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Haldern Pop Festival 2018 - 3. Teil

Rees-Haldern, Alter Reitplatz Schweckhorst
11.08.2018

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Phoebe Bridgers
Der musikalische Teil des dritten Festivaltages begann bereits zu einer für Musiker nachtschlafenden Zeit um 11 Uhr vormittags - in der Haldern Pop Bar mit dem Auftritt des Schweizer Songwriters Marius Bear und seiner Band. "Da sind wir gestern acht Stunden aus der Schweiz angereist, um heute eine halbe Stunde hier zu spielen", erklärte der wuchtige Mann mit der voluminösen Stimme, "aber wenn ich jetzt um diese Zeit so viele glückliche Gesichter sehe, die unsere Musik hören wollen, dann war es das auf jeden Fall wert." Scheint der Mann in seinen Musikvideos in die Düster-Blues-Ecke abdriften zu wollen, so präsentierte er sich Haldern eher als Soulpop-Crooner und blueste nur gelegentlich, wenn er selbst zur Gitarre griff. Insbesondere überzeugte er durch seine sympathisch bodenständige Art und natürlich durch die sonore Stimme.
Besser gut geklaut, als schlecht selbst gemacht: Das großartige Rotterdamer Quartet Lewsberg sortiert sich mit indifferenter Lässigkeit dort ein, wo die Musikhistorie zwischen The Velvet Underground und deren Epigonen The Modern Lovers und Galaxie 500 noch einen Spaltbreit Platz bietet, und begeisterte in der brechendvollen Pop Bar mit einer lupenreinen Lo-Fi-Hommage an die alten Helden, die so perfekt, so aufregend war, dass es genrefremder oder gar eigener Ideen gar nicht mehr bedurfte.

Zum zuweilen etwas undurchschaubaren Konzept der diesjährigen Haldern-Auflage gehörte auch eine geheimnisvolle "Hier könnte vielleicht gleich etwas passieren"-Überraschungsbühne im hinteren Teil des Geländes vor der Hauptbühne, in der spontan zusammengesuchte Acts, die zufällig noch im Besitz ihrer Instrumente waren, von den Festival-Scouts eingeladen wurden, dortselbst Spontangigs zu spielen. Dort trafen dann zum Beispiel die Herren von Terra Profonda, die am ersten Festivaltag mit ihrem eigenwilligen Folklore/Jazz/Weltmusik-Mix in der Kirche für ein "Aufhören" gesorgt hatten, plötzlich auf ein Zufallspublikum, von dem nicht ganz ersichtlich war, ob dieses an der Musik des Trios interessiert war, oder sich bloß ausruhen wollte. Dessen ungeachtet überzeugte das Trio auch hier mit instrumentellen Eigenarten, Inbrunst und interessanten musikalischen Kontrasten.

Auf der Hauptbühne gab es derweil die Rückkehr von Jenny Lewis zu feiern. Fast zehn Jahre nach ihrem letzten Abstecher nach Deutschland unterstrich ihr mitreißender Auftritt, dass die inzwischen 42-jährige Amerikanerin ihren Weg gefunden hat. Nachdem sie in den 00er-Jahren mit ihrer alten Band Rilo Kiley und solo mit jeder neuen Platte neue Wege gegangen war, fühlt sie sich inzwischen im makellosen und doch handgemachten Soundkosmos des 70s-Pop/Coke-Rock ihrer Heimat Los Angeles am wohlsten. Manchmal nah an der Parodie, aber mit dem Geschick einer großen Entertainerin, die alle Showbizposen und -tricks perfekt draufhat, ließ sie an diesem Nachmittag gemeinsam mit ihrer fünfköpfigen Band jeden ihrer Songs - Stücke aus all ihren Soloplatten, Ausblicke auf ihr nächstes Album und sogar eine alte Rilo-Kiley-Nummer - anders klingen, ohne dass sie aus dem selbst gewählten Rahmen gefallen wären. Abgesehen davon: Jesus Maria, was für ein Outfit, Jenny!

Noch ungenierter ließen sich gleich im Anschluss The Lemon Twigs vom Geist der 70er-Jahre inspirieren. Ohne auf störende eigene Ideen zurückzugreifen, aber mit ordentlich nervöser Power, hauten uns die Brüder Brian und Michael D'Addario gemeinsam mit ihren drei Mitstreitern Songs um die Ohren, die allesamt so klangen, als hätten das aus Kalifornien stammende Quintett die alten Plattensammlungen der Eltern durchwühlt und aus den Hits des Goldenen Zeitalters des Rock neue Stücke zusammengesetzt. Nicht nur wegen ihrer Klamotten, die vermutlich 1979 bei der Altkleidersammlung liegen geblieben waren, trug das Ganze gerade dann, wenn die Band auf exzentrisches Rock-Oper-Terrain abbog, spürbar parodistische Züge, aber für die Partylaune des Publikums war das am letzten Festivaltag genau das Richtige.

