Mit brasilianischer Musik hat Cibelle gar nicht mal soviel am Hut. Ganz im Gegenteil: Gerade eben erst ist sie von Sao Paulo nach London umgezogen - einfach um näher am Puls der Zeit sein zu können. Musikalisch löst sie sich auf ihrem zweiten Album noch deutlicher von etwaigen Samba und Bossa-Assoziationen als auf ihrer Debüt-CD. Zusammen mit Hilfe einiger Gleichgesinnter gelingt es ihr hier sogar, eine ganz eigene musikalische Sprache zu entwickeln, in der mit allerlei Samples und Instrumenten live im Studio spontane Collagen entstanden, die erst nach den Aufnahmen arrangiert und in Form gebracht wurden. Wes Geistes Kind sie dabei eher ist, zeigt z.B. ihre Zusammenarbeit mit Devendra Banhart, mit dem sie spontan einen Song komponierte. "Ach Devendra ist mit seinem Elfenhaar von einem Baum heruntergestiegen, hat mir einen Stift in die Hand gedrückt und dann habe ich 'Hallo' gesagt. So kamen wir zusammen", erklärt Cibelle dieses Treffen.
Die ganze Scheibe hat also - trotz aller eingesetzten technischen Mittel - einen ungemein organischen Charme, der sich auch dadurch erklärt, dass Cibelle den Begriff "Instrument" sehr weit dehnt und auf die Stimme und Geräusche wie Papierknistern, Klappern oder "Wassergläser reiben" ausdehnt. Und das mit den elektrischen Blättern bezieht sich dann auf eine statische Spannung, die diesen ungewöhnlichen Kreationen innewohnt: "Wenn man drauffällt, dann zerbröseln und knistern sie und es gibt Millionen von Blitzchen und Elektrizität und Staub und alles fliegt herum und hüllt dich ein", meint sie hierzu. Mit "Electric Leaves" macht Cibelle als innovative Musikerin einen radikalen Schritt nach vorne und präsentiert ein - sogar noch ausbaufähiges - Konzept als Gegenentwurf zu eingefahrenen Verfahrensweisen in der Studio-Arbeit. Und dafür, dass das alles nicht statisch und steril, sondern heißblütig und lebendig rüberkommt - auch wenn es nicht allzu laut wird - sorgt ihr südamerikanisches Temperament. Dass dies alles auf dem belgischen Crammed-Label erscheint, macht auf den zweiten Blick durchaus auch Sinn: Immer hin ist Belgien ja schließlich der inner-europäische musikalische Schmelztiegel schlechthin...
