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(Fast) Wie Giganten

Virginia Jetzt!

München, Orangehouse/ München, Atomic Café
21.09.2002/ 22.09.2002

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Virginia Jetzt!
Drei Wochen sind sie unterwegs gewesen, von Kiel bis Wien, von Dortmund bis Dresden reisten sie kreuz und quer durch die Republik und ließen in so ziemlich jeder Ortschaft begeisterte Menschen zurück. Dass sie sich zudem weigern, ihre derzeitige Popularität gegen einen gut bezahlten Plattenvertrag einzutauschen, und das sehnlichst erwartete fürs kommende Frühjahr geplante Debütalbum lieber selbst finanzieren, macht sie dabei nur noch sympathischer. Gaesteliste.de besuchte die Band beim Tourabschluss in München.
Als "charmant", so sagt man, bezeichnet man gemeinhin Konzerte von Bands, die tolle Songs haben, noch bessere Ansagen, aber leider bei der technischen Umsetzung ihrer Ideen Probleme haben. Wenn das stimmt, waren Virginia Jetzt! noch letztes Jahr der Inbegriff von "charmant". Spätestens mit ihren Auftritten bei der diesjährigen Popkomm haben die vier Berliner allerdings gezeigt, dass sie weit mehr können als nur lustig. Und das stellten sie im proppevollen Münchner Orangehouse einmal mehr unter Beweis. Anders als ihre sehr gute, allerdings streckenweise viel zu ernste Vorgruppe Sternbuschweg konnten VJ! gleich voll überzeugen, weil sie musikalisch wie humortechnisch die Regeln diktierten und sich beispielsweise erst gar nicht zu Anspielungen auf das an diesem Tag angezapfte Oktoberfest einließen. Mit "Von guten Eltern" hauten sie uns dann auch gleich schon früh ihre wohl beste (neue) Nummer um die Ohren, bei der man nur hoffen kann, dass sie trotz aller Beteuerungen seitens der Band, Studio- und Livesound trennen zu wollen, auch auf dem Debütalbum genauso granatenmäßig rockt wie auf der Bühne. Überhaupt schien eine Vielzahl der neuen Songs dankenswerterweise darauf angelegt zu sein, nicht nur auf der Bühne zu rocken. Jedenfalls wirkte es so, als orientierten sich Songs wie "Dreimal schön" eher an den Highlights von "Mein sein" à la "Fast wie Giganten" denn an Frühwerken wie "Pophymnen". Gerade letzterer Song fiel im Orangehouse soundtechnisch geradezu durch, ebenso "Wahre Liebe" - beide kamen etwas schmalbrüstig daher. Doch das war's dann auch schon mit der Kritik, denn der Rest des ziemlich langen Auftritts war streckenweise beängstigend gut. Und das nicht nur, weil VJ! nicht nur das Publikum, sondern auch sich selber gegenseitig auf den Arm nahmen. Als Sänger/Gitarrist Nino jedenfalls ein paar Zeilen eines neuen Songs vergaß, bekam er von Basser Mathias sofort zu hören, dass er dafür den Bandbus ja nun wohl alleine einräumen müsse. Und Schlagzeuger Angelo, eher ein Mitglied der stillen Fraktion, schien auch nur mäßig begeistert davon zu sein, dass seine Bandkollegen verbreiteten, er habe drei Tage zuvor Geburtstag gehabt und deshalb sei ein kleines Ständchen von Nöten. Doch auch wenn die rockigere Seite der VJ!s den meisten Spaß brachte, die echten Highlights des Abends waren dennoch die Balladen, bei denen Gitarrist und Songschreiber Thomas am Klavier saß. Schöner als "Der erste warme Regen" (noch dazu mit einem feuerzeugschwenkenden Publikum) geht's nimmer! Will meinen: Gestern Elsterwerda, heute München, morgen die Welt!