Im Session-Zelt zelebrierten The Barr Brothers im Anschluss ihre neue Freundschaft mit den Musikern von Stargaze und tauchten mit einer Handvoll Begleiter an Percussion, Kalimba, Trompete, Geige und Cello in eine 20-minütige Instrumental-Jam-Session ab, in der verschiedene Lieder der Band anklangen, in erster Linie aber doch die überbordende Spielfreude der auf der kleinen Bühne freudestrahlenden Protagonisten im Vordergrund stand, bevor sie - ebenfalls betont freigeistig - "You Would Have To Lose Your Mind" in voller orchestraler Größe über die Zehn-Minuten-Marke puschten. Manch einem im rappelvollen Zelt hätte sicherlich auch ein songdienlicherer Duo-Auftritt gut gefallen, ein faszinierender Einblick in die Klangwelt der Barr Brothers war diese halbstündige "Zugabe" zum hinreißenden Kirchenkonzert am Vortag aber allemal.

Auch im eher abseits gelegenen Tonstudio Keusgen fanden in diesem Jahr wieder Shows statt. Die exponierte Lage bedeutete indes nicht, dass hier der Zuspruch des Publikums geringer ausfiel, sondern lediglich, dass hier vielleicht andere, interessierte Fans zum Zug kamen als bei den offensichtlichen Crowdpleaser-Slots. Das australische Trio Tinpan Orange etwa machte auf der aktuellen Tour so auch auf dem Haldern Festival Station und war zur vereinbarten Zeit gerade aus Reutlingen angereist. Es gab im gut aufgeheizten Studio dann genügend Gelegenheit, auf das Thema Wetter einzugehen - während das Geschwisterpaar Emily und Jesse Lubitz und Kumpel Alex Burkoy ein verkürztes Folkpop-Set darbot - freilich ohne auf die für sie typischen, gewohnten und teilweise improvisierten Jam-Passagen zu verzichten und auch Neil Youngs "Out Of The Blue" fand den Weg auf die Setlist. Einer spontanen Eingebung folgend beschloss das Trio das Set mit einem unplugged Singalong in der Mitte des Publikums. Danach standen die Musiker noch den Fans zur Verfügung, bevor es dann auf das Festivalgelände ging, um andere australische Acts wie King Gizzard & The Lizard Wizard zu begutachten.

Während dessen hatte der Haldern-Gewohnheitstäter Gisbert zu Knyphausen (der zuletzt als Bassist der Olli Schulz Band an gleicher Stelle gestanden hatte) zusammen mit seiner aktuellen Band die Hauptbühne in Besitz genommen. Für seine Verhältnisse durchaus bodenständig und druckvoll präsentierte er die Songs seines aktuellen Albums "Das Licht dieser Welt" zusammen mit seiner neuen Band, zu der jetzt auch Meister-Bläser Martin Wenk gehört, ungewohnt rockig, laut und voluminös. Der nachdenkliche Liedermacher der vergangenen Jahre machte jedenfalls in diesem Sinne erst mal Pause. Der Plan Gisberts, sich dieses Mal eher als Teil einer Band - und nicht wieder als Songwriter mit Begleitmusikern - zu präsentieren, ist jedenfalls so aufgegangen.

"Daumen hoch" gab es nach dem Auftritt von Marlon Williams & The Yarra Benders. Hatte der Neuseeländer in den letzten Monaten bei einigen seiner Konzerte etwas tourmüde gewirkt und bisweilen mit betont sportlichen Klamotten seine Rolle als altmodisch-aparter Crooner konterkariert, konzentrierte er sich im Spiegelzelt wieder ganz auf seine Rolle als Performer der alten Schule. Auch wenn sein Aussehen - seit seinem Gastspiel in der Pop Bar vor gerade einmal 14 Monaten hat er seinen Rasierer weggeworfen, die Haare rauswachsen lassen und sich einen auffälligen Ohrring zugelegt - nahelegen mag, dass er immer noch die Trennung von Aldous Harding verarbeitet: Im Mittelpunkt standen an diesem Abend nicht die tiefgründigen Breakup-Songs seiner aktuellen LP, sondern Coverversionen: Gleich als erstes Lied stand Roberta Flacks "First Time That I Ever Saw Your Face" auf der Setlist, und als Finale gabs das von Barry Gibb geschriebene "Carried Away" und natürlich das hinreißende "Portrait Of A Man" von Screamin‘ Jay Hawkins, bei dem Williams sogar kurz auf Tuchfühlung mit dem Publikum in den ersten Reihen ging.

