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Konzert-Bericht
 
Rauchmelder und Eichhörnchen

Ann Vriend

Duisburg, Privatkonzert
08.10.2017

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Ann Vriend
Als wirklich allerletzte Show auf ihrer soeben folglich beendeten Europa spielte die Kanadierin Ann Vriend - zusammen mit ihrem Bassisten und Tourbegleiter Reed Thiel - ein warmherziges Privatkonzert in Duisburg, das die quirlige Songwriterin in gutgelaunter Bestform zeigte. Letzteres war auch notwendig, da eine Batteriepanne gleich zu Beginn der Show zu einer Verzögerung führte, die unterhaltungstechnisch weniger begabte Performer schon vor ein Problem gestellt hätten. "So beginnen wir eigentlich alle Shows", erklärte Ann scherzend, während der Hausherr eine Batterie aus einem Rauchmelder ausbaute, "und eigentlich singen wir auch gar nicht, sondern erzählen nur Geschichten über Batterien." Was zum Glück dann aber doch nicht ganz so passierte...
Zwar hatte Ann es nicht geschafft, bis zur Tour eine neue LP fertigzustellen - aber immerhin wartete die EP "Anybody's Different" inklusive der neuen Single "Will You Be There" auf die Fans. Und wer Ann Vriend bereits kannte (= ziemlich 100 % aller Anwesenden), der wusste ja auch, dass Ann nicht nur gerne neue - teilweise unveröffentlichte - Songs spielt, sondern dann auch gleich alles auf das Setting angepasst umkrempelt. D.h.: Keine Tour von Ann Vriend ist wie die andere - was man ja gar nicht mal von allen Kolleg(inne)n behaupten kann. Gerade im Eindampfen der Arrangements auf Piano, Stimme und Bass lag in dem Fall der Reiz der ganzen Geschichte, denn insbesondere Anns letzte Veröffentlichungen - vor der EP also die letzte LP "For The People In The Meantime" - stellten für die Dame aus Edmonton, Alberta, ja einen ziemlich radikalen Schritt in Sachen produktionstechnischer Weiterentwicklung dar, der sich ohne Band auf keinen Fall im Solo/Duo-Setting hätte reproduzieren lassen. Warum auch? Auf diese Weise bekam man schließlich ganz andere Perspektiven auf die Songs präsentiert. Zum einen natürlich, weil man in einem solchen Setting eher auf die Texte hört und zum anderen, weil sich Ann auch alle Mühe gab, die Arrangements dann deutlich in eine "klassische" Richtung umzubiegen. Gute Beispiele für dieses Prozedere sind dabei Songs wie "Invisible" oder "Anybody's Different", in denen Ann einerseits für ihre Verhältnisse geradezu politische Aussagen tätigt und andererseits der Unterschied zu den aufwendig - mit Synthies und Samples aufgemischten - Studioversionen besonders groß ist. Das führte dann sogar dazu, dass Songs in diesem Setting kaum wiederzuerkennen waren - beispielsweise der Track "Real Love" von der EP, der dort mit Reggae-Groove daher kommt und im Duo-Format als Ragtime inspirierter Pop-Song.

