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02.10.2006
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LLOYD COLE

Mittleres Alter

Lloyd Cole
Ein Gespräch mit Lloyd Cole ist immer eine spannende Sache, denn - auch wenn er zunächst einmal grüblerisch und introvertiert wirkt - so ist er doch daran interessiert, sich mitzuteilen und das, was er sagt, auch immer anschaulich darzustellen und zu analysieren. Das reicht zuweilen dann durchaus über seine eigenen Songs hinaus und schließt philosophische Betrachtungen mit ein. Das war auch schon vor zehn Jahren so, als wir Lloyd zum ersten Mal trafen. Soeben legt er mit "Antidepressant" seine zehnte Scheibe vor. Eine gute Gelegenheit für ein kurzes Resümee: Was hat sich in den letzten zehn Jahren für Lloyd bewegt?

Lloyd überlegt eine ganze Weile, bevor er zu einer Antwort findet. "Damals kam gerade das Album 'Love Story' heraus", erinnert er sich schließlich, "damals lebte ich auch noch in New York. Nun, auf 'Love Story' lernte ich zum ersten Mal, wie man Alben aufnimmt. Die Scheiben, die ich zuvor aufgenommen hatte, waren in vielerlei Beziehungen Zufälle. Wir hatten einfach Glück gehabt. Nach unserer ersten Scheibe 'Rattlesnakes', die unter sehr glücklichen Umständen entstand, war es nie wieder leicht, ein Album aufzunehmen - einfach deswegen, weil ich nie eine präzise Vorstellung davon hatte, wie ein Album klingen sollte. 'Love Story' begann eigentlich ziemlich unglücklich und zwar aus genau diesem Grund. Dann traf ich Chris Hughes, mit dem zusammen ich einen Monat lang in New York daran arbeitete, einen Sound für die Songs zu finden - bevor wir begannen, sie aufzunehmen. Es ging nicht darum, Demos zu machen, sondern eine Methode zu finden, wie die Songs klingen und zusammen passen könnten." Interessant an diesem Umstand ist eigentlich nur die Tatsache, dass Lloyd das vor zehn Jahren noch gar nicht einräumte. "Dieser Prozess hat sich nicht geändert. Ich habe seither erst immer so lange überlegt, wie die Ästhetik der nächsten Scheibe sein könnte, bis ich etwas gefunden hatte, das die Songs zusammen hielt. So auch bei 'Antidepressant'. Mein Leben hat sich natürlich seither auch geändert. Meine Erwartungen sind heutzutage ganz andere. Bei 'Love Story' hatte ich immer noch die Hoffnung, dass ich mal ein großer Star werden könnte - was ich ja nie geworden bin. Nach 'Love Story' musste ich mich dann neu aufstellen - speziell deswegen, weil meine Beziehung mit der Plattenfirma sich verdüsterte und ich keine großen Budgets mehr zur Verfügung hatte." Ist diese Art von Betrachtungsweise vielleicht auch ein wenig das Thema der neuen Scheibe? Diese Erkenntnis festzustellen, dass die eigenen Träume sich nicht verwirklichen ließen und das Akzeptieren dieses Umstandes und das Arrangieren damit? Da gibt es ja z.B. den Song "Young Idealists", der von genau solchen unerfüllten Erwartungen erzählt. "Also je öfter ich über diesen Song spreche, desto mehr wird mir bewusst, dass ich da keine gute Arbeit geleistet habe", erwidert Lloyd, "denn hier ging es mir um etwas anderes. Ich mag den Gedanken daran, dass junge Idealisten 16 oder 45 oder 57 Jahre alt sein können. Ich mag die Idee, dass jedermann Idealismus haben, verlieren und wieder gewinnen kann. Man wird nicht zum Ungläubigen, wenn man eine Weile kein Idealist ist. Jeder Refrain in dem Song enthält die Zeile, dass man immer noch etwas erreichen könnte. Ich glaube also nicht, dass es hier um Zynismus geht. Es geht mir nicht um die Darstellung einer Enttäuschung, sondern um den Umstand, dass man als Person ständig wachsen kann. Ich meine, der Song endet damit, dass die jungen Idealisten in ein Labor einbrechen und Tiere befreien. Darum geht es mir. Wenn die Zuhörer das nun anders interpretieren, dann ist das aber auch gut, weil ich immer der Meinung war, dass eine Scheibe, sobald sie fertig ist, dem Zuhörer gehört und nicht dem Künstler."

