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Orange Blossom Special 18 - 3. Teil

Beverungen, Glitterhouse-Garten
08.06.2014

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Wallis Bird
Der dritte Tage des OBS 18 begann mit einem Überraschungsact, der eigentlich keiner war. Denn dass die Great Crusades nicht nur zu den meistgespielten OBS-Veteranen gehören, als Fans des Festivals dieses sogar verfolgen, wenn sie nicht im Lande sind und obendrein in der Gegend auf Tour waren (am Tag vor dem Festival z.B. im benachbarten Höxter), war schließlich kein Geheimnis. Da half es auch nicht, dass extra die Webseite eines slowenischen Clubs erfunden wurde, in dem die Great Crusades an dem Tag - neben ebenfalls erfundenen finnischen Nintendo-Core-Bands hätten auftreten sollen: Die geneigten Fans standen vollständig versammelt um 11:30 Uhr vor der Bühne und begrüßten die Great Crusades mit dem entsprechenden Freudenjubel.
Die Band, die inzwischen beim befreundeten Blue Rose Label untergekommen ist, zeigte sich live von einer ähnlich vielseitigen Seite, wie auf Konserve. Da gab es - neben den gewohnten Rock-Krachern - sehr viel öfter Blues und Jazz im Programm, gerne auch im mittleren Tempo-Bereich und mit nachdenklicher Storyteller-Note. Was nicht heißen soll, dass die Great Crusades nicht mehr rocken können: Sie tun dies heute nur sehr viel überlegter als früher. Kurzum: Das mit einem Gastauftritt einer Maracas-shakenden Nachwuchsmusikantin aus dem Publikum und Bowies "Gene Genie" abgerundete Set war das bislang abwechslungsreichste, das die Crusades auf dem OBS absolvierten. (Und manch einer sagt auch "das beste".)

Danach ging es so weiter, wie es der Tageszeit eigentlich angemessen erschien: Mit entspanntem, melodischen Songwriter-Folkpop des englischen Ehepaares Rue Royale. Ruth und Brooklyn Dekker sind bereits seit 2006 in Sachen gemeinsamer Musik unterwegs, fliegen allerdings aufgrund ihrer emsigen DIY-Aktivitäten (die dritte CD "Remedies Ahead" wurde etwa via Cowdfunding teilfinanziert) etwas unter dem Radar der allgemeinen Promo-Maschinerie. Insofern gilt es für viele Fans dieser Art von Musik, das Duo erst noch zu entdecken - wozu so ein OBS-Auftritt ja keine schlechte Basis bietet. Mal abgesehen davon, dass die weitgereisten Troubadoure relativ erschöpft beim OBS ankamen und für so einen kleinen Act relativ viel Brimborium aufzubauen hatten, stimmte beim Set dann doch (fast) alles. "Fast" deswegen, weil der Sound - insbesondere dann wenn Brooklyn zur E-Gitarre griff - frequenzmäßig ganz schön zusammengedröhnt erschien. Das wurde zum Ende des Sets dann aber besser und nach demselben gaben Ruth und Brooklyn dann auch artig Autogramme.

