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Haldern Pop Festival 2011 - 2. Teil

Rees-Haldern, Alter Reitplatz Schweckhorst
12.08.2011

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Okkervil River
Das Schöne am Haldern Pop Festival ist doch der Umstand, dass der "normale" Konzertbesucher im Zweifel ungefähr 50% der Acts, die in Haldern auftreten, vorher gar nicht kennt (oder kennen kann) - dann allerdings von ca. 80 % dieser unbekannten Größe vor Begeisterung vor Ort als Fan ins Herz schließt.
Was bleibt sind dann Acts wie 206, ein Trio aus Halle, das mit seinem Start-Auftritt im Spiegelzelt ziemlich polarisierte. Es ist dies eine beinharte Knüppeltruppe, die den Eindruck vermittelte, als wisse sie nicht so recht, was sie eigentlich aussagen wolle - weder, was den Namen, noch die Musik und schon gar nicht die Inhalte betrifft. Die Jungs sind momentan noch glücklich über jeden dritten Akkord, den sie finden, wären aber nicht mal dann interessant, wenn es Mädchen wären, weil alles, was sie vorzubringen haben, schon dagewesen ist. Ganz mal davon abgesehen, dass solche Musik nicht unbedingt das war, was die Fans am "frühen Morgen" zwingend hören wollten.

Anders sieht das schon bei Bodi Bill aus Berlin aus. Das angesagte Elektro-Pop-Trio überraschte zumindest mit origineller Bühnendeko: Die Keyboards wurden in Grillfolie und Taffetta-Tapeten gewickelt, ein großes Stück verschimmelter Käse diente als Ganzkörperkondom und ein großer Knochen wurde bedrohlich geschwungen. Leider machten die Jungs den Fehler, das zu dieser Zeit fehlende Nightclub-Feeling durch Dämmerlicht zu ersetzen, wodurch die bühnenseits gebotenen Eskapaden ein wenig im Dunkeln blieben. Und musikalisch erschien das Ganze aufgrund zahlreicher - nicht immer sitzender - avantgardistischer Experimente ein wenig spröde.

Endlich ging es dann auf der großen Bühne mit Golden Kanine aus Schweden los. Was soll man sagen: Die Truppe um den goldenen Weisheitszahn war gut drauf und bot wieder jenen enthusiastischen Schwung, den sie schon auf dem Orange Blossom Festival gezeigt hatten und den sie auf ihrer letzten Scheibe unerklärlich durch skandinavische Schwermut ersetzt hatten. Von Schwermut war hier keine Spur zu hören. Mit Schwung und viel Brimborium brachte das multiinstrumentelle Quintett mit mittlerweile integrierter Cellistin die Sache in Fahrt. Obwohl wegen der mulmigen Wetterlage noch kaum jemand da war.

Im Spiegelzelt begeisterte inzwischen der aus Südafrika stammende Wahl-Brite Johnny Flynn das Publikum. Der junge Mann traute sich alleine einer halbakustischen Dobro auf die Bühne und hatte dennoch keine Mühe, Aufmerksamkeit einzufordern. Das liegt einfach daran, dass Flynn weiß, was er tut und was gut für ihn ist. Und das ist, sich an den ganz großen Folk-Vorbildern zu orientieren und deren Tugenden auszuloten und zu emulieren - auch, wenn er auf seinem letzten Werk "Been Listeinig" stilistisch durchaus auch mal poppige Töne anschlug. Hier gab es Flynn Pur und das war auch gut so.

Gisbert zu Knyphausen hatte schon zu Beginn des Jahres deutlich gemacht, dass er sich am Festival-Zirkus nur punktuell zu beteiligen gedenke und somit nur bei den besten Festivals - dem Orange Blossom und dem Haldern-Pop - auftreten wolle. Und das dankten ihm die begeisterten Fans auch und feierten ihren "Gisi" dementsprechend. Auf der großen Bühne geriet auch Gisberts Musik automatisch eine Nummer größer als gewohnt. Zwar möchte man nicht gleich von "rocken" reden, aber das swingte zuweilen doch ganz nett. Allerdings hätte sich der Meister zum gegeben Anlass auch ruhig mal was schickes anziehen können. Nun ja, er ist halt trotz seines immer noch nicht ganz erklärlichen Erfolges durchaus einer von uns geblieben.

