Der Effekt, den eine solche Veranstaltung mit sich bringt, ist für solche, die sowas noch nicht erlebt haben, nur schwer schlüssig in Worte zu fassen, denn es braucht schon eine gewisse Zeit, sich mit dem Konzept anzufreunden. Das, was aber alle Musiker begeistert, ist der seltene Umstand, dass alle - also Publikum, Tontechnik und natürlich die Musiker selbst - exakt das Selbe hören. Bei Acts, die im vollen Band-Ornat auftreten, kommt dann noch ein eigenartiger Effekt hinzu, nämlich dass sich der Sound verstärkter Instrumente und des Schlagzeuges dann auch noch physisch bemerkbar macht. Insbesondere dann, wenn der Zuhörer der Versuchung erliegt, die Kopfhörer ein Mal abzunehmen, führt das immer wieder zu interessanten Aha-Effekten.
Hier sei mal kurz beispielsweise beschrieben, wie sich das musikalisch auswirkt. Akustisch agierende Songwriter wie Stefan Honig, der sich hier allerdings von einem zweiten Gitarristen auf der E-Gitarre begleiten ließ, kommen so in den Genuss, ihr Programm ein Mal vollkommen ungestört von Umweltgeräuschen oder gar einem plappernden Publikum an dieses herantragen zu können. Tatsächlich wird der Zuhörer so gezwungen, besser - bzw. konzentrierter - zuhören zu müssen. Oder aber er hantiert stattdessen mit dem Handy - vor dieser Zivilisationskrankheit schützen dann auch keine Kopfhörer. Und es bestand natürlich die Gefahr, dass sich die Zuhörer etwas anderes anhören könnten, wie die Musik, die auf der Bühne stattfand - wie Stefan Honig scherzhaft mutmaßte.
Für die derzeitige Dear Reader-Inkarnation bot dieses Setting sowohl Herausforderungen wie auch Möglichkeiten. Denn auf dem letzten Tonträger "Day Fever"- der auch im Zentrum des Vortrages stand - hatte Cherilyn MacNeil schließlich ihre Vorliebe für elektronische Sounds entdeckt, die sie mit ihrer international besetzten Band natürlich auch an dieser Stelle einsetzte. Zwar war es wohl offensichtlich auch für die Musiker eine Herausforderung, sich in dieses Konzept hineinzudenken - nachdem das allerdings geklappt hatte, war die Begeisterung groß, denn durch die Konzentration auf elektronische Keyboards und die ausgefeilten Stimmarrangements, die für gewöhnlich Bestandteil der Kompositionen Cherilyns sind, bekam man so Facetten des Materials zu hören, die im normalen Live-Kontext für gewöhnlich untergehen. Was indes gleich geblieben war, war Cherilyns Bedürfnis, in Köln wieder ihr komisches Talent auszuspielen und ziemlich viel Blödsinn zu labern (wie sie selbst meint). Das liegt aber an dieser "lustigen Energie", die in Köln in der Luft liegt, wie sie erklärte.
Eines steht fest: Fehler verzeiht das Konzept des Kopfhörer-Konzertes schon alleine deswegen nicht, weil natürlich alles gehört werden kann. Die Mitglieder der belgischen Truppe BRNS nahmen das locker. "Ihr kennt ja die Stücke nicht, deswegen könnt ihr auch nicht hören, wenn wir BRNS Probleme haben", meinte der singende Drummer César Laloux, der sich auch darüber freute, dass das Publikum fast mehr Krach mache als die Band. Diese gehörten mit ihrem psychedelisch angehauchten Breitband-Art-Rock zu den Vertretern, die einen vollen Band-Sound brauchen, um funktionieren zu können. Was bedeutete, dass Gitarre und Bass auch über konventionelle Verstärker liefen, bevor sie dann in die Kopfhörer eingespeist wurden. Das machte sich dann dadurch bemerkbar, dass sich zahlreiche Fans dazu befleißigt sagen, tanzend Party zu machen. Und einen Song mit gleich vier Melodicas einzuläuten, muss man ja auch erst mal hinbekommen.
Als Fazit ließe sich vielleicht sagen, dass das musikalische Programm, das dieses Mal zusammengestellt wurde, stilistisch vielleicht zu abenteuerlich gemischt war, um das zweifelsohne originelle Konzept des Kopfhörer-Konzertes für ein ganzes Festival tragfähig zu machen. Aber alleine der Gedanke, mal etwas in dieser Richtung zu versuchen, ehrt natürlich schon und - für sich gesehen - bargen die verschiedenen klangtechnischen Aspekte in diesem besonderen Setting dann auch durchaus attraktive musikalische Erkenntnisse. Alleine der Gedanke, sich wegen des Kopfhörer-Aspektes wieder stärker auf die Musik konzentrieren zu können (oder gar zu müssen), rechtfertigt schon eine Fortführung Konzeptes.