Was ist denn dann statt dessen das Thema des Albums? "Nun, ich denke, es geht darum, wie wir uns der Frage stellen, wie wir mit dem Älterwerden umgehen", erklärt Lloyd, "wie gehen wir mit der Tatsache um, dass wir jetzt Häuser und Kinder haben und wir selbst nicht mehr der Mittelpunkt unseres eigenen Lebens sind? Wir müssen uns neu positionieren und das ist, denke ich, eine große Herausforderung, Dabei gehen viele Ehen in die Brüche und daran gehen viele Leute kaputt. Und manche Leute werden sogar richtig widerlich in ihrer Lebensmitte. Mir geht es darum herauszufinden, wie man so etwas verhindern kann und wie man einen Weg finden kann, ein schönes, frohes Leben zu führen. Das ist sehr schwierig für Leute in meinem Alter." Damit steht Lloyd nicht alleine. Viele Kollegen seines Alters, die in einer ähnlichen Position sind, suchen nach ähnlichen Antworten auf ähnliche Fragen. Steve Wynn, Dean Wareham von Luna, Maria McKee, Jackie Leven oder Stuart A. Staples von den Tindersticks z.B. äußerten sich alle bereits in dieser Richtung. "Ist das so?", fragt Lloyd, "das war mir gar nicht bewusst - aber ich bin froh, dass ich nicht alleine bin. Es ist schließlich ein sehr interessantes Thema. Es ist eine große Herausforderung, ein Mann mittleren Alters zu sein. Da erscheint es einem schon als Errungenschaft, dass die eigene Ehe nicht in die Brüche ging." War dieses Thema denn von vornherein der Grundgedanke, als Lloyd die neuen Stücke schrieb, oder hat er eher welche ausgewählt, die thematisch zusammen passten. "Eher letzteres", räumt er ein, "denn nicht alle diese Stücke sind neu. 'Young Idealists' oder 'New York City Sunshine' z.B. Als ich mir die Songs anschaute, kam es mir zunächst vor, als seien diese negativer, als sie eigentlich sind. Es gab so etwas wie das Gefühl der Kapitulation in der Mitte des Lebens. Aber zum Glück änderte sich das, je länger, ich daran arbeitete. Ich meine, einige Songs sind immer noch traurige Songs, aber es gibt kein Gefühl der Resignation, sondern eher so etwas wie Stoizismus. Wie gesagt, es ist eine große Herausforderung."

