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Pop-Kultur Festival 2023 - 2. Teil

Berlin, Kulturbrauerei
31.08.2023

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Pop-Kultur
Das Haupt-Problem beim Pop-Kultur-Festival (sofern ein Überangebot überhaupt ein Problem sein kann), ist der Umstand, dass die verschiedenen Programmpunkte alleine auf die drei Festival-Abende konzentriert sind und dass aus diesem Grund viele Veranstaltungen parallel laufen und zudem oft zeitgleich anfangen. Man muss sich also als Besucher einen guten Plan machen, was man sehen möchte und was man ausfallen lassen muss. Bislang bestand die einzige Maßnahme das Programm zu entzerren darin, die Comissioned Works im Ramba-Zamba-Komplex jeweils drei mal an den jeweiligen Spieltagen anzusetzen - um dadurch mehr Variationen in der Zeitplanung möglich zu machen.
Deswegen war es sicher keine schlechte Idee, das parallel zum Festival laufende Pop-Kultur-Nachwuchs-Live-Programm in diesem Jahr komplett in den Garten des Frannz-Clubs auszulagern und bereits eine Stunde vor dem Musikprogramm in den Clubs zu starten. Den Anfang machte am Donnerstag die Songwriterin und Produzentin Soffie mit ihrer Band. Vielleicht aufgrund des Umstandes, dass sie auch die technischen Möglichkeiten einer Produktion in ihr Programm einbezog, präsentierten sich Soffie und ihre Musiker als überambitionierte New Wave-Art-Pop-Band mit eigentlich unnötig komplex strukturierten Songs, die zwar durch handwerkliche Fähigkeiten zu glänzen wusste, der zuweilen aber der musikalische Fokus abhanden abhanden kam. Die ebenfalls ambitionierten selbstfinderischen Empowerment-Lyrics wurden dabei mit blauäugiger Ernsthaftigkeit präsentiert. Schade, dass Soffies Lockerheit als Performerin nicht auch für das Songwriting zum Tragen kam.

Das erste Commissioned Work war an diesem Tag im Palais-Club zu bestaunen: Die Berliner Künstlerin Katharina Kollmann hat ja so einige künstlerische Seelen in ihrer Brust, von denen für dieses Projekt mindestens zwei zum Tragen kamen. Unter ihrem Indie-Moniker Nichtseattle spielt sie "wundschlaue Lieder zur Selbstbehausung innerhalb der Prekarität" und in ihrer Freizeit leitet sie ein Mal in der Woche den Nachbarschaftschor ihres Kiezes am Prenzlauer Berg. Für dieses Konzert wurden einfach beide Projekte zusammengelegt. Es gab eine Auswahl von Songs, die Katharina mit dem Chor sonst einstudiert - darunter auch Coverversionen wie "Helplessly Waiting" von David Crosby - und weitestgehend neue Nichtseattle-Songs, die dann gemeinsam von dem Chor, Katharina und ihrer Nichtseattle Live-Band präsentiert wurden. Kurz gesagt: Das war dann das beste aus zwei Welten und noch eine Menge mehr. Ein wunderbares Konzert mit einer heimeligen, friedfertigen Atmosphäre, bei der die Grenzen zwischen Amateurwesen und professioneller Attitüde dann erfreulich fließend vermischt wurden und eigentlich keine Rolle mehr spielten. Das sollte unbedingt weiter verfolgt werden.

Im Kesselhaus präsentierte anschließend Sophie Löw, die mit ihrer Band Culk bereits in der Pandemie-Ausgabe des Pop-Kultur-Festivals aufgespielt hatte, das Programm ihres Solo-Projektes Sophia Blenda "Die neue Heiterkeit" in einem zwar reduzierten, aber für den Anlass und die vermittelten Emotionen enorm effektiven Duo-Setting zusammen mit einer Geigerin/Keyboarderin. Die Sache ist dabei die: Während sich Sophie als Performerin mit ihrer im Vergleich wesentlich lauteren und druckvolleren Mutterband als Performerin stets zurückhielt und den Kontakt mit dem Publikum eher hintanstellte, spielt sie dieses ausgerechnet mit den ruhigen, nachdenklichen, melancholischen und nachtschattigen Poesie-Dramen geradezu offensiv an, sucht den Blickkontakt und lässt das Klavier immer öfter links liegen und greift stattdessen im Stile einer - zwar in sich gekehrten - Jazz-Croonerin zum Mikrofon. Auf Nachfrage bestätigte Sophie, dass ihr diese Präsentationsform keineswegs Überwindung koste, sondern sogar Spaß mache. Mal sehen, welchen Einfluss dieses neu gewonnene Selbstbewusstsein der nach wie vor schüchtern wirkenden Performerin in Zukunft auf die Culk-Shows haben wird. (Ein neues Culk-Album wird im Spätherbst erscheinen.)