Währenddessen machte sich der Keston Cobblers' Club daran, die Bühne mit dem umfangreichen Instrumentenarchiv zu bestücken, mit dem sie das Publikum wechselseitig zu bespaßen pflegen. Die Band aus dem UK, die zuletzt als Support für Wallis Bird auf deren Tour auf unseren Bühnen gewesen war, gehörte zu den Überraschungen des diesjährigen OBS. Im letzten Jahr etwa spielten ja Skinny Lister mit einem ähnlichen Ansatz (mit konventionellen Mitteln extrahierter, traditioneller Songwriter-Folkpop). Aber um es mal so auszudrücken: Während Skinny Lister mit ihrer aufgesetzten Art und dem überschaubar originellen Songmaterial eher das Flachland bespielt hatten, erschloss der Keston Cobblers' Club (der von den Geschwistern Matthew und Julia Lowe dereinst gegründet wurde, um an die musikalischen Traditionen der Schuhmacher ihres Heimatortes Keston zu erinnern) musikalisch eher das ganze Weserbergland. Ungemein spielfreudig, sympathisch und kommunikativ wechselten die Musiker laufend die Instrumente, so dass jeder Track in einem anderen Setting daher kam. Es ist ja immer ein gutes Zeichen, wenn die Musiker die Texte mitsingen, obwohl sie gar kein Mikro vor sich haben - und das ist beim KCC zu beobachten. Wie Rembert ganz richtig sagte: Die haben jede Menge Spaß auf der Bühne - und das Publikum insofern auch. Und das, obwohl Tubaspielerin/Sängerin Bethan Ecclestone unter Kopfschmerzen litt, die immerhin so schlimm waren, dass die Band im Anschluss nach Hause zurückfahren und die nächsten Termine verschieben musste. Sowas nennt man Einsatz.

Dann folgte der Auftritt des Wahl Berliners David Lemaitre, der mit seinem französischen Nachnamen und den bolivianischen Wurzeln ja schon einigen Erklärungsbedarf hat. Dieses nutzte der sympathische Songwriter für kleine Stories zwischen seinen Songs, die diese dann ins rechte Licht setzte. Musikalisch gab es hier einiges zu entdecken. So z.B. ein Flaschen-Synthesizer, Packpapier als Rhythmusinstrument, ein Reisekoffer als Bassdrum-Ersatz, ein Cello, eine Geige und einen magischen Sampler. Zwischen den eigenen, meist ruhig-elegischen Songs, die Lemaitre mit eigentümlich hoher, aber melodischer Stimme vorträgt, versteckte er eine Cover-Version des Agnes Obel-Songs "Dorian", für den er eine Remix kreiert hatte. Dass bei diesem Set vorwiegend die jungen Damen zum Bühnenrand drängten, zeigte, dass David durchaus das Potential hat, in die Riege der romantischen Songwriter-Idole vorzurücken.

Die Antithese all dessen, was vorher gut und richtig war, folgte auf dem Fuße: Der Auftritt der Pink Mountaintops geriet zum absoluten Tiefpunkt des gesamten Festivals. Nicht etwa deswegen, weil die wenig inspirierten, psychedelisch aufgebrezelten Stoner-Rock-Eskapaden des kanadischen Trios nicht jedermanns Sache sein konnten, sondern weil Stephen McBean und seine Mannen wohl so überhaupt keine Lust auf diesen Auftritt gehabt hatten und das Programm lustlos, wie eine lästige Pflichtübung abspulten, das Set 20 Minuten vor der zur Verfügung stehenden Zeit beendeten und sich anschließend ins Catering-Zelt zurückzogen, wo sie sich im Folgenden selbst genügten. (Während dort ansonsten ein reger Austausch der Musiker untereinander statt findet.) So etwas wollen wir beim OBS eigentlich nicht sehen - unabhängig von der gebotenen Musik.

Was den Pink Mountaintops an Publikums-Affinität abging, hatten die dann folgenden drei Acts im Überfluss: The Doors... äh... Birth Of Joy aus Holland, Gallon Drunk und Wallis Bird machten ihrer Reputation als Rampensäue allererster Güteklasse im Nachfolgenden (und sich proportional steigernd) alle Ehre. Das Trio Birth Of Joy hat sich dem psychedelisch aufgebrezelten Blues-Rock verschrieben. Das Besondere daran ist, dass die Band ohne eigentlichen Bassisten auskommt. Diesen Part übernimmt der Organist Bon Hogeneist, der nicht nur deswegen, sondern auch der Art wegen, wie er sich über sein Keyboard buckelt, ohne großartig aufs Publikum zu schauen, doch schon sehr an Ray Manzarek gemahnt. Gitarrist Kevin Stunneberg übernimmt derweil die Rolle als Frontmann und macht das Publikum an. Birth Of Joy hatten ihren eigenen, niederländischen Fanclub mitgebracht, der den Platz vor der Bühne in einen Pogo-Tanztee verwandelte. Hat man ja auch nicht so oft beim OBS. Und weil die Jungs eh die ganze Zeit wie die Doors klangen, wunderte es dann auch nicht, dass sie am Ende "5 to 1" von besagter Truppe spielten.