Lloyd Cole
Musikalisch ist das neue Album nach dem sehr spartanischen, letzten Album, "Music In A Foreign Language", über das Lloyd ja mit Kollege Carsten Wohlfeld für Gaesteliste.de sprach, wieder etwas "fülliger" geraten. "Also am Anfang hatte ich kein neues Soundkonzept, weil ich so eine Art 'Music In A Foreign Language Pt II' machen wollte", räumt Lloyd ein, "als ich aber begann, an den Songs zu arbeiten, wurde mir klar, dass viele dieser neuen Stücke einen Puls bräuchten. Ich suchte also nach Möglichkeiten, Drumparts für die Stücke zu finden. Ich suchte nach einem Ensemble-Sound, der zu meiner Grundeinstellung passte, dass ich nämlich mit Rock'n'Roll nichts am Hut haben wollte. Es ist komisch für mich, weil ich viele Elemente verwende, die ich auch zu Commotions-Zeiten verwendet habe, als wir Pop-Alben machten. Aber, obwohl 'Antidepressant' auf gewisse Weise ein Pop-Album ist, wird es von einem Typ gemacht, der kein Pop-Sänger mehr ist." Das klingt komplizierter als es eigentlich ist. Woher aber kommt letztlich Lloyds Vorliebe für ruhigere, also nicht Rock'n'Roll orientierte Musik? Persönliche Vorlieben? Alter? Praktische Gründe? "Ein wenig von allem", erklärt Lloyd, "es ist heutzutage ja z.B. nicht mehr so einfach und so billig zu touren - besonders aufgrund der gegebenen politischen Umstände. Als die Commotions vor zwei Jahren kurz wieder zusammen kamen, war das toll, es brachte mich aber zu der Erkenntnis, dass ich nichts mehr mit dem Rock zu tun haben wollte. Ich mag zwar immer noch gute Rock Musik und es gibt auch Leute, die diese machen können - das will ich aber selber nicht. Ich möchte mit einer reinen Weste bei Null anfangen. Persönlich finde ich, dass traditionelle Rock-Musik - meine eigene eingeschlossen - intellektuell äußerst stumpf ist. Und zwar wegen der Idee, dass es um Virtuosität geht. Alles andere spielt dem nur zu. Das gefällt mir nicht und das ist übrigens auch der Grund, warum ich Jazz Musik nicht mehr so gerne höre, sondern lieber afrikanische Musik. Ich möchte lieber, dass alle Teile eines Songs gleichermaßen interessant sind und miteinander verwoben sind." So sind auch die neuen Stücke aufgebaut, nicht? "Ja, genau, da gibt es fast nichts, was herausragt - schon gar keine wilden Soli", beschreibt Lloyd, "ich versuche, trotz konventioneller Drum und Bass-Partien, mittels der Gitarre und den Piano-Partien eine Art lebendige, flüssige Umgebung für die Stimmen zu kreieren."

Es folgt eine minutenlange, ausführlich dargelegte technische Beschreibung besagter Teile - durchschossen mit allerlei musikalischen Fachbegriffen und letztlich der Erkenntnis, dass dies alles letztlich auf die Prinzipen der Miminal-Musik zurückzuführen ist, die John Cage begründet hat. Zum Glück realisiert und analysiert man das aber beim Hören der Scheibe nicht. "Das will ich auch nicht hoffen", meint Lloyd erleichtert, "ich bin aber der Meinung, dass dieser Ansatz für eine sehr simple Schönheit steht." Warum heißt die Scheibe "Antidepressant"? Ist das ironisch gemeint? "Ich denke doch schon", lächelt Lloyd, "wenn ich einen Song über einen Typen, der im Starbucks arbeitet und in ein Mädel verliebt ist, das in der Mall gegenüber arbeitet, dann sollte das besser nicht ernst genommen werden. Denn dann müsste ich ja meinen Beruf aufgeben. 'Antidepressant' ist einfach nur ein Titel, der gut klingt. Man braucht ja ein Label." Welche Träume hat Lloyd Cole denn noch als Musiker? "Ich würde gerne noch Herausforderungen annehmen", überlegt Lloyd, "ich möchte eine wirklich minimalistische Scheibe machen, ich möchte als nächstes z.B. ein Instrumental-Album machen - einfach weil das die Musik ist, die ich am liebsten selber höre, und ich werde Musik machen, die an einen bestimmten Zweck gebunden ist. Das Konzept von Ambient-Musik finde ich sehr attraktiv. Ich arbeite gerade an Musik für Installationen, die mit Kunst zusammenhängen - zum Beispiel für die Künstlerin, die das Cover meiner neuen CD gemalt hat. Diese Stücke sollen dann auf Ausstellungen im Hintergrund spielen." Nun, so lange es noch musikalische Ziele gibt, kann es ja nicht so schlimm sein mit der Midlife Crisis. Letztlich gelingt es Lloyd unter dem Strich mit "Antidepressant" dann ja durchaus doch ein positives Statement abzuliefern. Hm. Vielleicht ist "Antidepressant" in dieser Hinsicht dann vielleicht doch mehr, als ein bloßes Label für die neuen Songs?

Weitere Infos:
www.lloydcole.com
en.wikipedia.org/wiki/Lloyd_Cole
www.sanctuaryrecords.de/artistitem.asp?SiteID=4&ProductID=4036
www.myspace.com/lloydcolemusic
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Lloyd Cole
Aktueller Tonträger:
Antidepressant
(Sanctuary/Rough Trade)
 

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