Damit aber nicht genug: Ann Vriend ist es offensichtlich wichtig, das Publikum einzubinden - beispielsweise als Klatschvieh oder unbezahlter Lohnchor - und diese Momente dann dazu zu nutzen, zusammen mit Reed Thiel richtig schöne, jazzige Improvisationen vom Zaun zu brechen. Und dann noch etwas: Im Laufe der letzten Jahre ist Ann Vriend als Sängerin über sich hinausgewachsen und präsentiert das Material heutzutage mit einer fast schon beängstigenden Inbrunst mit einer über das gesamte Spektrum - besonders aber in den hohen Tonlagen - bemerkenswert kräftigen Soul-Röhre. Auch, wenn sie wie z.B. im Falle des im Zugabenteil gewährten Publikumswunsches, dem für ihre Mutter geschrieben "A Dollar And A Suitcase", durchaus auch mal zärtliche musikalische Liebesbriefe zu schreiben weiß, die insbesondere durch ruhige Nuancen und Zwischentöne zu gefallen wissen. Mit Zwischentönen gibt sich Ann Vriend zwischen den Songs allerdings nicht zufrieden, sondern plaudert munter drauflos und erzählt entweder von ihren Konzertreisen oder die Geschichten hinter den Songs (wobei diese, wie sie einräumte, auch mal länger sein können als die Songs selbst). Durchzogen ist das alles von aufgeschnappten deutschen Begriffen - wobei es "Schlagzeuger" und "Autobahn" - bzw. "Stau" - Ann besonders angetan haben, während sie mit "Eichhörnchen" naturgemäß so ihre Probleme hat. Selbst gegenüber ihren sonstigen Solo-Shows war dieses Privatkonzert dann noch mal eine Spur intimer - was zu einer allgemein entspannten Atmosphäre führte, in der man dann die Künstlerin durchaus eingehend studieren und kennenlernen konnte. Nicht, dass es Ann dem Publikum hierbei besonders schwer machte, denn in Situationen wie diesen scheint sie geradezu aufzublühen. Für nächstes Jahr ist demzufolge gleich schon wieder eine Tour fest eingeplant - dann hoffentlich auch mit einem neuen Album.

Ann Vriend
NACHGEHAKT BEI: Ann Vriend

In letzter Zeit ist Ann Vriend dazu übergegangen, außer persönlich gefärbten Songs auch solche ins Programm aufzunehmen, die sich mit sozialen oder politischen Aussagen beschäftigen - wie z.B. "Invisible", in dem es um Obdachlose geht oder "Anybody Is Different", das sich mit den verbindenden Gemeinsamkeiten beschäftigt, die allen Menschen eigen sind. Ist das ein Rezept für die Zukunft?

Ann Vriend: Ja, ich denke schon. Meine Ansicht zur Politik ist die, dass es auch in persönlichen 1:1 Beziehungen so etwas wie Politik gibt. Es geht auch in romantischen Beziehungen um die Balance zwischen Kraft und Kompromiss. Ich weiß aber, was du meinst: Die politische Spannung in der Welt - die es immer gegeben hat - scheint heutzutage stärker zu sein - und das beschäftigt mich natürlich und ich denke eine Menge darüber nach.

GL.de: Kann denn Musik heutzutage noch etwas verändern?

Ann Vriend: Ich glaube schon. Wenn du an die größten Alben der letzten Zeit denkst - wie z.B. die von Beyonce oder Kendrick Lamar, dann ist das sicher so. Oder denk nur an die Künstler, die nicht bei der Trump-Inauguration spielen wollten - das wird von vielen Leuten gern gesehen. Ich weiß nicht, ob es direkt etwas ändert - weil niemand wirklich direkt etwas ändern kann - nicht mal Trump -, aber am Ende regt es die Leute zum Denken an. Es gibt zwar viel Gerede auf Facebook und so, dass niemand mehr beachtet, aber wenn du das Medium Musik hinzunimmst, dann funktioniert das auf einer anderen Ebene. Und ich meine, dass es die Aufgabe jedes Musikers ist, auf diese Weise zu kommunizieren.

GL.de: Ann kommt ja aus dem Norden der Mitte Kanadas. Das ist ziemlich weit weg vom Süden der USA, wo die Musik, die sie selbst macht - R'n'B, Blues, Soul und Jazz - herkommt. Wie kam es dazu, dass sie diese Entwicklung nahm?

