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Konzert-Bericht
 
Tugenden von gestern, Sound von heute

Whitney
Julia Jacklin

Köln, Blue Shell
25.10.2016

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Whitney
"Ich habe letzte Nacht nur eine Stunde geschlafen", gesteht Julien Ehrlich, bei Whitney Drummer und Leadsänger in Personalunion, und nimmt einen kräftigen Zug aus seiner Dose Red Bull. "Ich glaube, ich bin noch nie in diesem Geisteszustand aufgetreten." Doch auch wenn er so müde ist, dass er ein, zwei Drumfills versägt - sein Zustand zwischen Wachen und Schlafen passt irgendwie ganz gut zur Musik von Whitney, die auf ihrem Debüt "Light Up The Lake" einen betont handgemachten 70s-Americana-Sound mit einem ordentlichen Schuss 80er-Jahre-Coolness, einem Faible für Falsettstimme und einer vereinzelten Jazz-Trompete mischen und am Ende trotzdem problemlos als klassischer Indiepop durchgehen. Musikalisch so breit aufgestellt zu sein, zahlt sich für die Amerikaner derzeit aus: Das Konzert in Köln ist trotz unfassbar harter Konkurrenz an diesem Abend - The Kills, Okta Logue, Michael Franti und Lloyd Cole sind nur einige der Künstler, die zeitgleich um die Gunst der Domstädter buhlen - bereits im Vorverkauf ausverkauft, und auch in vielen anderen Städten gibt es keine Karten mehr für das aus der Asche der Smith Westerns hervorgegangenen Sextett.
Vielleicht liegt der Ansturm auch ein klein wenig am Supportact? Im Vorprogramm tritt nämlich Julia Jacklin auf, die mit "Don't Let The Kids Win" das vielleicht beste Debütalbum des Jahres abgeliefert hat und im Blue Shell in gerade einmal 28 Minuten das Publikum mit Leichtigkeit für sich gewinnt. Aufreizend lakonisch im Gestus und emotional im Songwriting, hat sich die 25-jährige Australierin in diesem Jahr aus dem Stand in die gleiche Liga wie Sharon van Etten, Angel Olsen oder Courtney Barnett katapultiert. Selbst Lucinda Williams scheint bisweilen durch, wenn Julia Indie-Folk-Tugenden mit Alternative Country und dezenter 50er-Jahre-Ästhetik zu einem ganz eigenen Sound verbindet. Anders als sechs Wochen zuvor bei ihrem umwerfenden Soloauftritt in der Haldern Pop Bar hat Julia dieses Mal drei Mitstreiter an zweiter Gitarre, Bass und Schlagzeug dabei, die ihre gerne augenzwinkernden Textzeilen wie "I was shorter than my dad's dining table / You were taller than my bedroom door frame / Hit me hard when I found height don't make a man, no" wirkungsvoll akzentuieren, sodass sie nie aus dem Fokus rücken, selbst wenn es bei "Coming Of Age" fast schon ein wenig grungy wird. Zwei Stücke singt und spielt Julia dennoch allein und beweist bei "L.A. Dream" und dem Titelsong ihres Debüts, wie wenig Beiwerk richtig gute Songs benötigen. Ganz groß!
Mit Whitney steht danach die Band der Stunde auf der kleinen Bühne des Blue Shell, und nicht nur, weil die Musiker immer wieder verstohlen ein Lächeln austauschen und sich für keine Albernheit zu schade sind, ist schnell klar, wie sehr sie die Aufmerksamkeit und Begeisterung genießen, die ihnen derzeit allenthalben entgegenschlagen. Dass die Band in Feierlaune ist, lässt sich auch daran ablesen, dass Frontmann Ehrlich während der Dreiviertelstunde auf der Bühne locker eine Flasche Wein leert. "Wir sind eine Rosé-Band - das ist irgendwie schon traurig", konstatiert er zwischendurch trocken.

Doch nicht nur wegen seiner Trinkfreudigkeit ist der singende Drummer der Blickfang von Whitney. Bei welcher Band steht schon das Schlagzeug vorne am Bühnenrand und der Rest der Musik im Halbkreis dahinter? Weil die Bühne im Blue Shell so niedrig ist, gibt es sogar eine echte Premiere. Da man von hinten nicht wirklich etwas sieht, steht Ehrlich bei einem Song ohne Schlagzeugbegleitung sogar auf - und fühlt sich dabei so unwohl, dass er sein Gesicht fast vollständig unter seinem sonst um die Schultern hängenden Pulli vergräbt. Der Rest der Band sitzt derweil übrigens auf dem Boden, als würde das düstere blaue Licht nicht schon allein dafür sorgen, dass sie nicht groß auffallen. Whitneys lässiges Bühnengebaren findet seine Entsprechung in einem ultraabgehangenen Sound, der ansteckenden Fröhlichkeit ihrer oft leichtfüßigen Ohrwürmer und ihren launig-überdrehten Ansagen, mit denen sie auch zwischen den Songs bestens unterhalten. So sagt Ehrlich schelmisch vor "Follow": "Das nächste Lied handelt vom Tod - ihr müsst ja auch alle irgendwann sterben."

Unter die Lieder ihrer einzigen LP mogeln Whitney auch noch zwei Coverversionen, mit denen sie ihren Idolen Tribut zollen. Erst gibt es ein bis auf die Trompete nah am Original orientiertes "Tonight I'll Be Staying Here With You", das unterstreicht, dass Bob Dylan für die Band eher musikalisch denn textlich ein leuchtendes Vorbild ist (ein sehr ähnliches Gitarrenriff taucht nämlich auch in "The Falls" noch einmal auf), und später dann noch ein schwer rockendes "Magnet" von NRBQ, das den Musikern auf der Bühne mindestens genauso viel Spaß macht wie dem Publikum davor. Doch auch wenn Nostalgie ohne Zweifel ein wichtiger Eckpfeiler im Schaffen Whitneys ist und die sechs Herren deutlicher als Julia Jacklin auf den Schultern der Giganten stehen, die vor ihnen kamen, scheinen sie dennoch kein gesteigertes Interesse daran zu haben, ausschließlich der Vergangenheit hinterherzuhecheln. Lieber machen sie aus den Tugenden von gestern den Sound von heute.

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Surfempfehlung:
www.whitneytheband.com
facebook.com/whitneychicago
www.juliajacklin.com
facebook.com/juliajacklin
soundcloud.com/julia-jacklin
Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-


 
 

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