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Reeperbahn Festival 2018 - 3. Teil

Hamburg, Reeperbahn
21.09.2018

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Psychedelic Porn Crumpets
Auch in diesem Jahr lud die australische Delegation zum Aussie Barbeque ins Molotow. Leider fiel das dann bereits in den angekündigten Wetterumschwung, so dass insbesondere die Konzerte im Molotow Backyard teilweise ins Wasser fielen.
Als erstes überraschte die bereits seit 1996 existierende Weird-Mystic-Combo Dandelion Wine mit einer Musik-Richtung, die der Conferencier nicht ganz unzutreffend mit "Game Of Thrones-Disco" umschrieb. Mit Leier, Zither und Cello auf der einen Seite und Drumpads und elektronischen Effekten auf der anderen steigerten sich Naomi Henderson und ihre Mitstreiter in eine zunehmend ambientmäßig abdrehende Trance-Stimmung, der das Publikum nur zum Teil folgen mochte.

Der Grund, warum im folgenden sowohl die Psychedelic-Rock-Truppe Tempesst wie auch das Indie-Pop-Duo Geowulf (das ja bereits im letzten Jahr auf dem Reeperbahn Festival gastierte) aus Brisbane im Molotow Club aufspielten, war dem Umstand geschuldet, dass Toma Banjamin in Personalunion der Frontmann von Tempesst ist, wie auch die eine Hälfte des mit Star Kendrick gebildeten Duos Geowulf. Musikalisch hat das bemerkenswert wenig miteinander zu tun: Tempesst steigern sich mit Prog-Ambitionen, jeder Menge guter Laune und psychedelische Ambitionen in ein angenehm konventionelles Old-School-Rock-Setting mit 70s Touch und die Musik von Geowulf ist ganz auf die Gesangsparts ausgerichtet und kam ohne jedwedes Produktions-Backing aus. Dabei war es Star und Toma wichtig, mit einer Coverversion von "I Say A Little Prayer" der kürzlich verstorbenen Aretha Franklin als einer ihrer Inspirationsquellen die Ehre zu erweisen.

Zwischenzeitlich hatte im Backyard Mijo Biscan aus Melbourne gute Miene zum strömenden Regen gemacht und spielte sein druckvolles und - für einen gediegenen Songwriter - auch bemerkenswert ruppiges und flottes Set sozusagen frisch geduscht vor dem unter den wenigen verfügbaren Schirmen versammelten, dicht gedrängten Publikum. Auf diese Weise verpuffte natürlich so einiges der potentiell angestauten Energie.

Beim Auftritt der Hollow Coves gab es eine kurze Regenpause, die Ryan Henderson und Matt Cairns dazu nutzten, ihre angenehm temperierten Folkpop-Songs wiederum mit heiterer Gelassenheit im Stile der großen Harmoniegesang-Altvorderen vorzutragen. Der Umstand, dass die Hollow Coves mit ihrem Tun tatsächlich zu begeistern wissen anstatt zu langweilen - obwohl sie nun wirklich nichts Neues machen -, liegt darin begründet, dass die sympathischen Jungs einfach alles richtig machen und auch keinen weitergehenden Anspruch hegen, als den ihre Songs vortragen zu wollen.

Leider war das Reeperbahn Festival in diesem Jahr von besonders vielen kurzfristigen Absagen betroffen - so auch der von Amyl & The Sniffers, die einfach nicht rechtzeitig für ihren geplanten Gig im Molotow am Nachmittag eingetroffen waren. Als Ersatz sprang die kurzfristig nachnominierte Angie McMahon aus Melbourne ein. Die 23-jährige stellte sich dabei als eine der Entdeckungen des Festivals überhaupt heraus. Angie hat eine große Gitarre und eine ebenso große Stimme. Beides scheint nicht zu der schmächtigen Person zu passen, die sich da - obercool und mit heiterer Gelassenheit - dem Publikum präsentierte. Beides (also große Gitarre und große Stimme) passte dann aber indes zweifelsohne gut zueinander. Angie präsentierte brillante und - angesichts dessen, dass sie alleine aufspielte - auch bemerkenswert rockige Indie-Pop-Songs vom Stile ihres Underground-Hits "Slow Mover", die jeweils durch Punch, Tiefe und Ohrwurm-Appeal aufhorchen ließen.

Parallel zum Aussie Barbeque fand in der Molotow SkyBar auch die Day Party der Finnen statt. Hier präsentierte sich die inzwischen in Berlin residierende, blutjunge Lxandra aus dem finnischen Dorf Suomenlinna mit einem Set, das man mit Finnland so schnell gar nicht in Verbindung gebracht hätte, denn anstatt mit Hardrock, Finn-Tango, Folk oder Indie-Rock beschäftigt sich Lxandra mit international angelegter, üppig inszenierter Popmusik mit großer Geste. Dabei beeindruckte Lxandra mit einer voluminösen, souligen Blues-Stimme und ausgezeichneten konstruiertem (und bemerkenswert perfekt inszeniertem) Songmaterial, das die aufgesetzte Dramatik des Vortrages durchaus vertrug - denn die Performance von Lxandra war die bis dahin erste Pop-Darbietung des Festivals, bei der so etwas wie Herz und Seele (und nicht bloß technische Perfektion) im Zentrum standen. Keine Frage, dass die junge Dame vor einer größeren Karriere steht.