Kein Wunder also, dass Nino Gaesteliste.de am nächsten Tag auch gerne bestätigte, dass beim Auftritt im Orangehouse einfach alles gestimmt hatte. Und ein bisschen wurde man das Gefühl nicht los, dass die Jungs nach diesem krönenden Abschluss am liebsten gleich nach Hause gefahren wären. Doch nach der glänzenden Kür rief noch einmal die Pflicht, in Form eines Solidaritätskonzertes für "Jetzt", das unverständlicherweise eingestellte Jugendmagazin der "Süddeutschen Zeitung". Also liefen die VJ!s am Sonntag der Bundestagswahl noch im Münchner Atomic Café auf, um noch einmal im kleinen Kreis zu rocken. Ein Keyboard wurde gar nicht erst bemüht, was bedeutete, dass sich die vier in erster Linie auf ihre Uptempo-Nummern und einige knackige Ansagen verließen. Hatte Mathias vor dem Konzert dem Moderator des Abends noch geantwortet, er könne leider keine Aussagen dazu machen, wie die vier gewählt hätten, da sie eine unpolitische Band seien, konnte sich Nino nicht verkneifen, die eher verhaltene Reaktion des Publikums mit "Vielleicht liegt es ja daran, dass ihr die Wahl verloren habt" zu kommentieren. Großartig neue Erkenntnisse aus der Welt von Virginia Jetzt! lieferte dieser Auftritt nicht, abgesehen davon, dass die vier nun wissen, dass Ede Stoiber seine Gattin in der Tat Muschi nennt und dass das in Bayern auch völlig normal zu sein scheint. Kaum dass sie ihre Sachen zusammengepackt hatten, machten sich die vier müde, aber glücklich auf in Richtung Heimat. Dort angekommen, schrieben sie umgehend auf ihre Homepage: "Da die Tour geil war, machen wird das noch mal!" Wir bitten darum!

Text: -Carsten Wohlfeld-

BACKSTAGE MIT: VIRGINIA JETZT!

Am letzten Wochenende der ausgiebigen Konzertreise von Virginia Jetzt! unterhielt sich Gaesteliste.de in München mit Nino, Thomas, Mathias und (dem gewohnt schweigsamen) Angelo über die zu Ende gegangene Tournee, ihre Ansprüche und natürlich das langerwartete Debütalbum.

GL: Wie fühlen sich Virginia Jetzt! im Herbst 2002?

Mathias: "Blendend! Nach zweieinhalb Wochen Tour kann man auch schon mal sagen 'müde', aber prinzipiell sehr gut!"

GL: Was schon bei der PopKomm und nun ganz besonders auf dieser Tour auffällt: Ihr seid technisch viel besser geworden. Anscheinend habt ihr ja viel geprobt, gab es dafür einen bestimmten Auslöser?

Mathias: "Bei der Tour mit Astra Kid und The Electric Club [letzten November] haben wir unsere Fehler zum ersten Mal richtig gesehen. Vor allem, als wir hörten, wie 'tight' Electric Club sind, haben wir uns einfach Gedanken gemacht, warum das bei uns nicht so ist. Danach sind wir dann viel im Proberaum gewesen, und dann gab es eine kleine Tour im Februar und Festivals im Sommer, und dadurch sind wir einfach viel besser geworden."

Thomas: "Bisher hatten wir ja immer die 'Maxime': 'Ohne Proben ganz nach oben', weil wir lange Zeit ganz einfach keinen Proberaum hatten. Beziehungsweise, wir hatten einen, in dem wir nur am Wochenende hätten proben können, und da hatten wir meistens Konzerte. Das soll keine Entschuldigung sein, schließlich muss man schon versuchen, das Ganze irgendwie hinzukriegen - wir haben einfach gemerkt, wo unsere Fehler liegen. Auch im Studio, bei den Aufnahmen zur 'Mein sein'-EP, haben wird gemerkt, dass es noch hapert. Das ist nicht nur das Spielerische, sondern der Sound an sich. Und wir haben unseren Schlagzeuger ausgewechselt, das war der Hauptgrund, hahaha!"

GL: Heißt das, ihr nehmt die Musik jetzt ernster?

Thomas: "Ein bisschen schon!"

Nino: "Wir haben's vorher auch schon erst genommen, wir haben nie gesagt: 'Es ist alles egal!', aber es geht halt immer weiter. Wir wohnen jetzt zum Beispiel alle in Berlin, was letztes Jahr auch noch nicht der Fall war, und arbeiten auf das Album hin, und da guckt man an allen Ecken, wo man sich noch verbessern kann."

Mathias: "Zu Anfang war es uns wichtig, dass wir die Stücke halbwegs spielen konnten, uns zu merken, wann die Bridge kommt. Irgendwann kann man das dann und geht tiefer. Man lernt ja auch, bessere Songs zu schreiben, weil man irgendwann einfach weiß, worauf man zu achten hat und was man spielen muss, um etwas Bestimmtes zu erzeugen."

Thomas: "Zuerst fängt man ja auch als Liveband an, und dann gibt es halt zwei Wege, die man beschreiten kann: Die einen versuchen, möglichst gut zu spielen und das Konzert so durch Sound und Zusammenspiel gut zu machen, die anderen versuchen, auf Entertainment zu setzen und zu gucken, wie man sich auf dem Gebiet verbessern kann. Wir haben uns lange darauf konzentriert, Konzerte auf der unterhaltsamen Seite zu einem Ereignis zu machen, und nicht so sehr, ein gutes Konzert abzuliefern, indem man gut spielt."

