Dann doch lieber ein ausgiebiges Frühstück und endlich mal ein bisschen Pause. Gerade noch rechtzeitig kamen wir dann gegen 17:00 Uhr im brechend vollen KEX Hostel an, um noch ein paar Songs von Cheek Mountain Thief mitzuerleben. Außerdem konnten wir so auch endlich noch einmal das viel gelobte Hostel von innen begutachten - wirklich sehr, sehr schick. Doch auch eines der Probleme des Festivals wurde hier wieder deutlich: Die Überfüllung. Da die Leitung sich entschieden hatte, den Sonntag über nur wenige Künstler in wenigen Venues spielen zu lassen, verteilten sich natürlich umso mehr Besucher auf die einzelnen Locations. Und da das übrige Programm nicht mehr so viel hergab, wollten quasi alle zu Cheek Mountain Thief. Doch dazu später mehr.
Cheek Mountain Thief jedenfalls ist das neue Folk-Projekt von Mike Lindsay, seines Zeichens Gründungsmitglied der britischen Band tunng. Nach einem Urlaub in Island beschloss Lindsay, dort Musik aufzunehmen. Er versammelte ein paar Mitstreiter um sich und heraus kam Cheek Mountain Thief. Das alles wäre nicht weiter interessant, würde Lindsay bei seinem Projekt nicht vom Kaffibarinn-Chor unterstützt werden. Das Kaffibarinn ist eine der hippsten Bars in Reykjavík, von der ein Anteil Gerüchten zufolge immer noch Damon Albarn gehören soll. Und eben diese Bar hat einen eigenen Männerchor, der die Performance von Cheek Mountain Thief am Sonntag zu etwas Besonderem machte: Zunächst zwischen all den Gästen am Boden eingequetscht sitzend, sprangen die Sänger für ihre Einsätze förmlich auf und brüllten herzhaft ins Mikro. So bekamen die an sich ganz netten Folk-Songs eine ganz eigene, mitreißende Dynamik, die ohne den kehligen Chor nicht möglich gewesen wäre.
Danach bereiteten wir uns auf das Abendprogramm vor und auch hier sollte die Verteilung der Besuchermassen wieder zum Problem werden. Logisch: Wer keine Karte für Björks "Biophilia" bekommen hatte, wollte natürlich etwas anderes Spektakuläres zum Abschluss sehen. In drei der vier verbliebenen anderen Venues spielten parallel jedoch eher unbekannte, weniger interessante isländische Bands, sodass praktisch alle, die nicht bei Björk sein konnten, naturgemäß ins NASA wollten - denn dort fand die mehr oder weniger offizielle Abschiedssause statt - wo auch sonst? Im Umkehrschluss bedeutete dies allerdings auch, dass wer zunächst im Harpa "Biophilia" sah, später keine Chance mehr hatte, ins NASA zu kommen. Denn die Schlange vor dem Club war mal wieder endlos.
Wir konnten zum Glück trotzdem hineingelangen und sahen als erstes die harten Kerle von Reykjavík!. Diese sind einer der wichtigsten Stützpfeiler in der isländischen Musikszene, ihr Sound ist trotzdem nicht gerade innovativ: Geradeaus gedachter, harter Rock mit ein paar Metal- und Hardcore-Elementen. Das machte aber nix, denn inmitten von all den neuen und ausgeflippten jungen Bands, die wir das ganze Wochenende über gesehen hatten, tat ein bisschen ehrliche Rockmusik auch mal ganz gut.
Dem Publikum war jedoch anzumerken, dass es insbesondere wegen einer Band ins NASA gekommen war und diese hieß Retro Stefson. Für die Isländer sind die blutjungen Isländer um Frontmann Unnsteinn Manuel Stefánsson sowas wie Helden: Schon als die Band die Bühne betrat, wurde sie frenetisch bejubelt - und das obwohl es in der Woche schon einen großen Auftritt im riesigen, aber trotzdem zum Bersten gefüllten Kunstmuseum gab. Von Retro Stefson kriegen die Isländer momentan scheinbar einfach nicht genug. Ihre verrückte Mischung aus Indierock, Funk, Weltmusik und jeder Menge Rumgepose ist aber auch jedes Mal wieder witzig und mitreißend. Das liegt vor allem am Percussionisten und Band-Hampelmann Haraldur Ari Stefánsson, der sich für keine Blödelei zu schade ist und auch am Sonntagabend hauptverantwortlich dafür war, dass das Publikum völlig ausrastete und jeden Mist, der auf der Bühne vorgemacht wurde, artig nachtanzte. Die Show mit den Hits "Kimba" und "Senseni" und Polonäse durch das Publikum war ein weiteres Highlight des diesjährigen Festivals - trotzdem war die Abschiedsparty im letzten Jahr mit FM Belfast sogar noch einen Tick schöner.
Das lag zum Teil auch daran, dass nach Retro Stefson die Kammer-Folk-Pop-Band Hjaltalín spielte - und somit das Tempo deutlich zurückgenommen wurde. Hjaltalín spielten zwar ein schönes Set mit Streicher, Fagott (!) und Akustikgitarre, die ausgelassene Stimmung im Publikum war aber erst mal dahin. Da wir am nächsten Morgen um 4:30 aufstehen mussten, um unseren Flug zurück nach Deutschland zu erwischen, kam uns dies aber auch ganz recht. So verließen wir den Schauplatz des Geschehens noch vor dem - so liest man - tollen Auftritt von Rich Aucoin, der das Festival offiziell beendete.