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Konzert-Bericht
 
Prozess statt Ziel

Millie Turner
Lizzi

London, Paper Dress Vintage
14.11.2018

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Millie Turner
Manchmal ist es einfach nicht genug, jedem aktuellen Hype hinterherzurennen. Denn zuweilen tauchen da Künstlerinnen wie Millie Turner aus London aus dem unübersehbaren Wust an Nachwuchs-Talenten auf, die sich um Hypes oder Trends so gar nicht scheren, sondern auf überraschende Weise eigene Akzente zu setzen wissen. Die Sache mit Millie Turner hat eine Vorgeschichte, die zu diesem Anti-Trend ganz gut passt. 2016 begann zum Beispiel die bis dahin vollkommen unbekannte Alice Merton damit, hierzulande mit eigenen Songs die Medienlandschaft im Do-It-Yourself-Verfahren sozusagen von unten aufzurollen. (Gaesteliste.de berichtete von Anfang an.) Ihr gelang damit das Kunststück, ohne Plattenfirma und ohne professionelle Promo-Unterstützung Hits wie "No Roots" im Mainstream-Radio zu platzieren und sich durch umtriebige Bühnen-Präsenz eine internationale Reputation als faszinierender Live-Act zu erspielen. Dadurch gelang es ihr, neben Deutschland auch die USA und Europa als Markt für ihre Musik zu erobern - und zwar ohne bislang eine LP veröffentlicht zu haben. Auch in London hatte Alice im Herbst einen umjubelten und ausverkauften Auftritt im renommierten Garage Club zu verzeichnen. Und da kommt langsam Millie Turner ins Spiel, denn diese absolvierte einen ihrer ersten größeren Auftritte als Support-Act für genau jene Show. Da stand dann diese junge Person alleine mit ihrer Beatbox und einer Handvoll eigener, enorm effektiver Pop- Songs auf der Bühne - und hatte keine Mühe, das Publikum für ihr Tun zu begeistern. Einfach indem sie ihr Programm mit einer souveränen Bühnenpräsenz und vollkommen unaffektiert präsentierte und neben einem kompositorischen Geschick auch ein inhaltliches Anliegen demonstrierte. Und jetzt - wenige Monate später - ist Millie so weit, sich selbst als Headliner zu empfehlen. Eine erste Reihe von eigenen Shows präsentierte sie jetzt in einem kleinen Musik-Club über einem Kleidergeschäft im Ortsteil Hackney. Der Umstand, dass der Laden dabei wegen des begeisterten Andrangs der Fans aus allen Nähten platzte, spricht dafür, dass Millie Turner mit ihrer Musik den Nerv ihrer Generation durchaus getroffen zu haben scheint.
Unterstützt wurde Millie bei dieser Gelegenheit von ihrer Freundin, der Lokalmatadorin Lizzi aus Hackney. Diese junge Dame trat - wie Millie danach auch - ebenfalls mit einem überschaubaren Aufwand (unterstützt nur von einem Keyboarder am E-Piano) auf; fühlte sich dabei allerdings eher unwohl. "Es ist schon komisch hier so alleine zu spielen", erklärte sie etwa, "denn normalerweise trete ich mit meiner Band zusammen auf." Wie Millie macht auch Lizzi im wesentlichen Pop-Musik; allerdings mit einer anderen Zielrichtung, denn ihre (allesamt balladesken) Tracks zielten mehr oder minder in Richtung jazzigen Soul-Pops mit R'n'B-Note, die ganz auf ihre vokalen Fähigkeiten zugeschnitten sind. Was dann freilich auch zu gewissen genretypischen Manierismen im Vortrag des eher generisch zugeschnittenen Materials führte. Der Unterschied zum Auftritt von Millie Turner im Folgenden hätte jedenfalls kaum größer sein können.

