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25.11.2005
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MARTHA WAINWRIGHT

Der lange Weg zum Ich

Martha Wainwright
"Es ist schon so, dass meine Karriere ziemlich eigenartig und im Untergrund verlaufen ist", erklärt Martha Wainwright - Tochter von Loudon III und Kate McGarrigle und Bruder von Rufus - fast entschuldigend zu Beginn unseres Interviews. Ein wenig seltsam ist Marthas Laufbahn ja tatsächlich: Seit zehn Jahren bereits macht sie an der Seite ihres Bruders und solo Musik. In dieser Zeit entstanden auch die Songs ihres jetzt endlich auch bei uns erscheinenden, selbstbetitelten Solo-Debüt-Albums. Und hier wird die Familientradition munter fortgesetzt. Es gibt Songs, die sich einfach jeder Kategorisierung entziehen. Wie die Musik ihrer Verwandten, lässt sich auch Marthas Musik nicht einfach in eine Schublade stecken. Die lange Vorbereitungszeit war hier definitiv von Vorteil: Auf "Martha Wainwright" finden wir eine ausformulierte, höchst eigenständige Künstler-Persönlichkeit. Eigentlich hätte Martha mit diesem Werk doch offene Türen einrennen müssen - denn ist es nicht immer das, wonach die Plattenfirmen zu suchen vorgeben? Doch weit gefehlt: Martha war es zunächst mal gar nicht möglich, einen Plattenvertrag zu bekommen.

"Die Leute hielten meine Musik für zu eklektisch und wollten immer, dass ich etwas anderes machen sollte", verrät sie. Offensichtlich entsprach sie keiner geeigneten Pop-Schablone. "Ich weiß, aber daran kann ich nichts ändern", meint Martha resignierend, "meine Musik hat immer schon so geklungen. Die Art, auf die die Scheibe entstand, ist dann auch die, dem Geist der Songs, die in einer Periode von ca. sieben Jahren entstanden, möglichst treu zu bleiben. Es geht hier um meinen Musikgeschmack und darum, was ich denke, das ich tun könnte. Es spiegelt die Situation einer Frau in ihren 20ern wider, weil ich in dieser Zeit meine Songs geschrieben habe." Nun ist es ja so, dass Martha als Live Performerin bereits ein alter Hase ist - zunächst bei ihrem Bruder und dann als Solo-Künstlerin. Hat das denn nicht geholfen, ihre Karriere in Schwung zu bringen? "Nun, wie ich sagte: Die Leute hatten zwar Interesse, es war aber nie 'richtig', was ich machte. Jeder hatte seine bescheuerte Meinung dazu, was ich zu ändern habe. Als ich langsam älter wurde, realisierte ich, dass ich nicht mehr 18 war und mich noch darauf einlassen könnte, mich von anderen formen zu lassen. Und als ich dann meine Scheibe machen konnte, da musste ich den Leuten beweisen, dass es auch so ging, wie ich es wollte. Ich habe die Scheibe ohne Plattenvertrag eingespielt und es so auch irgendwie geschafft." Die Songs des Debüt-Albums schrieb Martha über einen langen Zeitraum. Wie bekam sie die dann unter einen Hut? "Weißt du, das war das Schwierigste: Die Stücke so zu singen, dass sie sich noch lebendig anfühlten", erläutert Martha, "wenn also etwas nicht funktionierte, habe ich es wieder eine Zeit liegen gelassen. Manchmal hat es auch nicht geklappt. 'GPT' zum Beispiel habe ich nicht neu einspielen können. Es ist immer noch die erste Version, die ich 1998 aufnahm."