Währenddessen gingen im Backyard die Aussie-Präsentationen mit einem Auftritt der australischen Indie-Ikone Ainslie Wills und ihrer Band weiter, die bei uns noch nicht so bekannt ist, wie auf dem fünften Kontinent. Bei ihrem Auftritt zuvor hatte Angie McMahon gesagt, dass ein "Dickhead" sei, wer immer sich Ainslies Vortrag nicht zu Gemüte zu führen gedenke. Das liegt daran, dass Angie erstens gut mit Ainslie befreundet ist und Letzere auch in eine ähnliche musikalische Kerbe haute - wenngleich mit Band und ergo noch druckvoller und lauter.

Auf der Spielbuden-Bühne gab es derweil zwei Mal Elektro-Pop vom Feinsten. Vor einem sich dramatisch gebärdenden Sturmhimmel, aus dem mal gleißende Sonnenstrahlen hervorbrachen und mal heftige Regenschauer, präsentierte sich zunächst das aus Lisa Kögler und Eric Markert bestehende E-Pop Duo Eveline aus Berlin mit einer eher poppigeren Spielart des Genres, die Eveline bislang nur auf ein paar EP-Veröffentlichungen präsentiert haben.

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Martyna Kubicz aus Polen. Zusammen mit einem ambitionierten und variantenreich agierenden Live-Drummer, diversen elektronischen Effektgeräten und Keyboards (zu denen auch ein Piano gehörte) präsentierte sie unter dem Künstlernamen Min T einen mitreißenden Mix aus DJ-Elementen, Live-Club-Set auf Drum'n'Bass-Basis und jazzigen Improvisationen am Piano und E-Bass, die mit rhythmisch zerhackten Vocal-Elementen angereichert wurden. Das hatte alles einen sehr lebhaften und spontanen Charakter und erhielt aufgrund des dramatischen Wetter-Settings im Open Air-Ambiente auch eine besondere Note. So lässt man sich Club-Musik am Tage gerne gefallen.

Ein paar Meter weiter auf der Astra Bühne "Zur geilen Knolle" konnte man das Trio Uns aus Berlin bestaunen - und man staunte wirklich nicht schlecht, was die Herren da an Schlagzeug, Keyboards und Gitarre/Gesang veranstalteten. "Alles was wir machen ist Kunst" heißt das aktuelle Album, und das passt. Wirre Texte, ebensolche Ansagen, sehr unterhaltsam, Electro, Punk, Pop, alles durcheinander.

Das Abendprogramm wurde sozusagen eingeläutet mit einem Gig von Nora Steiner und Madlaina Pollina (die übrigens die kleine Schwester von Faber ist) aus Zürich, die als erster Live-Act auf dem Swiss Business Mixer im Sommersalon um Klubhaus auftraten. Steiner & Madlaina - wie sich die Mädels nennen - stehen nach wie vor erst vor der Veröffentlichung ihrer Debüt-LP "Cheers" in diesem Monat; genießen aber aufgrund ihrer Live-Präsenz - etwa als Support von Faber - eine gewisse Reputation als lebhafter, kurzweiliger Live-Act. Dieser Eindruck bestätigte sich bei dem gut gelaunten Auftritt im Sommerclub, bei dem sie sich darauf beschränkten, ihre Songs auf Deutsch und Englisch vorzutragen - während sie ansonsten auch italienisch, griechisch oder schwytzerdütsch im Angebot haben. Kurz gesagt, war dieser Gig der sich ständig spielerisch herausfordernden jungen Damen und ihrer lebhaft aufspielenden Musiker der abwechslungsreichste, kurzweiligste und mitreißendste Auftritt des Tages - wenn nicht des ganzen Festivals.

Es war eigentlich nur logisch, dass Declan Welsh & The Decadent West im St. Pauli Fanshop auftreten - schließlich kommen die Jungs aus Glasgow, sind Celtic-Fans und die besondere Fan-Freundschaft zwischen Celtic und dem FCSP dürfte hinlänglich bekannt sein. Kein Wunder also, dass Declan und seine Band in Celtic-Trikots aufliefen, um nochmal Extra-Einsatz zu zeigen. Eine sehr nette Geste und musikalisch passte das auch - hier gibt es stürmischen IndieRock im Geiste der frühen 80er mit gehaltvollen Texten, die durchaus in das Lebensgefühl des FC St. Pauli passen.

Ebenfalls aus Glasgow stammen The Ninth Wave, schweben musikalisch auf aber einer anderen Ebene als Declan Welsh. Hier gibt es großspurigen Wave-Pop, breiter kann kaum eine Sound-Wand sein, da muss sogar der Drummer hinter einer Scheibe spielen, damit Sänger Haydn Park nicht gestört wird. Musikalisch geht das alles schon in Ordnung, aber es klingt manchmal doch etwas zu sehr nach Hochglanz-Katalog.