Worum geht es bei Millie Turner zur Zeit im Wesentlich? Nun, Millie hat - zusammen mit ihrem Produzenten - eine Handvoll eigener Songs produziert, die sie aus Budgetgründen momentan noch ohne Band präsentiert. Im Vergleich zu ihrer Show im Herbst war zwar die Boombox größer geworden, aber ansonsten gab es Millie Turner pur. Was Millie als Performerin auszeichnet, ist der Umstand, dass sie sich auf der Bühne mit einer selbstverständlichen Souveränität präsentiert, die den Anschein erweckt, dass sie ein versierter, langjähriger Routinier ist; was aber nun ganz und gar nicht der Fall ist. Millie hat ein sicheres Händchen für geradlinige, ökonomische Popsongs, die ohne viel Firlefanz auf den Punkt kommen und musikalisch durchgängig mit Ohrwurmcharakter zu überzeugen wissen. Ihre Songs wie "You And I", "She Was A Dancer", "Underwater", "Eyes On You" oder die aktuelle Nummer "Night Running" gehen dabei ohne Weiteres als potentielle Hits durch. Das Ganze kommt auch keineswegs so steril daher, wie das formal eingeschränkte Set-Up vermuten ließe, denn die Backing Tracks der Live-Show wurden im Stile von Remixen mit Raum für spontane Elemente aufgebohrt und bei zwei Stücken ließ sich Millie von einer Live-Gitarristin begleiten. Im Falle ihres Stückes "Eyes On You" trug sie dabei zunächst das Gedicht vor, aus dem sie die Song-Lyrics extrahiert hat und dann gab es noch eine Cover-Version von Gnarls Barkleys "Crazy" die deutlich machte, dass Millie Turner durchaus verstanden hat, worum es bei Cover Versionen geht - nämlich diese sich zu eigen zu machen.

Aber nicht nur musikalisch weiß Millie Turner zu überzeugen, denn viele ihrer Songs sind geradezu als Hymnen für ihre Generation konzipiert und ermutigen die Zuhörer(innen), sich Gedanken über ihre Position im Leben, ihre Identität oder ihre soziale Stellung zu machen. Das ist eher ungewöhnlich in einem Genre, das ansonsten eher dem bloßen Hedonismus frönt. Dass Millie das dann auch noch anschaulich und lebhaft präsentierte, rundete das Ganze dann auch noch von der Performance her schlüssig ab. Keine Frage: Millie Turner ist mit diesem Konzept auf dem richtigen Weg - denn im direkten Vergleich schneiden etabliertere Acts mit größerem Fundus - auch vom Zuspruch her - zuweilen deutlich blasser ab, als Millie Turner.

Millie Turner
NACHGEHAKT BEI: MILLIE TURNER

GL.de: Du bist ja noch nicht so lange im Geschäft. Wie bist du denn eigentlich zur Musik gekommen?

Millie: Musik ist für mich nichts, was ich jemals als Möglichkeit für eine Karriere betrachtet habe. Ich liebe es einfach Musik zu machen. Ich hatte Musik zunächst für mich selbst gemacht und ursprünglich gar nicht die Absicht, diese mit anderen zu teilen. Ich bin mit meinen Eltern zur Kirche gegangen - wo Musik ja ein offener Teil des Ganzen ist. Das hat mich auf organische Weise zur Musik gebracht. Ich habe aber nie gesagt: Oh mein Gott, ich will unbedingt Musikerin werden. Erst in den letzten zwei Jahren habe ich festgestellt, dass ich singen und Songs schreiben kann.

GL.de: Die Idee, Musik als Hobby zu betrachten, ist ja sicherlich nicht schlecht, da es so keinen Druck gibt. Wie kam es dann aber zu den bisher veröffentlichten Songs?

Millie: Ich wollte auf die Philippinen und musste dafür irgendwie Geld auftreiben. Da habe ich meinen Produzenten gefragt, ob wir nicht mal was machen sollten.

GL.de: Kam so auch die Show für Alice Merton zustande?

Millie: Das passierte über meinen Agenten - der hat sich darum gekümmert und mir das ermöglicht.

GL.de: Was an deinen Songs eher ungewöhnlich ist, ist der Umstand, dass sie eine Geschichte zu erzählen haben - obwohl du dich im Pop-Medium bewegst.

Millie: Ich denke, der Antrieb, einen Song zu schreiben, liegt für mich gerade in seiner Geschichte. Das ermöglicht den Zuhörern einen Zugang und er macht den Song verständlich. Man kann den Song so besser genießen.

GL.de: Dennoch ist es ungewöhnlich, dass du Geschichten erzählst, wie z.B. von der Tänzerin, die durch das Tanzen zu sich selbst findet oder in "Underwater" die Situation deiner Generation beschreibst. Normalerweise geht es in der Popmusik doch immer nur um Herzschmerz oder das Party-Machen.

Millie:de: Natürlich könnte ich auch generische Party-Songs schreiben, die jeder hören will - aber das ist doch zu einfach, oder? Ich schreibe über meine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse. Das sind simple Ideen und Geschichten, die aber jeder nachvollziehen kann. Es ist eine erstaunliche Möglichkeit sich auszudrücken und den Leuten den Zugang zu diesen Gedanken zu ermöglichen.

GL.de: Aber du singst doch nicht nur über dich selbst, sondern auch über andere, oder?

