den schönsten Songwriter-Alben, die in diesem Jahr bislang erschienen sind. Ist das eigentlich die Art von Musik, die du immer machen wolltest?
Lucy: Ich frage mich das auch manchmal - denn ich höre mir meine ältere Musik nicht oft an. Ich lebe musikalisch immer im Moment - und dann fühlen sich ältere Sachen sehr verschieden für mich an. Ich denke aber doch, dass ich diese Musik immer schon machen wollte. Natürlich hat sich mein Musikgeschmack verändert und heute höre ich sehr viel mehr akustisch orientierte Musik. Also würde ich sagen, dass ich tief im inneren immer schon diese Art von Scheibe machen wollen - aber die Songs waren bisher nicht die richtigen gewesen.
GL.de: Einen Masterplan dafür gab es aber nicht?
Lucy: Nein - aber jetzt, wo ich mich zurück erinnere, war vielleicht die letzte Tour, bei der wir aus Budget-Gründen als Trio getourt sind, der Ausgangspunkt, denn ich schätze es sehr, in diesem sparsamen Setting mehr Freiheiten zu haben. Es waren damals auch viele Leute auf mich zugekommen und haben gesagt, dass sie meinen akustischen Ansatz mochten.
GL.de: Der Sound der neuen Scheibe ist aber im Vergleich fülliger als der der letzten Scheibe - und du singst auch anders.
Lucy: Das liegt wohl daran, dass wir dieses mal Streicherarrangements von Matt Kelly hatten. Ich glaube der erste Song, den wir ihm schickten, war "Conversations" - und seine Ideen haben uns so gut gefallen, dass wir mehr Raum für Streicher in den Aufnahmen gelassen haben. Aber wieso findest du denn, dass ich anders singe?
GL.de: Das war vielleicht nicht richtig ausgedrückt. Aber der Gesang klingt zumindest anders - die Stimmen sind näher, die Harmonie-Vocals fülliger und es gibt auch mehr langgezogene, intensive Passagen.
Lucy: Das kann damit zusammenhängen, dass wir für alles dieselben Mikrophone verwendet haben und dann auch viel ausprobiert haben. Darüber habe ich mir früher nie Gedanken gemacht - weil man immer unter Zeitdruck ist, wenn man Scheiben aufnimmt, und dann dazu tendiert, sobald etwas funktioniert, es dabei zu belassen. Und was meinen Gesang betrifft, habe ich mich dieses Mal mehr in meine Rollen hineinversetzt. Ich habe früher immer zu viel darüber nachgedacht, was Emotionen überhaupt sind und Bedenken gehabt, mich emotional zu sehr einzubinden, weil das dann schnell zu viel werden kann.
GL.de: Woher kommen die jazzigen Elemente auf dem Album?
Lucy: Ich mag Jazz im Allgemeinen. Ich denke, das Ausschlaggebende war der Umstand, dass ich einen bundlosen Bass für Ben gekauft habe. Obwohl der Produzent da seine Bedenken hatte - weil der bundlose Bass in den 80ern oft schlecht eingesetzt wurde, wollte ich den unbedingt haben. Ich weiß gar nicht so richtig, wieso - aber es kann damit zusammenhängen, dass ich viel Joni Mitchell gehört habe.
GL.de: Wie möchtest du eigentlich den Titel der Scheibe verstanden wissen?
Lucy: "No Words Left" kann viele verschiedene Bedeutungen haben. Ich habe auf der Scheibe so viele Dinge angesprochen - jeden Teil meiner selbst, würde ich sagen -, dass ich ansonsten nichts mehr zu sagen hatte. Deswegen gibt es auch die instrumentalen Zwischenspiele, die sich mit Worten gar nicht hätten wiedergeben lassen. Und deswegen rede ich auf der Bühne zwischen den Songs auch nicht so viel und mache keine Witze - denn dafür sind die Songs zu schwer. 

GL.de: Was ist denn heute für dich die größte Herausforderung?
Lucy: Ich denke die Herausforderung als Songwriterin ist die, fast nicht da zu sein, wenn man schreibt. Weil man zu viel nachdenkt, wenn man präsent ist - während es die reinste Form von Aufrichtigkeit ist, wenn man gerade das nicht tut. Musik zu machen war und ist und wird immer eine Herausforderung sein - egal für wen - einfach weil man etwas aus nichts erschafft. Was mich besonders herausfordert ist der ganze Rest.
GL.de: Was denn zum Beispiel?
Lucy: Auf gewisse Weise fühlt es sich an, als sei die Musik heute nicht mehr das Wichtigste. Mit Facebook und den ganzen sozialen Medien ist die Gefälligkeit das Schlüsselelement. Wenn Simon Callow bei X-Faktor sagt: "Ich mag dich, weil du liebenswert bist", dann sagt das doch schon alles aus. Man muss heutzutage nicht nur ein guter Songwriter und Performer sein - man muss auch charmant, gefällig, witzig und eine Persönlichkeit sein - dieser übermenschliche Charakter, der nachdenklich und zugleich unterhaltsam ist und alles kann und lustige Video postet und sich auf Instragram präsentiert. Ich befürchte, da dies heutzutage das Wichtigste ist, kann es am Ende die Musik, die dabei herauskommt, ruinieren. Ich möchte nicht immer darüber nachdenken, welche witzigen Posts und Bilder ich als nächstes absetzen könne und mein Leben damit verschwenden, zu versuchen gemocht zu werden. Das möchtest du ja sicher auch nicht. Deine Aufgabe ist es, interessante Fragen zu stellen und eine Geschichte aus einer neuen Perspektive zu betrachten - und wenn du dann noch eine unterhaltsame Internet-Persönlichkeit sein musst, dann ist das ja sicher stressig, oder? Ich weiß gar nicht, warum das alles so gekommen ist. Man baut sich damit ja einen riesigen Druck auf - auch für junge Leute, die alle immer cool und liebenswert sein müssen - ob sie es wollen oder nicht.
In diesem Sinne sei noch eine Randnotiz erlaubt: Bei dem Konzert präsentierte Lucy ihren Ehemann Will, der sie als Tourmanager begleitete und bei dem sie sich dafür bedankte, dass er sie bedingungslos unterstützte und ihre Songs auch dann nicht in Frage stelle, wenn diese unangenehme Themen ansprächen. Es sei wohl auch so, dass Wills positiver Einfluss auf sie auch dazu geführt habe, dass sie das Gefühl habe, dass die Leute sie lieber mögen, seit sie mit ihm zusammen sei. Das zuvor angesprochene Problem dürfte somit also fast gelöst sein.