GL: Auch ein Entertainmentprogramm kann einstudiert sein, bei euch ist dagegen (fast) alles spontan, oder?

Mathias: "Ja, weil wir nicht jeden Abend das Gleiche erzählen wollen, kann das mal total gut sein, mal völlig in die Hose gehen. Dazu kommt, dass wir festgestellt haben, dass viele unseren Humor überhaupt nicht verstehen und dann wie versteinert dastehen. Gestern in Trier dagegen haben die sich schon bei 'Hallo, hier in Trier' weggeschrien."

Nino: "Wir nehmen die Musik und die Texte schon wesentlich ernster als das, was dazwischen passiert. Ich finde es sehr gut, wie Blumfeld das machen: Deren Texte sind ja noch viel ernster als unsere, aber zwischendurch erzählt Jochen halt alberne Witze von der Biene Maja."

GL: Heißt das, dass sich gerade nach dem Erfolg von "Mein sein" die Gewichtung Live/Studio bei euch etwas verschoben hat?

Nino: "Wir sehen da keinen großen Unterschied, obwohl es natürlich schon anders klingt. Es ist halt live lauter und rauer, aber das hängt auch damit zusammen, dass wir im Studio bisher nicht in der Lage waren, fett zu klingen oder zerzerrte Gitarren so aufzunehmen, wie wir uns das vorgestellt hatten."

Mathias: "Wir versuchen immer das, was wir gerade machen, am besten zu tun. Allerdings sind wir schon lieber eine Liveband, das haben wir klar festgestellt."

Thomas: "Es ist ja nicht so, dass wir uns live an das anpassen, was wir im Studio aufgenommen haben. Bisher haben wir die Aufnahmen immer an das angepasst, was wir live spielen."

Nino: "Es muss erst einmal live auf der Bühne funktionieren. Nicht, dass du eine Unmenge von Instrumenten aufnimmst und dann versuchst, das live umzusetzen. Die zusätzlichen Sachen, die im Studio dazukommen, dürfen für die Liveumsetzung nicht zwingend nötig sein. Das kann sich in Zukunft sicher ändern, aber bisher war es so, dass die Stücke immer zuerst live präsentiert wurden."

GL: Nun also trotz der sympathischen Bodenständigkeit, die euch nachgesagt wird, doch höher, schneller, weiter?

Thomas: "Besser kann es natürlich immer sein, aber mit der EP sind wir sehr zufrieden, und deshalb machen wir auch das Album mit dem gleichen Produzenten, Jem. Ich glaube, die Umstände sind gar nicht so wichtig. Wir haben ja auch nicht den Anspruch, an das Liveding ranzukommen. Wir gehen an unsere Platten schon anders heran als an ein Konzert. Es ist nicht so, dass es an den Umständen scheitert. Wir es auf Platte klingt, so wollten wir es auch haben. Das Rock N Roll-Ding soll gar nicht mit auf die Platte. Für das Album haben wir ähnliche Bedingungen wie für die EP, und damit sind wir sehr zufrieden."

GL: Also kein Majorvertrag, viel Geld, teure Studio, glitzernde Videos?

Mathias: "Wir sind jetzt noch nicht bereit, uns ein Label an Land zu ziehen und dann wie zum Beispiel Nova mit dem ersten Album gleich so viel Geld zu verpulvern. Man sollte erst einmal versuchen, in einem kleinen Rahmen zu lernen. Und lernen kann man letztendlich in einem 500-Mark-Studio ebenso viel wie in einem für 2 000 Mark. Unser Anspruch ist da eher, dass man das nimmt, was nötig ist, aber es muss nicht der pure Luxus sein. Das Album wird in Studios entstehen, die günstig sind, aber wir sehen das nicht als Kompromiss, wir sind uns sicher, dass wir dort das umsetzen können, was wir uns vorstellen. Wir bedauern es jedenfalls nicht, dass uns nicht mehr Geld zur Verfügung steht."

Thomas: "Wir wissen ja eh noch nicht, wo die Platte rauskommen wird. Zunächst einmal ist es uns wichtig, dass wir die Platte aufnehmen, und das geschieht nach unseren Vorstellungen. Der einzigen Kompromisse, die wir machen, sind in puncto Bequemlichkeit. Was den technischen Aspekt betrifft, ist alles okay, da unterscheidet sich ein kleines Studio nicht viel von einem großen, das Einzige, was vielleicht fehlt, ist ein zusätzlicher Aufenthaltsraum mit Spielekonsole, Fernseher oder sonst was."