Millie: Ja, das stimmt, ich singe auch über andere. Ich singe auch über Dinge, die ich selbst nicht erlebt habe, die ich aber bei anderen beobachtet habe und von denen ich denke, dass sie erzählt werden sollten. Das heißt aber nicht, dass das unpersönlich ist, denn jeder kann ja Zugang zu vergleichbaren Erlebnissen haben.

GL.de: Was inspiriert dich denn musikalisch?

Millie: Früher habe ich Acts wie Björk oder Florence And The Machine gehört - also mit starken Frauen - sehr unterschiedliche Acts, die auf ihre Weise einzigartig sind und etwas aussagen wollen. Heute höre ich viel Neo-Soul und Funk und sowas. Man kann von so vielen Dingen begeistert sein - ohne dass man das dann gleich kopieren muss.

GL.de: Wie siehst du dich selbst denn als Sängerin?

Millie: Ich habe erst letztlich angefangen, Stunden zu nehmen. Zuvor habe ich eher vor mich hingesungen. Ich weiß auch gar nicht, welchen Stil ich verfolge. Ich habe festgestellt, dass ich eine Menge mit meiner Stimme anstellen kann und dass ich viel verändern kann. Ich möchte aber vor allen Dingen Geschichten erzählen und zum Nachdenken anregen. Es gibt so viele Dinge, die erzählt werden können, so viele Dinge über die keiner spricht oder sprechen will. Ich finde aber, dass Musik so kraftvoll ist, dass man diese Themen ansprechen sollte und jedermann einbinden kann. Ich möchte eine Stimme mit meiner Musik haben.

GL.de: Was zeichnet einen guten Song aus?

Millie: Die Texte, der Rhythmus und eine gute Melodie. Eigentlich alles - aber die Texte sind mir am wichtigsten, denn sie sind die Basis für mich. Ich habe vorher schon Gedichte geschrieben. Manchmal werden aus diesen Gedichten dann auch Songs. "Eyes On You" ist zum Beispiel aus einem Gedicht entstanden - dass ich auf der Bühne als Einleitung zu dem Song dann auch vortrage.

GL.de: Schätzungsweise suchst du ja nach einem eigenen Stil. Hast du den denn schon gefunden? Zum Beispiel gibt es ja bis jetzt nur einen Song mit Gitarre "Eyes On You" in deinem Set.

Millie: Das war einer der ersten Songs, die wir geschrieben haben. Ich denke, dass unsere Produktionsweise sowieso ziemlich eklektisch ist und kein Song wie der andere klingt. Das macht es auch für uns sehr viel interessanter. Ich mag es auch mit anderen Musikern zusammenzuarbeiten. Bisher aus Kostengründen leider noch nicht bei der Produktion oder auf der Bühne. Ich gehe aber gerne zu Live-Sesssions, um dort mit anderen zu jammen, denn das ist es, wo letztlich alles herkommt. Aber ehrlich gesagt, mag ich keine Ziele. Ich will nicht sagen, wo ich nächstes Jahr um diese Zeit sein werde. Man verändert sich ja dauernd - und so verändert sich auch alles andere. Es ist mehr so eine Art Evolution. Ich will weitermachen, mit dem, was ich mache - egal ob auf einer kleinen oder eine großen Bühne. Für mich ist der Prozess sehr viel interessanter als ein Ergebnis anzustreben. Irgendwann will ich natürlich auch mal eine LP aufnehmen - aber nach meinen Bedingungen. Ich will die Sache vorsichtig entwickeln. Ich bin eine Künstlerin und ich möchte demzufolge Sachen erschaffen, die vorher noch keiner gemacht hat. Es geht ja nicht um ein Produkt, sondern um die Musik.

GL.de: Gilt das auch für deine Videos?

Millie: Ja, gewiss. Am Anfang hatte ich davon noch keine Ahnung - aber je mehr man sich damit beschäftigt, desto mehr blickt man da durch. Ich liebe diesen kollaborativen Aspekt dieser Arbeit. Ich würde gerne Filme machen. Wenn ich keine Musik machte, wäre es das, was ich machen wollte.

GL.de: Meinst du als Schauspielerin?

Millie: Nein - als Filmemacherin und Regisseurin. Ich habe nämlich ein sehr visuelle Vorstellung von dem, was ich tue - und dafür sind Filme ja bestens geeignet.

GL.de: Ist denn der Stil dabei wichtig?

Millie: Absolut. Man verändert sich selbst ja dauernd. Ich gehe immer durch Phasen und probiere dann etwas neues aus - auch musikalisch. Es gibt so viele verschiedene Stile mit denen man arbeiten kann. Ich denke, der Stil ist sehr wichtig. Man muss Stil haben.

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Surfempfehlung:
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Text: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-

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