NACHGEHAKT BEI: WHITNEY ROSE
GL.de: Was hat es eigentlich mit dem Titel des neuen Albums "Rule 62" auf sich (der auf dem Cover der CD zudem in einem Straßenschild positioniert wurde)? Dem Vernehmen nach geht es ja dabei um eine Regel der Anonymen Alkoholiker.
Whitney: Ja, das stimmt. Als die Anonymen Alkoholiker sich in den USA gründeten, beschlossen sie, dass es bei ihren Treffen nur eine einzige Regel geben sollte - und das war die Regel 62: Nimm dich selbst nicht zu verdammt ernst. Das hat bei mir durchaus mitgeschwungen, denn ich denke schon, dass sich die Leute selbst zu ernst nehmen und das verursacht einfach zu viele unnötige Konflikte und Spannungen.
GL.de: Und warum ist das Regel 62?
Whitney: Das mit der Regel 62 ist ein Insider Witz. Denn als die AA-Zentrale im Staate New York gegründet wurde, bat man alle 61 Büros je eine Regel einzureichen, um zu einem Regelwerk kommen zu können. Es stellte sich dann aber heraus, dass diese Regeln ziemlich dämlich waren. Es gab dann Vorschläge, dass nur diese und jene Leute zugelassen werden sollen, dass die Kekse auf den Veranstaltungen nur so und so lange gebacken werden dürften oder dass der Kaffee auf eine bestimmte Weise zuzubereiten sei. Dann sagte man sich: Wisst ihr, ihr nehmt euch alle viel zu ernst. Es gibt jetzt nur noch eine Regel, und das ist Regel 62 - dass ihr euch eben nicht zu ernst nehmen sollt.
GL.de: In der Bio zur neuen Scheibe hieß es, dass Whitney auf ihrer Scheibe einige zornige Trennungs-Songs versammelt habe…
Whitney: Nun, "zornig" ist vielleicht nicht das richtige Wort. Ich würde eher sagen "ängstlich gespannt". Ich habe nämlich Probleme mit Angstzuständen. Teilweise geht das so weit, dass sich das physikalisch äußert und ich anfange zu zitttern. Der ganze Zweck von Regel 62 ist aber nun der, diese unangenehmen Situationen zu nehmen und diese von eine heiteren Perspektive aus zu betrachten. Zum Beispiel indem ich einen Tanz-Song wie "I Can't Stop Shakin'" draus machte oder das Thema Scheidung auch nicht allzu ernst zu nehmen.
GL.de: Das erklärt vielleicht auch, warum diese Songs gar nicht auf eine besonders zornige oder energische Art präsentiert werden - jedenfalls was den Gesang angeht.
Whitney: Absolut. Das ist so beabsichtigt.
GL.de: Dann gibt es noch etwas, das auf der CD thematisiert wird: Die abschätzige Art, mit der Frauen im Musikbusiness behandelt werden.
Whitney: Das ist nicht nur im Musikbusiness ein großes Thema, sondern generell. Ich meine - es ist noch gar nicht so lange her, dass wir das Wahlrecht bekommen haben. Ich will ja nicht sagen, dass die Sachen nicht besser würden - wofür ich dankbar wäre, wenn ich überhaupt dafür dankbar sein müsste - was nicht der Fall ist. Ich meine einfach, dass es schon vor einer langen Zeit absolute Gleichberechtigung hätte geben sollen. Ich kann nur sagen, dass ich hauptsächlich mit Männern zusammen bin und ganz genau weiß, dass ich genau so klug - wenn nicht sogar klüger - bin als die meisten von denen.
GL.de: Und dann gibt es ja noch das Thema "Fernfahrer". Auf dem neuen Alben beschäftigen sich gleich zwei Stücke - "Trucker's Funeral" und "Tied To The Wheel" mit Truckern.
Whitney: Wenn man so viel Zeit auf der Straße verbringt wie ich, dann kommt man auf dieses Thema. Ich fühle mich ja selbst zuweilen ein wenig wie ein Fernfahrer. "Trucker's Funeral" entstand als ich bei einem Bank-Termin in Austin der Sachbearbeiter die Geschichte seiner Familie erzählte. Er war gerade auf dem Weg zur Beerdigung seines Vaters, der als Fernfahrer gearbeitet hatte und hatte erst nach dessen Tod erfahren, dass dieser eine zweite, geheime Familie auf der anderen Seite des Kontinents hatte. Das fand ich interessant, weil sowas heutzutage in Zeiten von sozialen Medien und Smartphones kaum noch möglich wäre.
GL.de: Das Thema Reisen und Herumfahren ist ja eine typisch nordamerikanische Sache, oder? Engländer singen ja zum Beispiel eher über die Heimat und das zu Hause.
Whitney: Ja, das muss aber fast zwangsläufig so sein bei den Entfernungen, die wir zurücklegen. Das Thema Trucker reizt mich schon alleine auch deswegen, weil Musiker und Trucker sehr viel gemeinsam haben. Wir sind uns sehr ähnlich!