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Erleuchtend

Nerina Pallot
Johanna Amelie

Köln, artheater
26.04.2018

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Nerina Pallot
"Everything's Illuminated" ("Alles ist erleuchtet") heißt einer der unzähligen Songs von Nerina Pallot. Zwar stammt dieser vom ungeliebten dritten Album "The Graduate" und wurde demzufolge bei ihrem Tourauftakt in Köln nicht gespielt - allerdings hätte dieser das Motto des Abends sein können; und zwar in mehrerlei Hinsicht: Zum einen nämlich ging die Lightshow im Kölner artheater (nach der üblichen Kunstnebel-Dusche) geradezu in den Overdrive und hüllte die Bühne in zuweilen geradezu psychedelische Licht-Kaskaden und zum anderen erleuchtete Nerina sich und ihre Songs ziemlich eindrucksvoll selbst, indem sie sich durch eine repräsentative Songauswahl aus ihrer gesamten Karriere ins rechte Licht rückte und auch indem sie Erhellendes über die Inhalte einer dieser Songs preis gab.
Als Support Act spielte Johanna Amelie aus Berlin ein kurzes Set, in dem sie und ihre Band vor allen Dingen Songs präsentierte, die ihr kommendes, zweites Album "Distance" ausmachen werden. Johanna hatte Nerina bei einem Auslandsaufenthalt in London kennen gelernt, wo sie an ihrer Musik arbeitete und war von dieser eingeladen worden, sie bei den Konzerten in Deutschland zu unterstützen. Johanna macht eine Art spacigen Gitarrenpop, mit dem sie aber auf ambitionierte Abstand von gängigen Pop-Strukturen und -Klischees nimmt. Insbesondere in der produzierten Form gefallen ihre Stücke durch einen vielschichtigen Aufbau, vielseitige Instrumentierung und geschickt gestaffelte Vocals, die sich stets in ungewöhnlichen Harmoniebögen in unerwarteten Richtungen durch die Songs schlängeln. Im Live-Kontext wurde das zwangsweise ein wenig reduziert - zum einen weil in der Trio-Besetzung kein Platz für einen eigenen Bassisten war und zum anderen, weil die ohne großen Firlefanz eingerichteten elektrischen Gitarren (darunter eine ungewöhnliche E-Dobro) vielleicht eine Spur zu steril klangen. Und auch der Keyboarder hätte etwas beherzter in die Tasten greifen dürfen, denn auf diese Weise geriet das ganze Set ziemlich spröde - einfach weil die ganzen Klangfarben, derer sich Johanna im Studio bemächtigt, hier bestenfalls zu erahnen waren. Trotzdem: Insgesamt gefiel dieses Set durch die unkonventionelle Art und Weise, in der Johanna sich das Material da (zuweilen mit angenehm brüchiger Stimme) Untertan machte und interessante Aspekte betonte, nach denen Geringere vielleicht nur suchen.
Zugegebenermaßen funktioniert die Sache im Falle von Nerina Pallot etwas konventioneller. Das aber vor allen Dingen dessen, weil sich die Songwriterin aus dem Londoner Stadtheil Camden Town sich sowieso klassischen Old-School-Tugenden verschrieben hat. "Bei mir geht es immer um die Songs und nicht um einen bestimmten Stil", brachte sie dieses ein Mal auf den Punkt. Und in der Tat gehört Nerina Pallot zu jener Spezies an Songwritern, die quasi zu jedem Thema einen Song parat haben und über alles und jedes zu Schreiben in der Lage sind. Sicherlich sind persönliche Erfahrungen dabei auch für Nerina der Dreh- und Angelpunkt - doch dabei bleibt es keineswegs. Während sie etwa Songs wie "Stay Lucky" (den Titeltrack ihres aktuellen Albums) oder "Grace" für ihren kleinen Sohn bzw. ihre Schwester geschrieben hat, gibt es in ihrem Oeuvre auch Stücke wie "Boy On The Bus" - ein anrührender Song, den sie über eine jugendliche Selbstmörderin aus deren Perspektive geschrieben hat, weil diese "einfach ein Stück verdient habe"; oder "The Heart Is A Lonely Hunter", das sie inspiriert von dem gleichnamigen Roman von Carson McCullers verfasste - aber als Reflektion über die Unwägbarkeiten und Enttäuschungen der Liebe nutzte. "Man Didn't Walk On The Moon" - ebenfalls vom aktuellen Album - hingegen setzt sich im übertragenen Sinne mit Konspirationstheorien auseinander bzw. der allgemeinen Tendenz, an allem und jedem Zweifeln zu müssen. Interessant ist dabei, dass Nerina gar keine klassische Geschichtenerzählerin ist (obwohl sie im richtigen Leben durchaus gerne Geschichten erzählt), sondern in ihren Songs mit geschickt gewählten Bildern leicht nachzuvollziehende Szenarien entwirft, die die zugrunde liegenden Stories eigentlich nur ambivalent erahnen lassen, aber emotional absolut nachvollziehbar erscheinen. Nerina geht dabei eher als suchende Philosophin durch das Leben (was auch immer wieder spirituelle Themen inkludiert) denn als predigende Besserwisserin. Das mag vielleicht ein wenig zu viel sein für Musikfans, die einfach nur der Unterhaltung wegen zu diesem Medium tendieren. Was vielleicht auch der Grund ist, dass Nerina Pallot nach einer immerhin 17-jährigen musikalischen Laufbahn und hunderten von auf sechs LPs und zig EPs veröffentlichter Songs hierzulande nur interessierten Spezialisten ein Begriff ist (während sie in ihrer Heimat England durchaus eine fixe Größe im Songwriter-Kosmos ist). Aus diesem Grund hatte sie die Setlist für ihre aktuelle Tour in Deutschland stark abgeändert.

