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Konzert-Bericht
 
Emotional Rescue

Sigur Ros
The Delgados/ Low

Amsterdam, Melkweg
04.11.2000
Low
Eines steht fest: Der letzte Abend des diesjährigen Crossing Borders in der niederländischen Hauptstadt war den großen Gefühlen vorbehalten. Dass aber trotzdem ausgerechnet die Band mit den - auf den ersten Blick - simpelsten Mitteln die größte Wirkung erzielte, ist erstaunlich und unterstreicht die Sonderstellung von Low. Die drei Amerikaner waren nach längerer Babypause ohne neues Album (das erscheint erst im kommenden Februar) im Gepäck auf Europatournee und obwohl sie schon um kurz nach acht als erste Band auf die Bühne mussten, schafften sie spielend dass, woran ihre Nachfolger streckenweise scheiterten, nämlich, ihr Publikum in den Bann zu schlagen. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können und oft war das lauteste Geräusch das Klicken der Fotoapparat-Auslöser - die Musik miteingeschlossen.
Der gerade bei Festivals sonst übliche Dauerlärmpegel im Zuschauerraum fehlte völlig, denn Low fesselten vom ersten Augenblick an. Und das, obwohl sie mit drei neuen Songs begannen. Songs allerdings, die so wunderschön waren, dass jetzt schon feststehen dürfte, dass ihre Meilenstein-LP "Secret Name" vom Sommer 1999 kein einmaliger "Ausrutscher" bleiben wird. Neu war, dass Low bei "Dinosaur Act" richtig rockten und sich irgendwo zwischen Galaxie 500, Neil Young und J. Mascis bewegten - ungewohnt, aber sehr gut gemacht. "Wir haben unsere Liebe zu lauten Songs entdeckt", erklärte Sänger Alan von der Bühne, als wäre das nicht offensichtlich, nur um direkt im Anschluss zwei der schönsten "Secret Name"-Songs herauszukramen: "Two-Step" und eine Wahnsinnsversion von "Starfire", die Low aber prompt mit einem selten Griff in die "Oldie-Kiste" sogar noch zu übertreffen wussten: "Violence" war vielleicht die größte Überraschung des Abends und sogar noch um Klassen besser als auf der "Long Division"-LP. Einem komplett umarrangierten "Soon" ließ das Trio zum Schluss einen weiteren neuen - wohl "Embrace" betitelten - Song folgen, der nicht nur im Londoner Büro ihrer Plattenfirma schon als Kandidat für den heimlicher Klassiker des kommenden Albums gilt. In knapp 60 Minuten bewiesen Low einmal mehr, dass ihre Musik - dem schüchternen, ja fast unsicheren Auftreten der Protagonisten zum Trotz - häufig auf magische Weise fast heilende Kräfte besitzt.

Das Delgado Orchestra - auch bei diesem Festivalauftritt komplett in 10köpfiger Besetzung mit zusätzlichem Streichquartett, Flötistin und Pianist am Start - hatte dagegen sehr gegen das unruhige Publikum zu kämpfen und Sängerin Emma war schließlich so genervt, dass sie vor "13 Gliding Principles" meinte: "Ich muss mich entschuldigen, aber die nächste Nummer ist so laut, dass ihr sie nicht mit eurem Gequatsche übertönen werdet!" Natürlich hätten sie bei einem Festival in gewisser Weise damit rechnen müssen, aber der Ärger ist dennoch verständlich: Selten klang eine so opulent ausgestattete Band so dicht und gut eingespielt und es war wirklich schade um jeden verpassten Ton. Vor allem, weil die Band trotz der großen Besetzung mutig genug war, Kleinigkeiten - Akkordfolgen, Texte, Teile der genialen Laser-Lightshow - zu ändern und so selbst bei denjenigen für Abwechslung zu sorgen, die die Schotten bereits zuvor auf dieser Tournee gesehen hatten. Neben dem fast an die 60s-Version der Bee Gees erinnernden "No Danger" war auch heute wieder "Pull The Wires From The Wall" das Highlight, das in diesem Rahmen einen fast kammermusikalischen Touch hat und schnell vergessen ließ, dass bei der vom Publikum offensichtlich genervten Band nicht alles rund lief.

Den - leider ebenfalls vom Publikumsgemurmel etwas überschatteten - Schlusspunkt im inzwischen brechendvollen Melkweg durften dann die Isländer von Sigur Ros setzen: Neuer Stoff zum Träumen für alle, die Galaxie 500 für die beste Band aller Zeiten halten, immer noch nicht die Auflösung der Cocteau Twins verkraftet haben, verzweifelt auf neue Songs von Spiritualized warten und vom letzten Stereolab-Album enttäuscht waren. Die Isländer kennen sich mit dronigem Slow-Rock genauso gut aus wie mit "halborchestralen Zeitlupenschwofern". Epische Songs mit viel Tiefgang, introvertiert und nachdenklich. Die Musik von Sigur Ros beschwört eine magische Atmosphäre herauf, die fast schon überirdisch schön zu nennen ist. Musik, die gleichzeitig spontan zu sein und aus dem Bauch heraus zu kommen scheint, aber viel zu perfekt und durchdacht ist, dass eigentlich doch eine größere Idee, ein Plan, dahinterstecken muss. Genau dieses etwas Undurchsichtige, Mysteriöse, das den Isländern anhaftet, sorgt dafür, dass das Hören ihres Debuts "Agaetis Byrjun" genauso eine helle Freude ist wie ihre Liveshows. Fazit? Ein emotionaler Rettungsanker der angenehmsten Art.

Text: -Carsten Wohlfeld (mit Dank an Steve Delgado)-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
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