Ann Vriend: Das ist eine gute Frage. Ich denke, dass es mit ein paar Gospel-Alben begann, die meine Mutter von ihrer Studienzeit aus Chicago mitgebracht hatte. Ich bin auch immer ein großer Fan von Paul Simon gewesen, der ja eine Menge Musik aus den ganzen USA benutzte. Und ich mag Blues - besonders dann, wenn der Rhythmus hinzu kommt; also traditionellen R'n'B. Ich habe dann eine wirklich große Entscheidung in meinem Leben getroffen und beschlossen, die Schule hinzuschmeißen und stattdessen die Musikschule zu besuchen - und zwar wegen einer Funk-Band, die ich gesehen hatte. Ich wusste damals schon, dass ich es ewig bereuen würde, wenn ich diese Art von Musik nicht in meinem Leben hätte. Es ist aber eigentlich egal, warum das so ist: Aber das ist die Musik, die mir am wichtigsten ist und die mich auch am stärksten berührt.

GL.de: Wie macht Ann diese Art von Musik denn zu ihrer eigenen?

Ann Vriend: Nun - ich denke, wenn du R'n'B anhörst, der nicht von mir stammt, dass dieser sich anders anhören wird. Und das ist deswegen so, weil ich eine andere Perspektive habe - denn ich wuchs ja nicht mit einem afro-amerikanischem Background auf. Hinzu kommt, dass die meisten R'n'B-Künstler - Aretha Franklin, Marvin Gaye, Otis Redding, Sam Cooke usw. - ja einen Hintergrund aus der Gospel- und Kirchenmusik haben. Mein Hntergrund ist da eher europäisch orientiert. Was ich an den Tisch bringe, ist meine Erfahrung einer Tochter von Eltern, die als Lehrer gearbeitet haben - was ungewöhnlich ist - und ich singe auf eine andere Art als typische - speziell jüngere - R'n'B-Künstler. Und ich versuche, nicht rein Retro zu klingen, sondern moderne Elemente in die Produktion einzubringen. HipHop als vielleicht einflussreichste Stilart der letzten vierzig Jahre ist mir dabei auch ein Vorbild. Ich kann das deswegen alles glaubhaft rüberbringen, weil ich in einem ziemlich armen, rauen Stadtteil Edmontons lebe. Deswegen verwende ich auch gerne kernige Low-Fi-Elemente, weil das mich und meine Herkunft repräsentiert.

GL.de: Worauf konzentriert sich Ann Vriend beim Live-Auftritt?

Ann Vriend: Mir ist es wichtig, dass die Musik in der Situation funktioniert. Bei einem Solo-Auftritt lasse ich zum Beispiel die ganzen Up-Beat-Funk-Songs raus - weil die in einem ruhigen Raum ohne Band nicht funktionieren. Und deswegen spiele ich eher die ruhigen Songs - und zudem ruhiger als ich sie mit Band spielen würde. Dann packe ich ältere Songs und neue Stücke, die ich noch nicht aufgenommen habe in die Setlist, damit auch die Leute, die mich schon kennen, etwas haben. Und dann hat die Setlist viel mit der Balance zu tun. Wenn ich eine langsame Nummer spiele, folgt meistens eine schnellere, weil es zu viel für manche Leute sein kann, wenn viele ernsthafte, ruhige Songs aufeinander folgen. Ich versuche also die Setlist so zu schreiben, dass das Interesse kontinuierlich aufrecht erhalten wird. Es geht also immer um den Moment.

GL.de: Und wie geht es weiter mit Ann Vriend?

Ann Vriend: Das ist eine gute Frage, weil ich gerade über mehrere Möglichkeiten nachdenke. Ich denke, dass ich ein paar Projekte aufteilen werde. Einerseits mit meiner Band mit ordentlich produzierten R'n'B- und Funk-Zeug und andererseits eine Scheibe mit ruhigeren Sachen. Ich denke, dass beides unterschiedliche Interessenten anzieht und ich möchte auch beides machen.

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Surfempfehlung:
www.annvriend.com
www.facebook.com/AnnVriend
Text: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-


 
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