Der Dreh- und Angelpunkt bei Marthas Musik ist zweifelsohne ihr ausdrucksstarker Gesang. Ist es denn notwendig, die Texte verstehen zu können, um Zugang zu Marthas Musik zu finden? "Jein", zögert Martha, "ich komme ja aus Quebec in Kanada und 70% meines Publikums ist französischsprachig. Formulieren wir es mal so: Bei meiner Scheibe geht es nicht um die Produktion, sondern um die Musik und den Klang. Meine Stimme ist sehr laut. Ich denke, dass man auf diese Art sehr gut heraushören kann, wie ich mich fühle und was ich aussage. Was aber stimmt, ist dass man sich auf die Scheibe konzentrieren sollte. Das ist auch die Art, wie ich gerne Musik höre. Ich mag es nicht, Musik als Hintergrunduntermalung zu verwenden." Überspitzt gesagt kürzt das natürlich das kommerzielle Potential gleich ganz erheblich - denn es scheint ja heutzutage ein Kaufargument für Musik zu geben, sie danach zu beurteilen, wie gut man sich dabei unterhalten kann. Es klingt nun so, dass die Art, in der Marthas Songs entstehen, eine ziemlich natürliche ist. Wie fordert sie sich denn selbst heraus? "Nun ich denke, dass ich gute Vorbilder um mich herum hatte", weicht sie aus, "diese ermutigten mich immer dazu, das, was ich machen und sagen wollte, auch zu tun. Insofern ist das Songwriting schon ein natürlicher Prozess - aber ich schreibe nicht sehr viel. Musik ist nicht mein Haupt-Rückzugsgebiet. Leute und Erfahrungen sind das - zu essen und spazieren zu gehen. Ich betrachte nicht alles als Songwriter. Ich schreibe nicht viel auf. Wenn es mich mal überkommt, dann greife ich zur Gitarre und arbeite an Songs - was eine schöne Entspannung ist. Was die Herausforderungen betrifft, so ist dieses Jahr eine. Ich habe eine Scheibe veröffentlicht und bin seit zehn Monaten auf Tour. Das ist eine Herausforderung, weil das sehr ermüdend sein kann. Meine Herausforderung im Moment ist, überall auf der Welt aufzutreten und die Leute dazu zu bewegen, das nächste Mal wiederzukommen." Und dann ist da ja auch die nächste Scheibe... "Genau - eine weitere Herausforderung. Ich denke langsam über neue Songs nach und habe vor, mir im Sommer drei Monate Zeit dafür zu nehmen. Weiter sind die Pläne allerdings noch nicht gediehen. Ich glaube aber, die Songs schreiben zu können, wenn ich nur genügend an mich glaube." Was löst denn das Songwriting aus? "Nun, es ist für gewöhnlich ein unbestimmtes Gefühl der Einsamkeit, das das Songwriting auslöst", erläutert Martha, "wenn ich mich unwohl fühle, dann fange ich an zu schreiben. Wohl um diesem Zustand dann zu entfliehen. Ich will mich dann quasi selber hören." Die Texte hören sich dabei dann an, als schriebe Martha ein Buch. "Wie Prosa, meinst du?", fragt sie, "ja, das stimmt. Mit der Einschränkung allerdings, dass ich die Texte manchmal gar nicht aufschreibe, weil ich sie mir am Herzen liegen und ich sie gleich auswendig lerne. Es ist ja so, dass man Songs hunderte von Malen singen muss. Da überlegt man sich dann schon sehr genau, was man sagen möchte. Man wird ja auf verschiedene Weise gesehen, wenn man Songs auf verschiedene Art singt. Ich möchte zeitlos sein. Ich sehe es auch als Poesie an. Es geht nicht darum, anderen Leuten meine Probleme vorzutragen. Es geht mir um eine universelle, künstlerische Art, mich auszudrücken." Singt Martha denn über sich selbst? "Ja, das tue ich. Es gibt Momente, die ich persönlich peinlich finde und verklausuliere aber für gewöhnlich schreibe ich über ich selbst. Hinzu kommt, dass ich diese Songs in meinen 20ern schrieb - in einer Zeit, in der ich mich von der Frage bedrängt fühlte, wer ich war und wer ich sein möchte. Wie wohl jeder Mensch in diesem Alter. Ich weiß also nicht, ob die nächsten Songs wieder so klingen werden."

