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12.07.2006
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NINA KINERT

Negativ ist uncool

Nina Kinert
Wenn man bedenkt, dass Skandinavien im Allgemeinen und Schweden im Besonderen ja nicht eben zu den größten Ländern dieser Erde gehören, so scheint es dort eine bemerkenswerte Dichte an Songwriter-Talenten, besonders auch weiblicher Natur zu geben. Nina Kinert aus Stockholm ist eine davon. Wie ihre Kolleginnen auch, so arbeitet sie durchaus mit Versatzstücken, die dem Musikfreund nicht unbekannt sind, lässt sich aber weniger leicht in eine Genreschublade stecken, wie ihre angelsächsischen Kolleginnen - einfach deswegen, weil sie über ein hohes Maß an z.T. verspielter, z.T. aber auch recht konkrete Eigenständigkeit verfügt und durch den Umstand, dass sie eben nicht muttersprachlich englisch geprägt ist, inhaltlich auf Ideen kommt, die Ureinwohnern so niemals kommen würden. Nina ist praktisch eine Blaupause für diesen Typus Musikus und ihre zweite Scheibe, "Let There Be Love", (die erste, die außerhalb Schwedens erscheint) ein klassisches Beispiel für melodische, akustisch orientierte Folk-Pop-Songs. Grund genug, sie ein Mal ein wenig unter de Lupe zu nehmen.

"Sorry, dass du warten musstest, aber ich habe gerade etwas gegessen", meint sie eingangs, "etwas Salat mit Parmesan und Tomatensauce." Gut zu wissen. So richtig abgebrüht und von professioneller Routine verdorben scheint Nina also noch nicht zu sein. "Also ich komme aus Stockholm, Schweden, und habe dort mein ganzes Leben lang gelebt", erklärt sie sich, "Musik hat es in meinem Leben immer schon gegeben - seit ich ein Kind war. Es war also eine ziemlich natürliche Sache für mich, diesen Beruf zu ergreifen. Zu Hause habe ich nahezu 24 Stunden Musik gehört. Und ich liebe es, zu singen." Nun gut - aber das tun doch viele andere Leute auch, die dann aber eben keine Musiker werden. "Ja, aber der Auslöser bei mir war, als ich begann, Country Musik zu hören", verrät Nina, "Country Songs sind ziemlich unkompliziert. So unkompliziert, dass ich mir einbildete, selber welche schreiben zu können. Nehmen wir z.B. mal Dolly Parton: Diese seltsame kleine Frau schreibt wundervolle Songs, die ziemlich simpel sind. Ich meine, die Melodien sind einfach und die Stücke sind nicht schwierig zu spielen. Dolly hat mich praktisch dazu gebracht, Songs zu schreiben." Auch Ninas Songs klingen relativ simpel - in der Art, wie sie dies beschrieb. Ist das ihr erklärtes Ziel - die Songs so einfach wie möglich zu halten? (Für gewöhnlich kommt dieses Ziel ja erst später in der Karriere.) "Nein, wenn ich zu Hause an meinem Klavier oder mit meiner Gitarre Songs schreibe, dann versuche ich nicht unbedingt, eine einfache Melodie zu schreiben", widerspricht sie, "ich denke nur, wenn man sein ganzes Leben solcherart Musik gehört hat, kommt eben das dabei raus. Es ist aber sehr schwer, einfache Songs zu schreiben, wenn man es ausdrücklich versucht." Dennoch: Nina scheint es zu gelingen. Warum aber sind ihre Songs so kurz? Manche kratzen so gerade eben mal an der Drei-Minuten-Grenze - obwohl sie vom Potential her nicht ausgeschöpft erscheinen. "Oh, das weiß ich gar nicht", lacht sie erstaunt, "das ist eine schwierige Frage. Aber mir kommen sie gar nicht so kurz vor. Wenn sie länger wären, dann würde man ihrer ja auch schneller müde, oder?"

