Heutzutage sind viele Performing Artists der Meinung, dass Musik nicht mehr größer als das Leben sein muss - so wie das bis zu den 90ern eigentlich Pflicht war. Deswegen erfreut es heuer, wenn es mal wieder Musikanten gibt, die Wert darauf legen, anders auszusehen als die Leute vor der Bühne. Die Söderbergs traten in langen Hippie-Gewändern und wohlgeschminkt vor das Auditorium. Unterstützt wurde die Bühnenpräsenz durch gewisse theatralische Momente, die allerdings so cool genug rüberkamen, dass sie eigentlich gar nicht mehr theatralisch wirkten und im letzten Viertel der Show und insbesondere bei dem zum Schluss gegebenen Titeltrack "The Lion's Roar" eine Art Ausdruckstanz mit Headbanging-Elementen. Das war lustig. Besonders dann, als Johanna versehentlich mit dem Kopf auf dem Keyboard das Mikrofon umstubste. Whatever.
Viel brauchen Johanna und Klara nicht, um musikalisch glücklich zu sein. Neben dem seit einiger Zeit vollamtlichen Drummer, der auch ein Glockenspiel bediente, waren es alleine Klaras Akustikgitarre und Johannas Keyboard, die als Instrumentarium reichen mussten. Und dann gab es natürlich noch die Stimmen - und diese machen bei First Aid Kit die halbe Miete aus - mindestens. Denn die Organe der Schwestern haben nichts mit Klein-Mädchenpop am Hut, der ihnen dem Habitus nach im Prinzip vorbestimmt scheint. Vielmehr erfreuen die Söderberg-Sisters mit kräftigen und klaren Gesangsstimmen, die besonders in der reichlich genutzten Kombination eine bemerkenswerte Intensität ausstrahlen und Durchsetzungskraft vermitteln. Der Umstand, dass die Mädels aus Schweden und nicht aus England oder den USA stammen, macht sich übrigens positiv bemerkbar: Anstatt der gewohnten Harmonien, die man bei dieser Art von Musik ansonsten von angelsächsischen Acts her kennt, gab es eigenwillige Akkordfolgen und sogar eine Prise skandinavischer Folklore in Form nonverbaler Lala-Gesängen hart am Rande des landesspezifischen Jodel-Typus. Das ist äußerst charmant, lässt aufhorchen und lädt zum Mitmachen ein.
Für einen Act, der zunächst auf schüchterner Folkbasis begann und bis heute eine Art Hippie-Aura zelebriert, haben sich First Aid Kit erfreulich konkretisiert: Die Songs des neuen Albums (und es wurden alle gespielt) wurden druckvoll und lebhaft präsentiert - auch ohne wirklich laute oder gar aggressive Momente. Es ging aber auch anders: Bei "New Year's Eve" holte Johanna eine Auto-Harp hervor und schaffte es, alleine auf diesem Gerät die Gesangsmelodie zu komplimentieren und zu "Ghost Town" traten die Schwestern ohne Mikros an den vordersten Bühnenrand und baten das Publikum (in dem sich zahlreiche Schweden verbargen) mitzusingen - was dann auch passierte; und zwar Wort für Wort - und das bei einem Song, der alles andere als Lagerfeuer-Gemütlichkeit ausstrahlt, sondern sogar recht komplex konstruiert ist. Das Programm bestand, wie gesagt, aus dem neuen Album und einigen Highlights vom ersten. Dazu gab es mit "When I Grow Up" ein Stück von Karin Dreijer - besser bekannt als Hälfte der Avantgarde-Projekte The Knife und Fever Ray, ihres Zeichens Labelkollegin und Vorbild der Schwestern.
Zwischen den Stücken gab es souveräne Albereien und Quasi-Deutungen der Songs. So konnten sich Johanna und Klara nicht so recht einigen, ob ihre Hommage an die Vorbilder "Emmylou" nun von der Liebe handele oder einfach nur traurig sei. Da aber Valentinstag war, entschied Johanna, dass er von der Liebe handeln müsse. Dann wandte sich Klara an das Publikum und erklärte, dass man natürlich CDs und T-Shirts verkaufe, dass die Schwestern aber, wenn aber jemand zum Reden gesucht würde, auch dafür zur Verfügung stünden. Man sei zwar nicht ausgebildet, würde sich aber die größte Mühe geben. Eine Coverversion von Whitney Houston könne man aber leider nicht spielen und Witze darüber gingen auch nicht, weil das Thema ja zu traurig wäre.
Müßig zu erwähnen, dass das Publikum angesichts dieser im gegebenen Rahmen durchaus perfekten Inszenierung begeistert war. Demzufolge ließen sich die Söderbergs noch zu einer ungeplanten, zweiten Zugabe überreden und beendeten den Abend mit einer puristisch-akustischen Darbietung von "Waltz For Richard".