Ein weiteres Commissioned Work mit einer ganz anderen Zielrichtung tobte derweil im Kesselhaus. Im letzten Jahr gastierte Vanessa Fuffifufzich Loibl in der sogenannten Caystube - einer kleinen Open-Air-Bühne, auf der DJs ihr Können demonstrieren, gelegentlich Minimal-Pop-Künstler auftreten, die in den letzten Jahren indes hauptsächlich durch Karaoke-Shows ein Publikum findet. Dort präsentierte sie ihren charmanten NDW-Pop mit Schlager-Parodie-Potential noch in einem überschaubaren Rahmen. Im Kesselhaus gab es nun sozusagen die Gala-Version ihrer "Heartbreakerei" (so ein Single-Titel aus ihrem Programm). Mit ihrer aus Jung ChoCho und Lordi bestehenden Live-Band und zwei multitasking-fähigen Streicherinnen feierte Fuffifufzich vor einem Backdrop der visuellen Künstlerin Mayan Tuulia Frank sozusagen mit dem Publikum eine Glam-Disco-Hip-Hop-Elektro-Partie im Varieté-Stil, die es in sich hatte. That's Entertainment.

Auf dem Weg zum Frannz Club konnten die Fans dann Zeuge einer Weltpremiere werden: Auf der Nachwuchsbühne hatten zwei ungleiche Partner ihr Equipment aufgebaut. Der Elektronik-Frickler, Rapper, Produzent und DJ Chrisman gilt als - ähem - aufstrebender Star der kongolesischen Elektronik-Szene. Die heute in Berlin lebende Crossover Künstlerin Sara Persico hat einen ähnlich radikalen Ansatz im Umgang mit elektronischer Avantgarde wie Chrisman - erweitert das Konzept aber noch um das Element "Stimme" - nicht notwendigerweise aber auch in gesanglicher Hinsicht als zusätzliche, oft verfremdete und getweakte Klangfarbe. Die Show im Frannz Garten war die allererste, die das Paar zusammen spielte - und gehörte zweifelsohne zu den kreativsten und expermimentellsten des Abends. Das Ganze bestand aus einem provokativen Electro-Clash-Malstrom, der scheinbar auf der Stelle improvisiert wurde. Diese Eindruck entstand durch die Art, in der Chrisman und Sara aufeinander eingingen und sich mit ansteckender Begeisterung in ihr Tun hineinsteigerten. Ein Blatt mit Text-Ideen in der Hand von Sara bildete dabei die einzige offensichtliche Struktur des Projektes. Das war dann ein bisschen so, als wohne man als Zuschauer der Geburt der Musik bei.

Etwas weniger elegant präsentierte sich anschließend die in L.A. lebende, australische Songwriterin und Produzentin Banoffee in der Çaystube. Banoffee gehört zur Generation der jungen Künstlerinnen, die ohne Live-Musiker auf der Bühne auskommen möchten und präsentierte ihre Songs alleine mit vorproduzierten Backing-Tracks. Das funktionierte aber weniger gut als gedacht, denn es gab keinerlei visuelle Elemente, die Banoffees hektische Performance unterstützt hätten. Mehr noch: Es gibt auf der Çaystuben Bühne einen Bereich, in den kein Lichtstrahl hingelangt - und genau dort platzierte Banoffee ihr Gesangsmikro, so dass sie nur dann zu sehen war, wenn sie durch die beleuchteten Bereiche huschte. Außerdem war die Musik viel zu leise, so dass die Performance unbeeindruckend kraftlos daher kam.