Während sie in England ihr aktuelles Album "Stay Lucky" in dem Vordergrund gestellt hatte (und auf dem ersten Tourabschnitt auch vollständig präsentierte), gab es in Köln einen Mix aus einigen "Stay Lucky"-Tracks, einigen selten gespielten Nummern aus der Historie und fast das ganze, zweite Album "Fires" - das von ihren Veröffentlichungen aufgrund der damaligen Radio-Hits, dem Anti Kriegs-Song "Everybody's Gone To War" und "Mr. King" (einem Stück, das sie über ihren damaligen Produzenten schrieb, der sie erfolglos vor den Irrungen des Pop-Biz hatte warnen wollen) - bei uns noch am bekanntesten ist. Aus Budgetgründen hatte Nerina aus ihrer Band nur den Drummer Lewis Wright mitgebracht, der durch einen in Deutschland lebenden englischen Bassisten, mit dem Nerina schon öfters zusammen arbeitete, ergänzt wurde. Was bei anderen Acts vielleicht in asketischer Abstraktion geendet hätte, nutzten Nerina und ihre Musiker für einen betont lockeren Ansatz, indem sie die Stücke auf improvisatorische Art aufbohrten und mit Jam-Partien auf lebendige Art ausfüllten. Insbesondere Lewis Wright nutzte die Gelegenheit, das Fehlen irgendwelcher Solo-Musikanten für eigene Exkursionen - mal in Richtung Jazz, mal in Richtung Art-Rock und mal in Richtung Pop - aufzubohren. Bei all dem gefiel Nerina Pallot - die von Haus aus eher als Pianistin agiert - auch auf der akustischen und elektrischen Gitarre als einfühlsame, versierte und stilistisch vielseitige Performerin. Der Grund für diese Vielseitigkeit liegt auch darin begründet, dass Nerina Pallot - nach diversen Flirts mit der Industrie - heutzutage wieder weitestgehend independent agiert. "Ich bin eigentlich ganz froh, wieder ohne Label zu agieren", verriet sie, "denn ich mache das alles nicht, um auf irgend jemand zu hören. Ich mache heute eigentlich, was ich will."

Das Ergebnis dieser Philosophie sind dann Konzerte wie dieses - mit einer unglaublichen Dichte großartiger Songs, die auf lebendige Weise von Nerina immer wieder neu interpretiert und im jeweils gewählten Setting (wozu der geschickte Wechsel vom Piano zur Gitarre ebenso gehört wie ein längerer Solo-Part) perfekt inszeniert werden. Als Nerina bei ihrem letzten Stück - ihrem Trademark-Song "Put Your Hands Up", mit dem sie traditionellerweise ihre Konzerte beendet - angelangt war, hatte sie dann keine Mühe, die Zuschauer zum Mitklatschen bewegen (was bei diesem mitreißenden Stück aber sowieso nicht besonders schwierig ist). Einzig einen Aspekt hatte Nerina für die deutschen Fans zurechtgebogen: In England verbringt Nerina - so bestätigte sie selbst - die Hälfte der Zeit damit, mit dem Publikum zu scherzen (übrigens auf eine ziemlich scharfzüngige und respektlose Weise) - was man ihr dort verzeihe, weil man Mitleid mit ihr habe. Das wollte sie den deutschen Fans dann doch nicht zumuten und hielt sich diesbezüglich zurück. In musikalischer Hinsicht jedoch gehörte diese Show zu jener Art von perfektem Konzerterlebnis, an das man sich als Zuhörer gerne lange zurückerinnert - auch lange, nachdem der letzte Song "Sophia" vom "Fires"-Album endgültig verklungen war.

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Surfempfehlung:
www.nerinapallot.com
facebook.com/NerinaPallotOfficial
www.johannaamelie.com
facebook.com/johannaameliemusic
Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-

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