Gallon Drunk aus London zählen zur Kategorie lebende Legenden. Seit Anfang der 90er bereits sorgen James Johnston und seine Mannen für Nachschub in Sachen Pulsaufschneider-Blues. "Eigentlich wollte ich euch ja viel Spaß wünschen", meinte Rembert hierzu, "aber das wäre ja nicht der richtige Ausdruck." In der Tat: Johnston, der hyperkinetisch vorbelastete Frontmann tobte wie ein manischer Derwisch über die Bühne, stand wirklich keine Sekunde still und legte wenigstens so viel Inbrunst in sein Tun, wie am Tage zuvor David Eugene Edwards. Das Ganze war dann nichts für schwache Nerven, denn es gab eine messerscharfe musikalische Vivisektion am offenen Zahnfleisch ohne Betäubung und mit Starkstrom. Dennoch war das Ganze auf perverse Art kurzweilig und unterhaltsam. Die Zeiten freilich, in denen Gallon Drunk die Bee Gees coverten, sind wohl endgültig vorbei.

Mit dem Auftritt der OBS-Veteranin Wallis Bird folgte dann der krönende Abschluss des Festivals - und eine Performance, wie es sie in dieser Intensität schlicht noch nicht an dieser Stelle gegeben hatte. Viel hat sich getan, seit Wallis mit einer Art Ani DiFranco-Light Variante die Bühnen der Republik eroberte (so auch beim ersten OBS-Auftritt). Dass sich aber auch Songwriter, die einer bestimmten Ästhetik zu folgen scheinen, musikalisch weiter entwickeln und sich sogar neu aufstellen dürfen, bewies Wallis mit ihre aktuellen Album "Architect", auf dem sie die Elektronik und Club-Sounds als Mittel der Wahl für sich entdeckte. Auf dem OBS gab es aber natürlich keine Elektronik, sondern eine erstklassige Band, die es verstand, dem unbändigen Bewegungsdrang ihrer Frontfrau ansatzweise tatsächlich zu folgen. Wallis Bird hatte kurz vor dem Auftritt noch in der Küche meditiert und vorab ein Gemüse-Curry zu Abend gegessen. Das erklärte aber dennoch nicht den dann folgenden performerischen Vulkanausbruch. (Auch dann nicht, wenn das Gemüsecurry Doping-Mittel enthalten haben sollte.) Mit offenen Mündern standen die Fans also da und fragten sich, wie es jemand fertig bringen kann, 70 Minuten mit einer dergestalten Energie über die Bühne zu toben, dabei musikalisch akkurat und unterhaltungstechnisch sympathisch und spontan zu agieren (und das auf Deutsch, Hessisch und Englisch gleichermaßen eloquent). Dass dabei die Arrangements komplett neu aufgebaut worden waren und mit Klarinette, Melodica und Trompete auch noch originell besetzt waren, geriet dabei fast in den Hintergrund. Viel spaßiger war es da, Wallis zu beobachteten, wie sie eine Gitarre nach der anderen blank spielte und selbst als Perkussionistin aushalf, als der Roadie mit dem Saiten-aufziehen nicht nachkam. Wie gesagt: Einen solchen Auftritt hat es beim OBS in der Tat noch nicht gegeben. Kurzum: Das wird ganz schön schwer zu toppen sein im nächsten Jahr.


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www.orangeblossomspecial.de
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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
 

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