Wesentlich effektiver ging es anschließend im Frannz-Club bei der Show der Wiener Künstlerin Sofie Royer zu, die bei ihrem systembedingt als One-Woman-Show ausgelegten Set vor allen Dingen die pittoresken Qualitäten ihres zweiten Albums "Harlequin" in den Mittelpunkt stellte. Die weitgereiste Künstlerin hat dabei einen Weg gefunden ihre unzähligen Inspirationsquellen aus ihrer Zeit in London, New York und L.A. - und als Mitbegründerin des Boiler-Room Projektes - mit ihren österreichisch/iranischen Roots mit je einer Prise Kook-Pop, Disco-Flair, Wiener Kaffehaus-Schmäh und je einem Hauch Zirkusluft und Folk-Varieté zu einer wirklich einzigartigen Indie-Pop-Melange zu verquicken. Dabei wechselte sie nonchalant zwischen Piano, Pad-Trigger und Geige hin und her - versprach aber, dass das mit einer Live-Band dann alles noch unterhaltsamer sei und lud die Fans zu ihrem Gig auf dem anstehenden Reeperbahn-Festival ein. Das war dann vielleicht ein wenig "over the top" - aber hey: Genau das sollte es ja wohl auch sein.

Die Berliner Allround-Künstlerin Fanny Mulay Winter ist auf den Festivalbühnen der Republik fast schon so etwas wie eine Institution, seit sie beschloss ihren Fokus auf die musikalische Seite ihrer zahlreichen Ausdrucksformen zu legen. Dafür hat sie sich eine betont slicke Variante des R'n'B-Pop ausgesucht und legt ihre Songs in Form jazzig/soulig/trippiger Downtempo-Balladen an, die sie mit durchaus veritablen Selbstfindungs- und Empowerment-Lyrics unterlegt, welche sie selbst als eine "Art Therapie" bezeichnet. Inzwischen hat sie diese auch auf den EPs "Antracyte" und "Ivory" veröffentlicht - die wiederum auf einer Vinyl-LP zusammengefasst wurden. Ein erstes vollständiges Album ist gerade in Arbeit. Aber: Die Musik ist nur eine Facetten dessen, was Mulay als Künstlerin - oder soll man sagen "Gesamtkunstwerk" - auszeichnet. Denn ebenso wichtig, wie die Musik an sich ist für Mulay offensichtlich die Darbietung, Präsentation und die Selbstdarstellung. Dabei greift sie auch auf ihre Erfahrungen aus den Bereichen Mode, Design und Tanz zurück - alles Gebiete, auf denen sie ebenfalls kreativ tätig ist. Im Maschinenhaus präsentierte sich Mulay mit einer tight agierenden, knochentrocken groovenden Band - aber auch hier war die Musik nur ein Teil der Selbstinszenierung. Wie üblich hatte sich Mulay dabei modetechnisch wieder repräsentativ durchgestylt, ging dann aber in Bezug auf das von ihr gerne angewandten "Reverse-Empowerment" vielleicht einen Schritt zu weit. Die Sache ist nämlich die, dass die Gute gerne mit ihrem Sex-Appeal spielt und sich als verruchtes Luder präsentiert - das dann allerdings alles unter Kontrolle hat (was ein wenig mit den eher zweiflerischen Lyrics kollidiert). Dazu gehört dann auch, dass sie sich auf der Bühne gerne mal mehr oder weniger entblättert - in dem Fall "mehr ohne weniger". Kein Wunder also, dass sie sich am Ende rhetorisch selbst fragte, ob die Fans nun ihrer Musik oder ihr selbst Beifall spendeten. Mal abgesehen von diesem "Burlesque-Extrem"-Ansatz überzeugte Mulay (die Band) dann auf der musikalischen Seite bei der Präsentation durch eine bemerkenswert konsequente, knackige - und geradlinige - Implementierung des bei den Studioversionen vielleicht etwas zu glattpolierten R'n'B-Sounds. Auf jeden Fall machte das neugierig auf eine zusammen gehörige Songsammlung in diesem Stil.
Surfempfehlung:
www.pop-kultur.berlin
www.instagram.com/popkulturberlin
www.facebook.com/popkulturberlinfestival
www.youtube.com/c/Pop-kulturBerlin
Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
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