Martha Wainwright
Was hat Martha sich denn dabei gedacht, als sie den Song "Bloody Motherfuckin Asshole" schrieb? "Also wenn ich drüber nachdenke, entstand der Song aus einem Streit mit meinem Vater heraus", erklärt sie, "ich dachte, er nähme mich als Musikerin nicht ernst. Diesem Song schrieb ich nun aus Angst davor, dass er Recht haben könne - und um mich zu überzeugen, dass er NICHT recht hatte. Es ist heutzutage eine Art Kampfschrei. Etwas, um sich selber aufzubauen. Und ich fand es lustig. Schließlich gibt es nicht so viele Stücke mit einem solchen Titel." Was inspiriert Martha denn musikalisch? Wie gesagt ist Marthas Musik ja nicht eben genrespezifisch. "Nun, die Ungewöhnlichkeit meiner Musik kommt von dem Ungewöhnlichen, dessen ich ausgesetzt war. Natürlich hat sich mein Geschmack verändert - vom Pop-Radio zu der wirklich eigenartigen Plattensammlung, die wir zu Hause hatten. Und dann hat Rufus immer Sachen ausgegraben, die sehr ungewöhnlich waren und die wir dann zusammen angehört haben. Das war schon so. als wir noch sehr jung waren. Es war bei uns immer so etwas wie eine Musik-Demokratie, was mich beeinflusste. Und es war mir immer bewusst, dass man nicht wie jemand anderes klingen sollte. Wenn man eine lange Karriere haben möchte, dann ist es vielleicht keine schlechte Idee, wenn man einzigartig klingt." Das gilt für Martha mindestens genau so wie für ihren Bruder Rufus. Wie entstanden denn die Arrangements auf der Scheibe? "Nun, ich schreibe die Songs auf der Gitarre - das ist also die Basis. Allerdings ist die Gitarre auch eher die Begleitung. Die Arrangements entstehen mit den Musikern. Sie spielen etwas, und wenn ich es nicht mag, dann sage ich es ihnen. Ich bin aber kein Nazi und diktiere, was zu spielen ist. Im Studio hast du dann die Möglichkeit, Musiker für bestimmte Parts zu besetzen." Wie zum Beispiel Garth Hudson von The Band? "Ja, Garth brauchst du natürlich schon mal gar nicht sagen, was er zu spielen habe", lacht Martha, "das war eine sehr schöne Erfahrung mit Garth. Ich habe ihn über meine Mutter und Anne kennengelernt. Die McGarrigles haben eine Show mit Garth gespielt und ich finde Garth ist ein sehr netter Mensch und ein Genie. Ich habe ihn dann gefragt, ob er auf meiner Scheibe spielen würde. Er hat mich dann zu seinem Haus eingeladen und wir haben dort mit seiner Frau meine Rough-Mixes angehört. Das war sehr eigenartig, weil die Hudsons Nachteulen sind und am Tage schlafen. Sie haben mich also nachts um zwei eingeladen. Sie sind sehr exzentrisch - aber auf eine tolle Art. Garth ist auch ein sehr väterlicher Typ. Es war sehr schön. Das ist vielleicht auch der Grund, warum Garth immer wieder mit jüngeren Musikern spielt. Er spürt, dass er ihnen etwas zu bieten hat." Nun, nachdem Martha ja den wichtigen Schritt zu einem Recording-Artist realisiert hat, muss noch die Standard-Frage gestattet sein, was Martha denn am meisten Spaß macht und was ist das Schwierigste ist? "Für mich ist es des gleiche Ding", verrät Martha, "ich denke, dass das Live-Spielen definitiv das Schönste ist. Gleichzeitig ist das auch sehr furchterregend. Ich fühle mich dann immer sehr verletzlich. Ich habe keine Routine, auf die ich zurückgreife, jeder Abend ist für mich neu und ich habe keine Barriere zwischen mir und meinem Publikum. Ich muss mich da praktisch entblößen und sehr ehrlich sein. Anderenfalls wäre es ja nicht aufrichtig."

Weitere Infos:
www.marthawainwright.com
www.imdb.com/name/nm0906543/
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Martha Wainwright
Aktueller Tonträger:
Martha Wainwright
(V2/Rough Trade)
 

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