Im Spiegelzelt fand derweil ein Ereignis statt, das quasi die Gesetze der Physik, der Logik sowie von Zeit und Raum außer Kraft setzte. Es spielten Socalled aus Kanada. Nun ja, als Kanadier haben Socalled natürlich das Recht, Musikstile zu fleddern und nach eigenem Gutdünken zu würfeln. Wie sie allerdings auf die Idee gekommen sind, HipHop, Funk und Klezmer zu kombinieren, bleibt rätselhaft. Immerhin sind sie natürlich somit auch die beste - weil einzige - Band ihrer Art. Und eine immens unterhaltsame obendrein. Grandmaster Josh Dolgin und seine Mitstreiter hatten jedenfalls keine Mühe, das ganze Venue in einen tobenden Hexenkessel zu verwandelt, in dem alle - vom Opa bis zum Däumling - begeistert herumhüpften. Und dann gab es auch noch Zaubertricks. Und eine jiddische A-Cappella-Operette. Das begeisterte so sehr, dass trotz Zeitplanverschiebung eine Zugabe erzwungen wurde.

Bei Miss Li auf der Hauptbühne saß dann der technische Wurm tief im Gebälk. Mal fiel ihr Piano aus, mal der Bass, mal der Gesang und mal alles. Als echte Rampensau ließ sich die agile Schwedin von so etwas freilich nicht kleinkriegen, schnappte sich das Publikum - verzeihung - erst das Mikrofon und dann das Publikum und machte ordentlich Party am Bühnenrand und am Ende auch in der Menge selbst. Besonders die ganz jungen Fans hatten Spaß an dem für sie neuen Tun. Nach einer längeren Erkrankungen sind die neuen Songs etwas düsterer ausgefallen, was sich aber kaum bemerkbar machte. Selbst die neue Single "Hit It" wurde (wie etwa das zur Zugabe zurückgehaltene "Bourgeois Shangri Las") im Overdrive dargeboten - wobei sich Co-Author Sonny Boy Gustafsson als fastest Guitar in the North outete. Und als Bonbon gabs eine Solo-Version des Gassenhauers und ersten Miss Li-Songs "Oh Boy".

Das, was Will Sheff und sein tourendes Besetzungskarussell Okkervil River auf der letzten CD vermissen ließen - die gewohnte Inbrunst und inspiriertes Songwriting -, gab es beim Haldern-Auftritt auf der großen Bühne dann zum Glück wieder in gewohnter Manier. Angekündigt wurde die Sache als "Rockmusik". Das trifft die Sache natürlich nicht wirklich. Denn obwohl Okkervil River live in großem Rahmen ganz gut loshgehen, sind die Songs Sheffs dann doch zu verschroben und intelligent, um einfach nur zum Abhotten verschwendet zu werden. Aber bekanntlich ist ja auch das Publikum in Haldern verschroben und intelligent - weswegen dann am Ende wieder alles passte. Auch, weil die Musiker selbst offensichtlich jede Menge Spaß hatten.

Jede Menge Spaß hatte Alexi Murdoch im Spiegelzelt bestenfalls zwischen den Zeilen. Der stille Brite lebt jetzt in New York, was sich allerdings auf seine kontemplative, zutiefst beruhigende, somit nominell eigentlich langweilige Musik, die dann aber doch auf unerklärliche Weise nahegeht und fasziniert, keineswegs ausgewirkt hat. Die klingt nach wie vor als grüble etwa der Sohn von Nick Drake über die düsteren Aspekte des Daseins nach. Dabei erreicht Murdoch - mit ein wenig Gitarre, Taschenharmonium oder Geige und seiner beiläufig hingeflüsterten, lakonischen Stimme - eine gewisse wellenartige Transzendenz, der sich die Zuhörer gerne anschließen. Auch wenn das schwierig ist, wenn durch die offene Tür die Beats von der Hauptbühne in die allgemeine Gemengelage schwappen.


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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
 

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