Nino: "Dadurch, dass wir die Platte auf unserem Level aufnehmen, ohne großes Studio im Nacken oder ohne Druck einer Plattenfirma - wir finanzieren die Platten zu einem großen Teil selbst - müssen wir nur unseren eigenen Ansprüchen gerecht werden. Es gibt ja niemanden, den wir erreichen müssen. Mit der EP haben wir die Erwartungen ja schon übertroffen. Wir hatten das Gefühl, everybody's darling zu sein, und wenn wir das mit dem Album fortsetzen könnten, wäre das schon toll."

Mathias: "Beim Album steht erst einmal im Vordergrund, was wir wollen. Das ist vielleicht auch das Problem, das Bands wie Readymade haben. Wenn ein Dritter Ansprüche erhebt, dass sich die Platte gut verkaufen muss, weil er Geld reingesteckt hat - das ist dann echter Druck. Das gibt es bei uns nicht."

Thomas: "Der einzige 'Druck', den wir spüren, ist, dass die Leute auf das Album warten, dass sie uns ständig danach fragen und wissen wollen, ob wir es nicht vielleicht noch dieses Jahr rausbringen können. Aber eigentlich ist das ja kein Druck, sondern eher ein Ansporn, die Platte endlich aufzunehmen."

Mathias: "Diese Tour jetzt war ein großer Erfolg für uns, und damit verbinden wir natürlich auch den Anspruch, dass auf der nächsten Tour möglichst wieder genauso viele Leute kommen sollten, wenn nicht noch mehr. Unser Anspruch ist, dass es wächst. Und zwar, dass es gesund wächst und dass man nicht plötzlich vor 2 000 Leuten spielt. Alles sollte immer absehbar sein. Es gibt, glaube ich, nichts Schlimmeres für eine Band, als wieder auf ein niedrigeres Level zurück zu müssen, wie das zum Beispiel bei Liquido der Fall ist."

Thomas: "Wir sind momentan in einer Position, wie ich persönlich sie mir gar nicht besser vorstellen kann: Wir können machen, was wir wollen, und haben von der EP - wenn wir auch nicht großartig Geld damit verdient haben - mehr verkauft als viele Majorthemen."

GL: Ihr seid mit einer ganzen Reihe von Bands - national wie international - verglichen worden. Wie wichtig ist euch Eigenständigkeit als Statement?

Mathias: "Wenn man Stücke schreibt, benutzt man Vergleiche als Kommunikationsform: 'Spiel doch mal wie Phil Rudd Schlagzeug' oder so. 'Fast wie Giganten' zum Beispiel war ein Stück, bei dem wir es darauf angelegt haben, wie Weezer zu klingen. Hat überhaupt nicht funktioniert. Selbst wenn wir uns vornehmen, mal etwas in einer bestimmten Richtung zu machen, klingt es letztendlich immer wieder wie wir. Trotzdem darf man bei einem Pianostück ruhig mal Ben Folds heraushören dürfen."

Nino: "Wir haben die Musik ja nicht neu erfunden, und wir hören auch viel zu viel, um die Einflüsse nicht zumindest unterbewusst umzusetzen."

Thomas: "Ich finde es nur legitim, im Studio Vergleiche zu benutzen, weil es am Ende eh kaum jemand merkt. Bei der EP schrieb der TIP Berlin zum Beispiel, dass 'The Final Countdown' an Travis erinnert, dabei war es beim Schreiben der Stücke meine Intention gewesen, dass 'Love Nightliner' nach Travis klingen sollte. Beziehungsweise nicht direkt daran erinnern sollte, aber das war die erste Idee des Stücks gewesen."

Nino: "Uns selbst hat das Stück eher an Pavement erinnert. Aber das ist genau der Punkt: In verschiedenen Rezensionen und Interviews werden immer völlig verschiedene Koordinaten abgesteckt, zwischen denen wir uns angeblich bewegen sollen. Das ist total angenehm, weil das auf der einen Seite Singer/Songwriter sind, auf der anderen Seite amerikanische Indiebands. Natürlich werden auch die ganzen Hamburger Sachen und die Sportfreunde zitiert, aber nicht so häufig, wie man das befürchten könnte. Sich innerhalb von so vielen Koordinaten zu bewegen spricht ja letztendlich doch für eine gewisse Eigenständigkeit!"

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Surfempfehlung:
www.virginia-jetzt.de
Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-


 
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