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11.09.2000
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Underworld - Everything, Everything

Underworld - Everything, Everything
V2
Format: CD

'Ein Underworld-Album zu veröffentlichen ist für mich wahrlich keine vergnügliche Angelegenheit!', so die überraschende Aussage Rick Smiths vor eineigen Wochen in der britischen Fachpresse. Da habe auch die nun erscheinende Livecompilation keine Ausnahme gemacht. Eine 8monatige Tour de Force durch Berge von Audio- wie Videomaterial sei es gewesen, aufgenommen während der zwei Jahre laufenden Welttour, die im Grunde auch noch gar nicht wirklich beendet sei. Promotion ist das Stichwort und so wird es auch zu dieser CD natürlich einige wenige Auftritte geben. Was aber genau macht den Reiz an 'Underworld' aus und wozu brauche ich das Livealbum eines Retortenacts? Hilfreich mag da zunächst ein Blick zurück auf die letzten Jahre sein:
Bereits in den späten 80ern veröffentlichten die drei Briten ein vielbeachtetes Album und hatten mit 'Underneath The Radar' sogar einen veritablen Clubhit. Der wahre kommerzielle Erfolg jedoch blieb aus und für Kritikerlob liess sich nichts kaufen. Dennoch war ihre Definition von Popmusik schon damals eine andere, ohne dass man heute behaupten könne, bereits so etwas wie einen Vorentwurf erlebt zu haben. Man schrieb bereits das Jahr 1993, als 'Underworld' wieder aus der Versenkung auftauchten. Man veröffentlichte einige Singles ('Rez', 'Cowgirl' - beide auch auf 'Everything' vertreten), trat in einigen angesagten Clubs auf der Insel auf. Erste kommerzielle Erfolge stellten sich im darauffolgenden Jahr mit 'Dubnobasewithmyheadman' ein. Die einschlägige Presse begann aufzuhorchen und plötzlich waren sie 'das nächste grosse Ding'...eine Ehre, die bekanntermassen aber in England so mancher Band zuteil wurde und sich nicht immer als karrierefördernd erwies. Die Verkaufszahlen schnellten jedoch tatsächlich in die Höhe und auch die Veranstalter rissen sich bald um diese drei verrückten Technokraten. Man sprach fortan von der ersten Band, die es schaffte, Dance-Music in einer Liveumsetzung zu präsentieren.
1995 sollte das grosse Jahr, der endgültige Durchbruch werden: 'Trainspotting', die ebenso irre wie gelungene Romanverfilmung des Schotten Irvine Welsh machte 'Born Slippy' über Nacht zum Hit - wurde zur Technohymne nicht nur eines Sommers. Das Stück selbst war bereits viel früher veröffentlicht, wurde nun re-released und verkaufte sich innerhalb kürzester Zeit über 700.000 mal. Headlinershows in Reading oder auf dem 'Tribal Gathering' wurden riesige Erfolge.
Diesem Karriereschub folgend veröffentlichte man 'Second Toughest In The Infants', auf dem auch 'Born Slippy' noch einmal seine ganze Pracht entfalten durfte. Ein Album das rückblickend bereits heute als Klassiker der 90er Jahre gelten darf. Das Unternehmen 'Underworld' war nunmehr in voller Fahrt, man produzierte weitere Beiträge zu Soundtracks, begann eine Zusammenarbeit mit U2 (leider bis heute unvollendet) und headlinete sich auf der ganzen Welt Finger wie Ohren wund. Irgendwie schaffte es die Band sogar, zwischendurch mit 'Beaucoup Fish' einen weiteren Longplayer zu veröffentlichen, der aber ein wenig Kreativitätsmangel verursacht durch Tourstress erkennen liess. Es war definitiv jetzt die Zeit, das gesamte Material als Live-Event unter die Menscheit zu bringen...und das tat man ausgiebigst.
Ob es in Glastonbury 40.000 oder in Japan 30.000 Heinekengeschwängerte Kids waren - der Erfolg war ihnen überall sicher. Und wer heute noch das Leuchten in den Augen Sascha Krügers (Visions-Magazin) sieht, wenn er vom 6stündigen London-Gig zu erzählen beginnt, der ahnt vielleicht, was ihm entgangen ist. Diese Erfolgsgeschichte wird nun also gleich mehrfach dokumentiert. Der gerade erscheinenden CD folgen ausserdem noch ein VHS-Video sowie eine interaktive DVD, von der man sich heute einen ähnlichen Effekt erhofft wie ihn damals 'Srgt. Pepper' für den Einsatz von Stereoeffekten in der Musik brachte.
Es erscheinen keine unveröffentlichten Stücke, das Material der CD stammt komplett von den letzten beiden Studioalben. Was somit zunächst langweilig klingen mag, erweist sich dennoch schnell als richtige Entscheidung, denn es entsteht auf der Scheibe ein ungeheuer intensiver Spannungsbogen. Begonnen mit dem Opener 'Juanita/Kiteless', der die Erwartungen nur noch weiter anheizt über die verworrenen ambienten Sounds im Mittelteil mit wilden Pianosprengseln und Karl Hydes schamanenhafter Stimme bis hin zu einem furiosen Finale, bestehend natürlich aus der Zauberkombination 'Born Slippy-Nuxx-Rez-Cowgirl'. Die atemberaubende letzte halbe Stunde der insgesamt 75 Minuten mit ihren hypnotischen 'Everything, Everything' - Vocals kann man nur noch mit einem elektronischen Strudel beschreiben, der alles um sich herum mitreisst und gefangennimmt. Du wünschst sich sofort hinein in die schreiende und bis zum Exzess tanzende Menge und merkst dabei gar nicht, dass sich ein Teil deines Verstandes und deines Bauches schon längst dorthin verabschiedet haben - in eine eigenartige aber wunderschöne Welt, in der nur intensive Klänge und Lichter regieren.
Darren Emerson hat in diesem Jahr aus familiären Gründen nach 10 Jahren die Band verlassen. Es bleibt zu hoffen, dass Rick Smith und Karl Hyde den Mythos 'Underworld' noch lange am Leben halten können. Wie lange wird sich derartig viel Energie noch transportieren lassen? Wie lange auch immer...der Einfluss und der Beitrag zur Entwicklung den 'Underworld' im Bereich der elektronischen Musik geleistet haben und der mit dieser CD dokumentiert wird, ist unermesslich und wird noch lange Bestand haben.


-Michael Kellenbenz-



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