Im Imperial-Theater fanden auch in diesem Jahr wieder einige Showcases für den Anchor-Award statt, die dort von der Fachjury um Tony Visconti begutachtet wurden. Der Belgier Tamino heißt tatsächlich so, weil seine Mutter ein Fan von Mozarts Oper "Die Zauberflöte" ist, deren Haupt-Charakter nun mal Tamino heißt. Tamino, dessen Debüt-LP ebenfalls in diesem Monat herauskommt, präsentierte seine auf Konserve orchestral angerichteten, schwermütigen, dramatischen Noir-Balladen in einem eher zurückhaltenden Setting mit zwei Begleitmusikern - die für einen Großteil der Show zudem die Bühne verließen. Sein Vortrag kam somit vollkommen ohne Effekte und große Gesten aus. Er präsentierte seine grundsätzlich balladesk angelegten und mit dezenten orientalischen Elementen verzierten Stücke hochkonzentriert mit konsequent geschlossenen Augen, richtete nur wenige Worte ans Publikum und ließ somit sein Material für sich selbst sprechen. Dass er - zusammen mit seinem vollkommen anders ausgerichteten Landsmann Jasper Maekelberg alias Faces On TV - schließlich den Anchor Award gewann, sprach schließlich für die enorme, spürbar im Raum greifbare, emotionale Intensität, mit der Tamino seine Songs präsentierte.

Psychedelisch ging es dann weiter mit den Blackberries aus Köln. Die Band um Julian Müller (den man u.a. auch aus dem Suzan Köcher-Umfeld kennt, die übrigens auch im Publikum anwesend war) weiß auf jeden Fall zu gefallen - immer eine gute Melodie, einige psychedelische und krautrockige Elemente, die teils angenehm hypnotisieren oder einfach mitreißen. Spannend!

Im Kaiserkeller in der Großen Freiheit 36 fand schließlich der Showcase der vereint auftretenden kleinen Musik-Riesen Luxembourg und Faröer Inseln statt. Wie bereits erwähnt stammt auch Frum von der exponierten Lokation. Der Begriff "Frum", so erklärte Jenný Augustudóttir Kragesteen - wie die Dame im echten Leben heißt -, ist dabei übrigens als Präposition zu verstehen; im Sinne etwa der "Vor"-Premiere oder "Generalprobe". Auch Frum bewarb sich mit ihrer Live-Show um den Anchor Award - und hatte sich dafür durchaus etwas einfallen lassen. Mit exaltierter 2nd-Hand-Elfen-Kostümierung, glitzerndem Make-Up, expressiver Gestik und Mimik und letztlich einer kompletten, dreiköpfigen Band hüpfte und tanzte sie auf sympathische Weise verpeilt durch ein - dann doch bemerkenswert lebhaftes und leicht spinnertes - E-Pop-Programm, das unter dem Strich enorm unterhaltsam rüberkam. Der zuvor kolportierte nordische Elfenfaktor hielt sich da dankenswerterweise in Grenzen.

Wohl eher schon aus Prinzip (und vielleicht weil Teitur keine Zeit hatte und es schließlich nicht so viele Musikacts auf der kleinen Inselgruppe gibt) gab es abschließend dann eine Show von Konni Kass und ihrem Drummer Per Ingvaldur Højgaard Petersen. Obwohl Konni, die 2016, bei der ersten Anchor-Runde, selbst als nominierte auf den Bühnen des Festivals gestanden hatte, nur wenige neue Stücke wie das clubmäßig treibende "Circles" spielte (sie arbeitet gerade mit Petersen an einer neuen Scheibe) und sich somit auf das Material ihrer Debüt-LP "Haphe" konzentrierte, musste diese Show doch zu den Überraschungen des Festivals gezählt werden. Denn Konni und Per hatten ihre Songs nun konsequent auf eine elektronische Darbietung ausgerichtet und neue, treibende, geradlinige und enorm ökonomische Arrangements mit einem faszinierend zwingenden Flow erarbeitet. Die Highlights des Sets waren dann "Surrender" und besonders das abschließende "Time", zu denen Konni zum Saxophon griff, die dann somit zu jazzigen Jam Sessions ausarteten. Obwohl das Set erst nach Mitternacht startete, ließ diese Performance eine Menge begeisterter, hellwacher Fans zurück.

Hellwach war bestimmt auch jeder, der sich im Indra die Psychedelic Porn Crumpets gegeben hat. Was. Für. Ein. Groove. Holy. Fucking. Shit. Oder einfach: Alter Schwede! Die Jungs aus Australien hauen einem die Riffs und den Groove um die Ohren, dass man kaum stillstehen kann - auch wenn es das x-te Konzert am dritten Festival-Tag und weit nach Mitternacht war. Moshpit, die Haare fliegen auf und vor der Bühne, das war psychedelischer Rock vom Feinsten. So ließ man sich gerne in die Nacht transportieren.

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Surfempfehlung:
www.reeperbahnfestival.com/de/
www.facebook.com/reeperbahnfestival
Text: -Ullrich Maurer / David Bluhm-
Foto: -Ullrich Maurer / David Bluhm-


 
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