Ist Aly Spaltro auf ihrem zweiten Album bereits altersweise geworden? Vermutlich ja eher nicht, aber dieses kommt nun doch einen ganzen Teil sortierter und nachvollziehbarer daher, als das nach wie vor in jeder Beziehung unberechenbare Debüt "Ripley Pine". Das heißt nicht, dass es auf "After" konventionelle Popmusik zu hören gibt - ganz im Gegenteil -, aber Lady Lamb agiert hier eben in ausgearbeiteten Strukturen und lässt sich nicht mehr von jeder Idee zum Abzweigen in unbekannte Territorien verleiten. So etwas braucht musikalische Disziplin, die sie sich in den vergangenen Jahren offensichtlich angeeignet hat.

Das, was das neue Album auszeichnet, ist eine inhaltlich wie musikalisch beeindruckende Vielfalt - nur dass hier alles in festen Strukturen verankert ist. Dass dabei Aly Spaltro dennoch ihren unabhängigen Geist bewahren konnte, spricht für sie. Bestes Beispiel dafür ist der Song "Dear Arkansas Daughter", der als treibende Rocknummer mit mächtig drückenden, tieffrequenten Bläsern (einer Spezialität auf dieser Scheibe) und grandiosen Schrammelriffs beflügelt wird, im Mittelteil dann zu einer kontemplativen Seance mutiert, am Ende aber wieder zu einem grandiosen Finale führt. Das macht alles Sinn und man kann Lady Lamb folgen. Schon gar, wenn sie, wie in dem Song "Ten" aus dem Tagebuch ihrer Mutter ein grandioses Szenario in Songform herausschält und dieses in Form einer simplen Folkballade inszeniert. So etwas gab es bislang nicht im Lady Lamb-Universum und es zeigt die Übersicht, mit der Aly hier zu Werke geht. Ähnlich wie Mariam Wallentin (alias Mariam The Believer) ist es Aly Spaltro gelungen, mit diesem Album die Balance zwischen spontaner Wildheit und musikalischer Ordnung (sprich: zwischen Genie und Wahnsinn) zu halten.