Wie entstehen die Songs dann? "Meistens schreibe ich die Songs selber", erläutert Nina, "einige Songs habe ich aber auch mit meinem Produzenten Love Olzon geschrieben. Mein erstes Album ist das Ergebnis unserer Zusammenarbeit. Ich mag also beides: Alleine und mit anderen zu schreiben. Ich schreibe über das Leben, die Lust und die Liebe, denke ich. Es geht nicht immer um mich, aber natürlich um Dinge, die um mich herum passieren. Dinge, die ich sehe, höre und erlebe. Aber natürlich geht alles von mir aus." Was macht Nina denn, um die Songs für sich selbst interessant zu gestalten? "Wenn ich schreibe, versuche ich verschiedene Instrumente zu verwenden und miteinander zu kombinieren. Ich spiele zum Beispiel besser Piano als Gitarre. Das ist also schon mal eine Herausforderung. Manchmal suche ich mir aber auch ganz einfach eine Blockflöte oder so etwas und probiere darauf herum. Wichtig ist es auch, an verschiedenen Orten zu schreiben. Zum Beispiel sowohl in meiner Wohnung als auch im Haus meiner Eltern, wo ich z.B. Instrumente meines Vaters ausborgen kann. Was die Musik betrifft: Ich versuche erst gar nicht, Country Musik zu machen - das kann ich gar nicht. Ich komme ja nicht aus Nashville oder so etwas. Da fühlte ich mich wie eine Heuchlerin. Es ist nur ein Einfluss. Aber ich fühle mich z.B. auch von Bob Marley beeinflusst. Ich lasse mich eher von Leuten um mich herum inspirieren. Alles ist immer verschieden und neu. Und wenn man z.B. einen Song hört, den man gut findet, und wenn man dann einen Song in dieser Art schreiben möchte, klingt das Ergebnis - zum Glück - ja ganz anders als dieser Song. Das ist ja eben das Schöne an der Musik, dass die nämlich ein Eigenleben entwickelt. Es ist auch so, dass ich das ganze nicht kontrolliere und kontrollieren kann - das finde ich auch spannend. Es passiert also einfach so."

Nina Kinert
Wenn Nina sagt, dass sie den Prozess nicht kontrollieren kann oder will: Wie funktioniert das ganze dann? "Meistens fällt mir zunächst eine Melodie ein", verrät Nina, "ich probiere da auf dem Piano etwas aus. Manchmal wird das ganz schön scheußlich, dann muss ich eben von vorne anfangen. Manchmal kommen mir auch gleich Wörter in den Sinn. Ich mag es, wenn meine Songs eine Art Hookline haben. Es geht um Versuch und Irrtum, um das rausfinden zu können. Wenn ich einen Song höre, von dem ich selber wünschte, dass ich ihn geschrieben hätte, dann ist das mit Sicherheit einer, der mich selber berührt. Das sind also die Songs, die ich selber auch schreiben möchte. Songs, die den Zuhörer berühren." Gilt das auch für den Live-Vortrag? "Natürlich. Für mich reicht es schon, wenn ich eine Person im Publikum wirklich erreiche. Überhaupt ist das Live-Spielen für mich das schönste, was es gibt. Aber auch gleichzeitig das Schwierigste. Es geht ja immer um den Moment - an dem du im Nachhinein nichts mehr ändern kannst. Anders als im Studio oder zu Hause, wo man nicht immer alles perfekt machen muss. Live muss immer alles 100%ig stimmen." Und was ist die größte Herausforderung für Nina? "In meiner eigenen Sprache zu schreiben, denke ich", antwortet sie, "ich habe es vor kurzem mal versucht, und zwar für Freddy Vageling, einen fantastischen schwedischen Kollegen. Er bat mich, einen Song für ihn auf Schwedisch zu schreiben. Zunächst dachte ich nicht, dass ich es hinbekommen könnte, aber dann ist es mir doch gelungen, worauf ich sehr stolz bin. Es ist deswegen so schwierig, weil ich mein ganzes Leben lang englische und amerikanische Musik gehört habe und weil ich so denke, wenn ich Musik höre. Und wenn ich auf Schwedisch schreibe, bröckelt dann ja auch der Schutzwall, den ich um mich herum aufgebaut habe. Ich fühle mich dann regelrecht nackt und ausgeliefert." Warum heißt die Scheibe "Let There Be Love"? Das ist ja der letzte Song des Albums. Hat das eine bestimmte Bedeutung? "Ja, denn das ist auch der letzte Song, den wir eingespielt haben", meint Nina, "und ich denke, dass dieser Song für sich selbst spricht. Ich meine: Es gibt so viele hässliche Dinge in der Welt und ich wollte ein wenig Liebe verbreiten. Ich möchte einen positiven Eindruck hinterlassen. Es gibt heutzutage ja schon so viel Negatives, dass es manche Leute cool finden, negativ zu sein. Das finde ich lächerlich. Ich mag den Song, weil er sich wie eine Hymne für die Liebe anhört." Sehr viel positiver kann man die Welt wahrlich nicht sehen.

Weitere Infos:
www.ninakinert.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Nina Kinert
Aktueller Tonträger:
Let There Be Love
(V2/Rough Trade)
 

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