Natürlich ist das 16. Studioalbum von Lucinda Williams nicht wegen, sondern trotz ihres Schlaganfalls vom November 2020 entstanden - es ist aber schon so, dass das unglückliche Ereignis einen großen Einfluss auf die nun vorliegende musikalische Ergänzung zu ihren gerade erschienenen Memoiren "Don't Tell Anybody The Secrets I Told You" gehabt hat. Da war schon alleine der Umstand, dass Lucinda nicht mehr selber Gitarre spielen konnte - was sie aber etwa durch eine bemerkenswert klare und reife gesangliche Leistung wettzumachen suchte. Nie klang ihr Gesang nämlich distinguierter, kontrollierter und energischer. "I'm singing my ass off", kommentiert das Lucinda - und macht damit deutlich, dass sie sich der heilenden Kraft ihrer Kunst durchaus bewusst ist.

Der andere heilende Teil war dann der Prozess des Song-Schreibens an sich. Mit Hilfe ihres Gatten Tom Overby sowie des befreundeten New Yorker Songwriters Jesse Malin und dessen Roadmanager, dem Gitarristen Travis Stephens änderte Lucinda ihre gewohnte Routine als Songwriterin und setzte nun zwangsläufig stärker auf das Co-Writing, das sie auf "Good Souls" ansatzweise schon mit Overby "geübt" hatte. Das wirkte sich auf den Sound und auch das Thema des Albums aus. Hier zollt Lucinda Williams dem Rock'n'Roll-Dasein ihren Tribut - und zwar nicht nur dem eigenen. In brillanten Songs wie "Where The Song Will Find Me" oder "Last Call For The Truth", verdichtet Lucinda zwar die Sorgen und Nöte einer von der Kunst getriebenen Songwriterin in lyrischer Form mit autobiographischer Note. Auf der anderen Seite aber gibt es einfühlsame musikalischen Hommagen an verblichene Freunde aus der Rock-Szene - wie zum Beispiel Tom Petty in dem Song "Stolen Moments" (Steve Ferrone von den Heartbreakers ist als Drummer mit dabei) oder den Replacements-Gitarristen Bob Stinson, der sich die tägliche Dosen Alkohol, die ihn schließlich in den Untergang führten, in "Hum's Liquor"(-Store) in Minneapolis besorgte - und dem Lucinda das Album auch widmete. Bobs Bruder Tommy Stinson (der bei den Replacements Bass spielte) singt auf "Hum's Liquor" dann die Backing-Vocals.

Wie vom Titel her auch nicht anders zu erwarten, bietet "Stories From A Rock'n'Roll Heart" jene Art des 70s-lastigen New Yorker Prä-Punk-Rocks (mit dezentem Schweinerock Touch), den der Lokalmatador Jesse Malin auch selbst präferiert und dem auch Lucindas Tour-Gitarrist Stuart Mathis nicht ganz abhold zu sein scheint. Der zuletzt dominierende Blues-Sound vom Vorgänger-Album "Good Souls Better Angels" tritt dafür in den Hintergrund. Am deutlichsten wird das vielleicht bei den - auch im allegorischen Sinne passenden - Rock-Hymnen "Rock'n'Roll Heart" und "New York Comeback", bei denen Lucinda zudem Bruce Springsteen und Patti Scialfa als Gast-Vokalisten beispringen. Denn eine Riege hochkarätiger Gäste - neben Springsteen und Scialfa noch Margo Price und Gatte Jeremy Ivey, Buddy Miller, und Angel Olsen - ließen es sich nicht nehmen, bei diesem Projekt mitzumachen; nicht, weil das notwendig gewesen wäre, sondern weil die Genannten unbedingt einen Beitrag zu diesem Projekt leisten wollten.

Es mag Scheiben von Lucinda Williams geben, die musikalisch wagemutiger, epischer angedacht oder produktionstechnisch schlüssiger gelungen sind, als "Stories From A Rock'n'Roll Heart" - aber keine, die konzeptionell runder, künstlerisch befriedigender und performerisch emotionaler unterlegt sein könnte, als diese. Auf das Versprechen, das Lucinda Williams in dem anschließenden Song "(I'm) Never Gonna Fade Away" abgibt, wollen wir sie also gerne festnageln.