Auf der Hauptbühne ging es erst gegen 15:30 Uhr los. Das belgische Trio Triggerfinger aus Antwerpen machte rein optisch eine hervorragende Figur. Mit schillernden Anzügen und Krawatten sahen die drei Herren aus wie Statisten aus einem Marty Scorsese-Mafia-Film. Und spielten im Prinzip auch so. Es gab maßlos harte und laute Rockmusik mit Blues-Sprengseln. Normalerweise ist das Haldern Festival lautstärkenmäßig eher kinderfreundlich angelegt: Diesen Brocken konnte man indes garantiert auch im Dorf noch hören.
Aufgrund des dichtgedrängten Programmes musste man sich schon sputen, wenn man für die Highlights einen passablen Platz ergattern wollte - wodurch es einfach nicht möglich war, jeden Act zu begutachten, auch, wenn der Zeitplan das eigentlich zugelassen hätte. Im Spiegelzelt spielte dann der Haldern-Veteran Fyfe Dangerfield auf. Dieser hatte dieses Mal statt seiner Band Guillemots, mit er er bereits zwei Mal die Hauptbühne des Festivals bespielt hatte, nur zwei Streicherinnen, seine Effektgeräte und jede Menge gute Laune mitgebracht. Er stellte hier vor allen Dingen Songs seines kommenden Albums "Fly Yellow Moon" vor. Und diese sind schlicht großartig gelungen. Insbesondere freute der konzentrierte Vortrag des Mannes, der ansonsten gerne auch ein Mal gesangstechnisch über die Stränge schlägt. Bzw.: Mittlerweile kann sich Dangerfield konzentrieren und intonieren - was am Anfang seiner Tage nicht möglich schien. Das neue Material ist dramatisch und mit großer Geste inszeniert - was manche bereits wieder als kitschig empfanden. Das stimmt aber nicht. Das ist kein Kitsch, sondern Konsequenz in Sachen emotionales Stückgut. Nun ja - ob die Billy Joel-Nummer hätte sein müssen?
Als Überraschungsgast auf der Hauptbühne war die neue Haldern-Hoffnung Philipp Poisel mit Combo eingeladen worden, doch gleich darauf spielte Laura Marling mit gut sortierter Band und frisch blondiert im Spiegelzelt auf. Die Engländerin ist in ihrer Heimat über so "kleine" Veranstaltungen eigentlich schon hinaus, so dass es nicht wunderte, dass sich viele Landsleute im Zelt drängten, um ihrer Heldin noch ein Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen. Und das lohnte sich, denn Laura singt ausnahmsweise mal nicht mit geschlossenen Augen (bei Songwriterinnen heutzutage fast schon üblich), sondern präsentierte ihre komplexen Folkpop-Songs gut gelaunt, humorvoll, sympathisch und vielseitig. Was übrigens auch an dem beeiondruckenden Instrumentarienwirrwar lag, mit dem die Bühne zugepflastert war. Vor dem Konzert hatte die Band noch gemeinsam gebetet. Vielleicht hatte das ja auch geholfen.
Auf der Hauptbühne gab es derweil eine Gitarrenpause. Roxanne Tataei - kurz Rox - gab hier ihr offizielles Live-Debüt in Deutschland. Mit einer gut dotierten Band inklusive Harmonie-Sängerinnen zelebrierte sie eine perfekt inszenierte und durchorganisierte Soul-Pop-Show. Rox lebt dabei von ihren bemerkenswert vielseitig inszenierten und sehr guten Pop-Songs (die sie hier mit Fleetwood Macs "Dreams" anreicherte). Das meint: Stimmt der Song, macht auch Rox nichts kaputt und überzeugt nicht nur stimmäßig - ansonsten hat sie natürlich zu kämpfen und muss aus Standard-Soulpop-Momenten das Beste machen. Immerhin: Die offensichtliche Freude, dass es nach einer langen Promo-Phase nun auch hier bei uns musikalisch richtig losgeht, beflügelte und überzeugte.
Von einem ganz anderen Kaliber waren dann Delphic aus Manchester. Es gab hier aber nicht etwa Rave, sondern so eine Art größenwahnsinnige Club-Musik. Zwar gab es auch bei Delphic eine Gitarre - doch der Rest kam dann eher aus der Steckdose. Auch diese Herren liebten die große Geste. Mit fast messianischen Zügen brachten die Jungs ihre Musik ans Volk. Das funktionierte erstaunlich gut. Nicht nur die jugendlichen, sondern auch betont viele mittelalterliche Zuschauer ließen sich zum Abhotten animieren - nicht nur vor der großen Bühne, sondern generell. Gut dazu passte übrigens die grandiose, computergesteuerte Lichtanlage.
Die Band, die sich danach auf der Hauptbühne aufstellte, war dann quasi genau das Gegenteil. Bei Mumford & Sons hatte deren erstaunlich unerklärliche Karriere, die sie zu den Gottvätern der aktuellen Folkpop-Szene machte (obwohl sie doch kaum einen Pop-Song im Gepäck haben), vor genau einem Jahr unter anderem in Haldern im Spiegelzelt begonnen. Mit großer Mannschaft inklusive Blaskapelle heizten die Briten dem Publikum dieses Mal auf betont organische Art ein. Das Interesse war groß: Erstmals war der Platz vor der Bühne bis auf den letzten seiner Art belegt. Was der Neid übrigens gestatten muss, ist den Herren zu attestieren, dass sie bei aller Traditionspflege und dem Bemühen althergebrachten Instrumentariums nicht retromäßig agieren. Die Musik von Mumford & Sons ist schon im Hier und Jetzt verankert.
Im Spiegelzelt machten sich dann Esben & The Witch daran, die Nacht zur Musik zu machen. Die Engländer sind "ungefähr" zu dritt unterwegs. Genau kann man das nicht sagen, denn wie Tags zuvor Beach House arbeitet das Trio mit Fronthexe vor allen Dingen mit unsichtbarem Licht. Was dann von der Bühne quoll, war aber musikalisch nicht uninteressant. Zwischen Goth, New Wave, Tribal, Dance, Elektro, Doom und Kunstrock pendelte das - jenseits aller Konventionen - daher. Düster, aber auch magisch und hypnotisch. Das war auf jeden Fall mal wieder eine jener geradezu klassischen Haldern Uberraschungsentdeckungen.
Zach Condon und seine Musikanten, die sich da Beirut nennen, braucht dann wirklich niemand mehr zu entdecken. Das war dem Amerikaner mit der slawischen Musikader auch schon klar. Er ließ sich von der ersten Sekunde an vor ausverkauftem Haus auf der großen Bühne feiern. Und das, obwohl der Sound hier erstaunlich schlecht war. Es brauchte lange, bis sich die Blasmusik und die anderen Instrumente eingepegelt hatten. Machte nix: Auch hier tanzte das Publikum begeistert mit. Auf eine ganz andere Art als bei Delphic freilich: Hier lagen sich plötzlich alle schunkelnd und taumelnd in den Armen und ließen sich von Beirut quasi in die Nacht wiegen. Selten gab es eine so eine friedfertige, heimelige Atmosphäre um diese Zeit auf dem Halderner Reitplatz. Da machte es auch nix, dass es langsam kühler wurde - da hat Haldern schließlich schon ganz andere Sachen erlebt.
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