Bei ihrem Auftritt im Spiegelzelt gab es noch ein Mal die Gelegenheit, Phoebe Brigders - immerhin die Indie-Ikone du Jour - mit ihrer aktuellen Band aus nächster Nähe begutachten zu können. Im Mai war Phoebe in London zwar mit Band, aber ohne Bassisten aufgetreten. Beim Auftritt in Haldern wurde nun deutlich, warum das so war: Ihr ehemaliger Bassist Christian Lee Hutson spielt nämlich nun in der Band von Jenny Lewis. Seitdem - so Phoebe - liefe man sich ständig über den Weg, so dass Chris dann zum Spaß einen Song für sie geschrieben habe, in dem es darum ginge, die alte Band wieder zu reformieren (und dabei auf charmant humorvolle Weise die erst kürzlich neu hinzugekommene Bassistin Emily und auch gleich Gitarrist Harrison Whitford zu dissen). Und dieser Song wurde dann in Haldern von Chris, Phoebe und der Band a cappella dargeboten. Ansonsten zeigte sich Phoebe gut gelaunt und charmant selbstironisch. "Jetzt nehmen wir mal das Tempo etwas heraus" erklärte sie etwa, während sie eine ihrer sowieso melancholisch/düsteren Balladen solo vortrug. Und als an anderer Stelle "Motion Sickness" - einer ihrer tatsächlich lebhafteren Songs - als flotte Rocknummer dargeboten wurde und dabei der Gitarrenverstärker zu kollabieren drohte, meinte sie: "Das wäre auch keine Ich-Show, wenn es nicht wenigstens ein großes technisches Desaster geben würde." Insgesamt war dies ein recht cooler Auftritt von Phoebe Bridgers und Band. Der Kumpel-Charakter vergangener Tage war dabei jedenfalls einer gewissen nonchalanten Professionellen Routine gewichen.

Auf der Hauptbühne zelebrierten derweil King Gizzard & The Lizard Wizard den ganz großen Psychedelic Blowout zwischen Prog-, Kraut- und Garagenrock. Mit gleich zwei einander zugewandt sitzenden Drummern und drei Gitarren setzte das siebenköpfige australische Künstlerkollektiv auf trippige Psychedelia, lässige, teils mit Jazz-Flair kokettierende Grooves und repetitive Muster und ließ dazu hinter sich passendes Material zwischen Fiebertraum und LSD-Trip über die überdimensionale Leinwand flackern. Das war beeindruckend, wenngleich nicht ganz die musikalische Offenbarung, als die es mancherorts angekündigt war. Für einen veritablen Moshpit reichte es aber allemal!

Man müsste schon ganz schön bekloppt sein, sich Musik, wie sie Amyl & The Sniffers aus Melbourne machen, zu Hause in Ruhe (und womöglich nüchtern) aufzulegen und anzuhören. Man muss auch ganz schön bekloppt sein, solche Musik überhaupt einzuspielen. Live auf der Bühne geriet der Humpa-Humpa-Highspeed-Retro-Schweine Hardrock den die Band um die durchgeknallte Frontfrau Amy Taylor da im klassischen 70s Setting präsentierte, aber zweifelsohne zu den Entertainment Highlights des ganzen Festivals. Das Spiegelzelt hatte jedenfalls schon deutlich entspanntere Auftritte gesehen, als das impulsive, mörderisch laute und sympathisch undifferenzierte High Energy Spektakel, das Amy und ihre Poserband da inszenierten. Jedenfalls tobte das begeisterte Publikum sich die Seele aus dem Leib und machte - immer wieder befeuert von Amy (inklusive Crowdsurfing und Verstärker-Besteigungen) - das ganze Zelt zu einem einzigen, bebenden und wogenden Mosh-Pit. So viel ungezügelte Energie hat natürlich ihren Preis: Nach einer guten halben Stunde hatten Amyl & The Sniffers ihr Pulver bereits verschossen und beendeten das Set fast eine viertel Stunde früher als vorgesehen.

Auch die nächste Band stammt aus Melbourne, und auch sie weiß um die Kraft der Vergangenheit. Die gleich mit drei Sängern gesegneten Rolling Blackouts Coastal Fever versuchten gar nicht erst, das Rad neu zu erfinden, und bedienten sich stattdessen großzügig bei der unerschöpflichen Indie-Pop-Tradition ihrer australischen Heimat, wagten einen Blick zu den Flying Nuns im benachbarten Neuseeland und hatten auch ein Herz für den Twee Pop der Briten. All diese 80er-Jahre-Versatzstücke puzzelte das junge Quintett mit so viel Fantasie und ungezügeltem jugendlichen Verve ohne echten Retro-Muff neu zusammen, dass man gar nicht anders konnte, als hingerissen zu sein, zumal hier praktisch jedes Stück Hit-Format hatte.

Es war das letzte ganz große Glanzlicht beim diesjährigen Haldern Pop, bevor Kettcar und den Sleaford Mods die Ehre gebührte, die diesjährige Haldern-Pop-Sause stilvoll zu Ende zu bringen. See you next year!


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Surfempfehlung:
www.haldernpop.com
www.facebook.com/haldernpop
Text: -Ullrich Maurer / Carsten Wohlfeld-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
 

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