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Ausgezeichnet gelungen

Independence Day Festival

Neuenkirchen, Forum Alte Spinnerei
08.09.2001

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Independence Day Festival
Wie die Veranstalter es geschafft haben, die Elite der "Neuen Deutschen Alternative" für dieses Festival auf dem Lande zusammenzubringen, wird vielleicht für immer ein Rätsel bleiben, daß das Konzept voll aufgegangen ist, steht trotzdem außer Frage. Hier - in der Nähe des westfälischen Rheine - hatten wir es mit einer charmanten Selfmade-Underground-Veranstaltung zu tun, gegen die selbst betont anti-kommerziell orientierte Festivals wie Haldern wie sponsorenverliebte Rummelplätze wirken.
So durfte sich die angereiste Turnschuh- und Trainingsjacken-Mafia zum Beispiel über den Second-Hand-Markt im hinteren Teil der Halle und die sehr fairen Getränkepreise freuen, und es waren die kleinen Extras, die aus der eigentlich für Konzerte gänzlich ungeeigneten alten Fabrikhalle doch noch eine Festival-Location mit viel Kleinstadt-Flair machten. Und dem miserablen Wetter draußen zum Trotz gings drinnen auch gleich ziemlich schweißtreibend zu: Den Anfang machten die Lokalmatadore von Orange Malz, die - als wollten sie die Anti-Kommerz-These absichtlich über den Haufen werfen - komplett in T-Shirts eines Geldinstituts aufgelaufen waren. Übrigens von der Konkurrenz des Hauptsponsors! Passend dazu dann auch der Sound: Was wir zu hören bekamen, war "Fast-Food-influenced melodic Punk" (Eigenaussage), und da sind die Grenzen zwischen Ernst und Ironie bekanntlich fließend. Die Jungs waren so gut, wie eine Kleinstadt-Punkband nur sein kann, und weil sie massig Freunde und Bekannte mitgebracht hatten, war das Festival keine fünf Minuten alt, bevor die ersten Crowdsurfer auftauchten.

Die gab es bei der zweiten Band verständlicherweise nicht, obwohl das natürlich rein gar nichts über die musikalische Qualität aussagt. Die Münsteraner Samba taten sich in diesem Line-Up der lauten Gitarre erwartungsgemäß etwas schwer, da half es auch nicht, daß Sänger Knut mit einem sehr schicken Public-Enemy-Shirt angetreten war. Insofern war die Band gut beraten, sich vor allem auf ihre älteren Songs zu stürzen, die in einer Zeit entstanden waren, als ihre (alte) Plattenfirma sie noch für die neuen Tocotronic hielt. All das brachte uns zu der Erkenntnis, daß "Der Rebell", eigentlich nur die B-Seite einer frühen Single, immer noch zu den Samba-Konzert-Highlights gehört und wir uns über die eher ruhigeren neuen Songs wohl mehr auf der in Kürze anstehenden Headline-Tournee freuen können.

Tomte machen für gewöhnlich bekanntlich auch nicht gerade Heavy Metal, aber im direkten Vergleich mit Samba kamen die Hamburger dennoch ziemlich punkig daher. Damit, daß Mastermind Thees Uhlmann inzwischen in Benjamin-von-Stuckrad-Barre-Manier als Allround-Experte gehandelt wird und irgendwie zu allem seinen Senf dazugeben darf, macht er sich vielerorts zwar nicht unbedingt beliebter, aber auf der Bühne entwickelt er inzwischen erstaunliche Rockstarqualitäten, und so gelang Tomte mit einem vor Energie sprühenden Set die Gratwanderung zwischen Starallüren und amtlicher Lockerheit ausgezeichnet. Durfte man über den Vergleich zu Nirvana Anfang des Jahres noch herzhaft lachen, kommen die drei den Grunge-Göttern in puncto Intensität inzwischen erstaunlich nah.

Dann hätten eigentlich Readymade auf der Bühne stehen sollen, doch die sind derzeit - nach vielen Verzögerungen - noch im Studio von Conny Plank damit beschäftigt, ihre neue Platte aufzunehmen. Als Ersatz waren Miles eingesprungen, und obwohl die Bands musikalisch ohne Zweifel in der gleichen Liga spielen, waren die Herren aus Würzburg doch nicht ganz der "gleichwertige Ersatz", von dem überall zu lesen war. Was der Band - gerade im Vergleich zu Readymade - fehlt, ist die gewisse persönliche Note und die positive Ausstrahlung. So half es auch nur bedingt, daß Miles einen Ohrwurm nach dem anderen spielten und dabei mächtig gut rockten. Das Publikum jedenfalls nahm's mit Begeisterung auf.

Inzwischen war es Mitternacht und Zeit, nein, noch nicht für die letzte Band, aber die eigentlichen Headliner: Sportfreunde Stiller. So "versuchte" Sänger Peter vergeblich, mit einigen Kommentaren zum 2:0 Sieg der Bayern im geografisch beängstigend nah gelegenen Dortmund wenige Stunden zuvor, das Publikum gegen sich aufzubringen, aber die drei Münchner sind inzwischen so unglaublich populär, daß sie in jeder Stadt ein Heimspiel haben. Daß bei diesem Festival die alten Kracher à la "Wellenreiten" oder "Novanta Quattro" etwas besser ankamen als die alles andere als schlechten (aber noch unveröffentlichten) neuen Stücke, ist verständlich, verhinderte aber dennoch nicht das schon fast traditionelle Massen-Crowdsurfen.

Ganz kurzfristig ins Programm gerutscht war dann noch die einzige englische Band des Abends. Eigentlich als Support der Sportfreunde in Deutschland unterwegs, durften Seafood kurzentschlossen auch in Neuenkirchen auf die Bühne und auch, wenn es sicherlich nicht einfach ist, nach den Sportis zu spielen, lieferten die vier Briten mit ihrem klassischen Indierock zwischen Sonic Youth und Sebadoh ein Klasse-Konzert ab, und obwohl nur die wenigsten im Publikum die Band gekannt haben dürften, ging - der nächtlichen Stunde zum Trotz - kaum jemand nach Hause.

Genau das wurde dann zum Problem für die letzte Band des Abends, die nach 3:00 Uhr morgens außer Blickpunkt-Pop-Impressario Marc Liebscher so niemanden mehr richtig interessierte. Die Multikulti-Combo Hoerstuatz aus der niedersächsischen Provinz war zwar laut und ziemlich groovig, aber trotzdem wurde man das Gefühl nicht los, daß der Zug für diese Art von Post-Crossover inzwischen abgefahren ist. Fazit? Ein rundum gelungener Abend, der einmal mehr bewies, daß Festivals, bei denen man nicht schon bei der zweiten Band erfriert, knietief im Matsch steht oder von einer Bühne zur anderen hetzt, um nachher alles zu verpassen, doch vielleicht die bessere Alternative sind. In Neuenkirchen wird es hoffentlich auch weiterhin so gelungene Veranstaltungen mit solch ausgezeichnetem Programm und Umfeld geben.

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Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-


 
 

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