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Konzert-Bericht
 
Ein wahres Schauspiel

PJ Harvey

Köln, Palladium
15.10.2016
PJ Harvey
Jede Generation von Musikerinnen und Musikern wirft ein, zwei einzigartige Talente ab, die ihren ganz eigenen Weg gehen und nicht nur musikalisch neue Maßstäbe setzen, an denen sich ihre Nachfolgerinnen und Nachfolger messen lassen müssen, sondern mit ihrer charismatischen Strahlkraft auch weit über die reine Musik hinaus unübersehbare Spuren hinterlassen. Polly Jean Harvey ist fraglos eine dieser Ausnahmeerscheinungen. Was Patti Smith für den Punk war und Kate Bush für den Avant-Pop der 80er, ist die inzwischen 47-jährige Dame aus Dorset in Südengland für die Indie-Explosion der frühen 90er. Jetzt kehrte sie nach vielen, vielen Jahren erstmals wieder nach Köln zurück und lieferte im Palladium einen umwerfenden Auftritt ab.
Im Mittelpunkt des Konzerts stehen die Lieder ihres aktuellen Konzeptalbums "The Hope Six Demolition Project", doch man muss die bereits kontrovers diskutierten Songs der LP nicht unbedingt mögen, um von Harveys Gastspiel im Palladium begeistert zu sein. Denn obwohl das neue Werk fast in Gänze zur Aufführung kommt, ist der Auftritt der kleinen Frau mit der großen Bühnenpräsenz, die sich seit ihren Anfängen im sinnlichen Indie-Goth-Blues längst ein eigenes Genre geschaffen hat, bisweilen mehr Schauspiel als reguläres Konzert.

Gleich zu Beginn führt sie ihre neunköpfige Band mit allerhand Schlagwerk und Blasinstrumenten bewaffnet wie eine Marschkapelle in die "Manege", oder doch besser aufs Schlachtfeld? Schließlich eröffnet "Chain Of Keys" den Abend, ein Lied über eine Frau, die allein in den Trümmern einer vom Krieg zerstörten Stadt zurückgeblieben ist. Auch viele andere Lieder der neuen Platte sind im Kern moderne Protestsongs, inspiriert von Reisen in Krisengebiete mit dem Fotografen Seamus Murphy. Harvey singt von Problemstadtteilen ("The Community Of Hope" entstand nach einem Besuch in den ärmsten Gegenden von Washington DC) oder gar von Völkermord (verpackt in den vielleicht eingängigsten der neuen Songs, "The Wheel"), und auch sonst erinnert wenig an ein traditionelles Rockkonzert. So teilen sich das Schlagzeug (Bassdrum, Snare, Hi-Hat) bisweilen gleich drei Trommler, und überhaupt bleibt es auch ohne Ansagen von Harvey zwischen den Songs spannend, denn alle Musiker wechseln munter die Instrumente oder spielen gleich mehrere parallel. So gleichen die Pausen zwischen den Liedern oft den Umbaupausen zwischen zwei Theaterakten und schüren die Spannung auf das, was da kommen mag.

Natürlich ist Harvey der Mittelpunkt der Show, nein, der Aufführung, doch schnell wird klar, dass der Abend vor allem durch Ensembleleistung zu einem kleinen Triumph wird. Gleich neun männliche Mitstreiter hat sich Harvey dieses Mal eingeladen, viele von ihnen seit Jahrzehnten Weggefährten, darunter gleich eine ganze Reihe Lichtgestalten des "zeitgenössischen Kaputtnik-Blues", wie es in einer Kritik zum Konzert diesen Sommer in Berlin so treffend hieß. Mick Harvey etwa, der 35 Jahre lang mit Nick Cave bei The Birthday Party und den Bad Seeds arbeitete, Gallon-Drunk-Vordenker James Johnston und dessen Bandkollege Terry Edwards, der unglaublicherweise bei einer Nummer zwei Saxofone gleichzeitig (!) spielt. Außerdem sind Harveys brillante Dauer-Kollaborateure John Parish und Jean-Marc Butty ebenso mit dabei wie Alain Johannes, Solokünstler und Tausendsassa aus dem QOTSA-Umfeld. Doch die Musiker glänzen nicht nur als Instrumentalisten, alle singen auch - oft gemeinsam im Chor. Harvey selbst beschränkt sich derweil größtenteils auf ihre Rolle am Mikro. Einige Male greift sie zum Saxofon, Gitarre spielt sie dagegen nicht. Gemeinsam gelingt der Gruppe die Gratwanderung, das anspruchsvolle Programm ohne nennenswerte Längen auf die Bühne zu bringen.

Dennoch geht ein Aufschrei der Erleichterung durchs Publikum, als es gegen Ende des rund 100-minütigen Auftritts noch einige Rückgriffe auf Harveys bahnbrechendes Frühwerk gibt, ein herrlich rabiates "50 Ft. Queenie" etwa, ein wunderbar sinistres "Down By The Water" und bei der Zugabe ein betont theatralisches Cover von "Highway 61 Revisited", das auch mit der vielköpfigen Band die gleiche Intensität besitzt wie die zu dritt eingespielte Studioversion von 1993.

Auch wenn Harvey ihrem Publikum gerade im ersten Teil eine Menge abverlangt, ist ihr aufreizend kurzer Rock deshalb längst nicht das Aufregendste an diesem beeindruckenden Konzertabend.

Surfempfehlung:
pjharvey.net
www.facebook.com/PJHarvey
de.wikipedia.org/wiki/PJ_Harvey
Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Laurence Buisson-


 
 

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